Weicher Riese zwischen Himmel und Hölle

Von Jan Teuner
Typische Geste nach einem Torerfolg: Djibril Cisse meldete in dieser Saison 23 Einschläge
© Imago

Zwei Beinbrüche stellten die Karriere von Djibril Cisse in Frage, etliche sportliche und persönliche Rückschläge steckte er weg. Nun nimmt der Franzose noch einmal Anlauf und meldet sich als Torschützenkönig in Griechenland zurück. Der exzentrische Top-Stürmer im Porträt.

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Es ist der vorletzte Spieltag in der griechischen Super League, an dem sich Panathinaikos Athen mit einem Sieg über Iraklis Saloniki vorzeitig den 20. Meistertitel sichern kann. Sechs Jahre Durststrecke sollen endlich vorbei sein. Und das Spiel ist keine 30 Sekunden alt, als Sebastian Leto eine Seitaridis-Flanke auf den Fünfmeterraum zurücklegt, wo die Antwort auf alle Zweifler wartet. Djibril Cisse springt in den Ball und netzt ein. Saisontor Nummer 23.

Der Rest ist Jubel. Cisse läuft in die Kurve, setzt die Hände auf den Boden und schlägt ein Rad, schließt einen Rückwärtssalto an und landet auf beiden Beinen. Auf den Körperteilen, die seine Karriere vor nicht allzu langer Zeit in Frage stellten. Doch zwei Brüche, etliche sportliche und persönliche Rückschläge steckte er weg. Nun hat er einen neuen Gipfel seiner rasanten Achterbahnfahrt erreicht und wird acht Jahre nach seinem letzten großen Turnier an der WM in Südafrika teilnehmen.

23 von 54 PAO-Treffern

Mit 23 Toren in 28 Ligaspielen schoss Cisse fast die Hälfte aller Panathinaikos-Treffer in der Liga und seinen Klub beinahe im Alleingang zur Meisterschaft. Zudem sicherte er sich die Torjägerkrone - mit nebenbei bemerkt doppelt so vielen Treffern wie der Zweitplatzierte.

Vielleicht kein Qualitätsmerkmal für die griechische Super League. Eher Indiz dafür, dass es der Umweg über die europäische Zweitklassigkeit ist, in der Cisse aktuell sein Glück gefunden hat. Doch was spielt das für eine Rolle, wenn man sich die Bilder vergegenwärtigt, in denen sich Djibs nach einem seiner Beinbrüche zusammengekrümmt auf dem Boden wälzt?

Steiler Karrierestart in Auxerre

"Eine Menge Leute haben gesagt, dass es das für mich war mit dem Fußball. Ein wenig zu früh, denn ich bin immer noch hier", sagt Cisse und wird nachdenklich - denn er selbst weiß bei diesen Worten wohl am Besten, dass das alles andere als selbstverständlich ist.

Nachdem er bei seinem steilen Karrierestart beim AJ Auxerre ungeahnte Höhen erklimmt, folgt eine Achterbahnfahrt zwischen den Extremen. Zweimal Torschützenkönig in Frankreich, nationaler Pokalsieg und Debüt in der französischen Nationalmannschaft. In 169 Pflichtspielen für AJ netzt er 90 Mal ein, wagt den Wechsel auf die Insel zum FC Liverpool und bricht sich in seinem zehnten Premier-League-Auftritt das linke Schien- und Wadenbein. Fünf Monate Pause.

"Mein erster Beinbruch hat mir klargemacht, dass man stark im Kopf sein muss, wenn man der Beste sein will." Und das will Cisse. Im April 2005 gibt er sein Comeback nach der Horror-Verletzung. Und nur einen Monat später ist er einer der Elfmeterschützen, die den Champions-League-Triumph perfekt machen, nachdem Liverpool in der regulären Spielzeit einen 0:3-Rückstand gegen den AC Mailand sensationell egalisiert hat. Nackt betrachtet sein Karrieregipfel.

Schlagezeilen so vielfältig wie seine Frisuren

Den Fans der Reds bleibt Cisse allerdings hauptsächlich wegen seiner Entertainer-Fähigkeiten in Erinnerung, wegen unzähliger vergebener Großchancen und wegen des Umstandes, nur gegen die kleinen Teams zu treffen. So vielfältig wie seine ständig wechselnden Frisuren sind auch die unrühmlichen Schlagzeilen, die er nach seiner pompösen Hochzeit mit der walisischen Friseuse Jude Littler liefert.

Zunächst räumt er ein, einen 15-jährigen Jungen geschlagen zu haben, dann behauptet die englische Boulevardpresse sogar, er habe seine hochschwangere Frau tätlich angegriffen. "Djibril ist ein weicher Riese. Er ist nicht fähig, mich oder jemanden anderen zu verletzen", verteidigt ihn seine sechs Jahre ältere Gattin nach den Vorwürfen und schenkt ihm kurz darauf einen gesunden Sohn.

Doch der Wahrheitsgehalt dieser Aussage wird anschließend genauso öffentlich diskutiert, wie eine spätere Erpressung um ein angeblich gestohlenes Sex-Video von Cisse und eine kurzzeitige Verhaftung, als er im April 2009 in seiner Zeit beim FC Sunderland eine Frau in der Nähe eines Nachtklubs wiederum tätlich angegriffen haben soll.

Erneuter Beinbruch stellt Karriere in Frage

"Meine Zeit in Liverpool ist das beste Souvenir meiner Karriere, weil ich dort die Champions League gewonnen habe, den FA Cup und den europäischen Supercup und wegen der ganzen schlimmen Sachen, die mir dort passiert sind", sagt Cisse einmal im Rückblick. Von dort wechselt er zum Lieblingsverein seiner Kindertage nach Marseille, wo auch sein einstiges Vorbild Jean-Pierre Papin spielte.

Zuvor steht noch die WM 2006 auf dem Plan, doch unmittelbar vor der Abreise nach Deutschland bricht sich Cisse in einem der letzten Vorbereitungsspiele wiederum das Schien- und Wadenbein - diesmal das rechte und ohne Fremdeinwirkung. Seine Karriere steht auf der Kippe, Ärzte sagen ihm, seine Knochen könnten üblichen Belastungen nicht standhalten.

Sportliche Antworten auf dem Platz

"Körperlich bedeutet das nichts, der Körper wird wieder heilen. Aber ist man mental stark genug? Das ist die Frage. Und ich kann sagen: Ja, das bin ich", erklärt Cisse heute. Und das beweist er eindrucksvoll bei seinem erneuten Comeback. Er wird Vizemeister mit Marseille und schießt OM ins Pokalfinale.

Der ganz große Wurf gelingt aber nicht, und als er in der Hinrunde der zweiten Saison nicht mehr so zuverlässig trifft, überwirft er sich mit der Presse und forciert seinen Abschied aus Marseille. Dem medialen Gegenwind tritt er auf dem Platz entgegen und legt in der Rückrunde noch 14 Tore nach.

Anschließend wird Cisse nach Sunderland verliehen, wo er den Klassenerhalt mitsichert, und eine Saison später an Panathinaikos Athen verkauft.

"Es gab nicht wenige, die mir in Griechenland kaum etwas zutrauten. Heute bin ich dort angekommen, wo ich hin wollte. Die Entscheidung war richtig, und ich bin zufrieden", sagt er, auch wenn er zunächst Zielscheibe rassistischer Anfeindungen wird und später den Tod seines Vaters zu verarbeiten hat.

Doch Cisse beißt sich durch. Weil er auf dem Platz wieder eine sportliche Antwort parat hat.

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