Der Frühreife wird erwachsen

Im November erzielte Emre Can sein erstes Ligator für den FC Liverpool
© getty

Seit einem halben Jahr spielt Emre Can nun in der Premier League, so richtig zum Zug kommt er beim FC Liverpool aber erst jetzt. Nachdem Brendan Rodgers das System umgestellt hat, blüht der U-21-Nationalspieler in seiner neuen Rolle auf. Und könnte so auch in für Bundestrainer Joachim Löw sehr interessant werden.

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Ende Januar traf der FC Liverpool im Halbfinal-Rückspiel des League Cup an der Stamford Bridge auf den FC Chelsea. Das Hinspiel ging 1:1 aus. Es war klar, dass die Emotionen in diesem Spiel hochkochen würden. Emre Can stand auf dem Platz, wie in den Spielen zuvor schon.

In Minute Elf bestreitet er an der Außenlinie direkt vor den Augen von Jose Mourinho einen Zweikampf mit Diego Costa. Can und Costa bekämpfen sich intensiv, der Deutsch-Türke geht zu Boden und schnippt im Liegen mit den Füßen den Ball weg, der zuvor ins Aus gerollt war. Costa greift just in diesem Moment nach dem Ball und findet sich bei dieser Aktion wohl veräppelt. Er tritt Can im Vorbeilaufen aufs Schienbein. Fuchsteufelswild springt dieser nach einem kurzen Gewälze am Boden auf und will den Spanier zur Rede stellen.

Martin Skrtel geht dazwischen und trennt die beiden Streithähne. Als dann noch Mourinho an der Seitenlinie seinen Senf dazu gibt, ist es genug für Can. Auch The Special One bekommt verbal sein Fett wett.

Erwachsen - als Fußballer

Emre Can ist seit Anfang Januar 21 Jahre alt und steht seit letztem Sommer an der der Anfield Road unter Vertrag. Diese Szene beweist: Can ist angekommen in der Premier League. Er versteckt sich nicht vor dem aktuell führenden der Torschützenliste und auch nicht vor einem der besten Trainer der Welt. Er ist nun erwachsen. Fußballerisch.

Bereits sein Abschied vom FC Bayern in Richtung Leverkusen, so verriet Can im SPOX-Interview im letzten September, hat die ersten Schritte dahingehend eingeläutet: "Ich wollte kein Talent mehr sein. Das war schon ein Grund, den Verein zu verlassen. Ich wollte bei den Erwachsenen vorankommen."

In Leverkusen kam der Youngster wettbewerbsübergreifend auf 39 Einsätze. Auf unterschiedlichsten Positionen. Mal im defensiven Mittelfeld, mal auf der Acht oder der Zehn. Manchmal sogar als Linksverteidiger. Dann schnappte dich der FC Liverpool den talentierten Youngster für 12 Millionen Euro und der FC Bayern verzichtete auf sein Rückkaufsrecht. Can wechselte an die Anfield Road.

Variabilität als Segen

Brendan Rodgers berichtete unlängst von seinen ersten Scouting-Versuchen bei Can. "Ich wollte ihn als zentralen Mittelfeldspieler sehen. Aber jedes Mal, wenn ich ihn beobachtete, spielte er dort nicht. Er war entweder Innen- oder Außenverteidiger. Die einzigen Positionen, auf denen er nicht spielte, waren Torwart und Stürmer", sagte er augenzwinkernd.

Früh wurde Cans Talent entdeckt, bereits mit 15 wechselte von Eintracht Frankfurt zum FC Bayern. Karl-Heinz Rummenigge nannte ihn gar mal "eines der größten Talente im deutschen Fußball". Steffen Freund, sein Coach bei der U-17-Nationalmannschaft sagte bereits vor vier Jahren über Can: "Emre ist der kompletteste Spieler, den ich in meiner Karriere je gesehen habe. Und ich habe einige gesehen."

Und doch dauerte es fast ein halbes Jahr bis sich Can an die Liga in England gewöhnte, was auch einer Knöchelverletzung im Sommer geschuldet war. Seit dem 29. Dezember aber stand Can immer in der Startelf des FC Liverpool - und zwar als rechtes Glied in der von Rodgers neu eingeführten Dreierkette der Reds. Dort glänzt der gebürtige Frankfurter dank seiner Physis und seiner Zweikampfstärke, aber hauptsächlich durch seine fußballerischen Qualitäten.

Kritik von Carragher

Can gibt in der Dreierkette mit Mahmadou Sakho und Martin Skrtel meist den spieleröffnenden Part und verteilt die Bälle im Aufbauspiel. Das sind die Dinge, die Rodgers so an ihm schätzt. Doch es gab auch schon Kritik.

Jamie Carragher, Klub-Legende und Verteidiger-Urgestein an der Anfield Road urteilte zuletzt im englischen Fernsehen über den 21-Jährigen: Er sehe aus, wie "ein Mittelfeldspieler, der hinten spielt. Er kann nicht verteidigen, und ihm fehlt das Tempo", sagte Carragher nach dem 1:1 gegen die Blues, bei dem er den Elfmeter an Eden Hazard verursachte. Einige Tage später aber ruderte Carragher zurück, entschuldigte sich und lobte Cans Leistung in den letzten Partien. "Und ja, ich war auch nicht schnell, und ich beging auch Fehler", ließ er verlauten.

Die englische Presse feiert den 1,84-Meter-Mann hingegen in den letzten Wochen. "Warum Emre Can der wirkliche Star dieser neuen Liverpool-Philosophie ist", titelte beispielsweise die "Metro" in einer Kolumne. Dort wurde er schon als der legitime Nachfolger von Steven Gerrard auserkoren. Etwas realistischer schätzte ihn das "Liverpool-Echo" ein und nannte ihn "Mr. Versatile" - Mr. Vielseitig.

Dass Can dies auch wirklich ist, zeigte er bereits in der Bundesliga. In England ging er nun den nächsten Schritt. Den vom Talent zum gestandenen Spieler. Als "Rolls Royce" beschrieb ihn sein Trainer kürzlich: "Emre gibt unserem Team eine wirklich gute Balance. Er ist stark, hat einen guten Körper. Sein taktisches Verständnis ist sehr gut für einen solchen Spieler." Dann sagte Rodgers einen Satz, der so manchen aufhorchen ließ: "Und in Zukunft wird er auch zeigen, dass er ein top Mittelfeldspieler ist."

Löws Hoffnung?

Das Interessante nun aber ist, dass ihm seine Rolle in der Abwehr wohl mehr Chancen in der Nationalmannschaft eröffnen könnte. Von der U15 ab durchlief Can alle Jugendnationalmannschaften des DFB. Doch gerade auf der Verteidigerposition würde sich für Can eine Position offenbaren. Zum einen ist Joachim Löw seit dem Rücktritt von Philipp Lahm auf der Suche nach einem geeigneten Nachfolger auf der rechten Seite, zum anderen plant der Bundestrainer in der Zukunft vermehrt in dem ein oder anderen Spiel gegen etwas schwächere Gegner mit einer Dreierkette aufzulaufen.

Hier also könnten Cans Aktien steigen, jetzt wo er als Frühreifer in England zum Mann wurde. "Liverpool war der richtige Weg", sagte er in der englischen Presse. Das Team sei wie "eine Familie" - schön, dass er dort nicht mehr die Kleinste ist.

Emre Can im Steckbrief

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