EM

"Den Kader stellt auch meine Oma zusammen"

Von Interview: Daniel Reimann
Stig Töfting spielte von 1993 bis 2002 in Dänemarks Nationalmannschaft
© Imago

Dänemark ist bei der Europameisterschaft 2012 Außenseiter in der deutschen Todesgruppe. Ex-Nationalspieler Stig Töfting analysiert im Interview die Chancen auf ein Revival von 1992 - und liefert eine düstere Prognose. Außerdem: Töfting über Dänemarks Towartproblem, Hoffnungsträger Eriksen und die Zukunft des dänischen Fußballs.

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SPOX: Herr Töfting, haben Sie Dänemarks 1:3-Pleite gegen Brasilien gesehen?

Stig Töfting: Selbstverständlich, ich war im Stadion.

SPOX: In Deutschland war das Medienecho beinahe hämisch. Wie wurde die Niederlage in Dänemark wahrgenommen?

Töfting: Natürlich hat hier niemand vor Freude in die Hände geklatscht. Christian Eriksen zum Beispiel hat ein bisschen auf die Schnauze bekommen. Er muss schon ein Level höher spielen, wenn er für die Nationalelf aufläuft. Dazu hat Torwart Sörensen beim ersten Gegentor schlecht ausgesehen, aber er steht ja jetzt nicht mehr im Kader.

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SPOX: Wie schwer wiegt der Ausfall von Sörensen, der über Rückenprobleme klagt? HSV-Sportdirektor Frank Arnesen attestiert Dänemark ein "Torwartproblem".

Töfting: Ich habe schon vor einiger Zeit gesagt, dass Sörensen nicht unser bester Keeper ist. Er hat sich schon immer den ein oder anderen Patzer geleistet. Der Beste ist Anders Lindegaard. Doch der war bei Manchester United zuletzt verletzt, das macht die Sache tatsächlich zu einem Problem.

SPOX: Auch die Abwehr hinterließ einen sehr instabilen Eindruck. Dabei war sie noch das Prunkstück der EM-Quali gewesen, in der Dänemark nur sechs Gegentore kassiert hatte.

Töfting: Dass unsere Abwehr schlecht aussieht, war allerdings schon öfter der Fall. Besonders wenn Simon Kjaer spielt. Schon in Wolfsburg hat er nicht den besten Eindruck gemacht. Kaum jemand versteht, weshalb für ihn zweistellige Millionen-Beträge gezahlt wurden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er im Spiel gegen Australien (Sa., 17 Uhr im LIVE-TICKER) wieder von Beginn an ran darf.

SPOX: Auch die deutsche Abwehr hat sich gegen die Schweiz nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Hat das 3:5 den Dänen Hoffnung für die EM gemacht?

Töfting: Nein. Schließlich wissen wir um die Qualität der Deutschen im Vergleich zu unserer. Wir haben keinen Mario Gomez, keinen Klaas-Jan Huntelaar, die über 30 Tore schießen. Wir haben auch keinen, der so spielstark ist wie Mesut Özil. Dafür haben wir Teamgeist, uns hat schon immer der Zusammenhalt stark gemacht.

SPOX: Was zeichnet Dänemark denn noch aus? Nationaltrainer Morten Olsen betont gerne, Dänemark orientiere sich kaum am Gegner, sondern zieht sein eigenes System durch.

Töfting: Das sagt er gern, aber das stimmt so nicht. Zwar hat Dänemark eine grundsätzliche Spielidee, die in erster Linie auf eigenem Ballbesitz beruht, aber natürlich treten wir gegen Portugal anders auf als gegen Island. Ein Beispiel: Unser Linksverteidiger Michael Silberbauer stand selten in der Startelf - doch in beiden Partien gegen Portugal spielte er von Anfang an.

SPOX: Aber sind nicht manche im dänischen Team gerade für das Spiel mit viel Ballbesitz langsam zu alt? Dennis Rommedahl ist 33, Christian Poulsen 32 Jahre alt...

Töfting: Nein! Auch wenn das die Medien gerne behaupten. Es kommt nur darauf an, wie sie sich auf dem Platz präsentieren. Sind sie gut genug, ist es scheißegal, ob sie nun 19 oder 30 oder 144 Jahre alt sind. Über das Alter zu diskutieren, ist Quatsch. Schauen Sie sich doch mal Rommedahl an: Der ist immer noch der schnellste Spieler in Dänemarks Nationalelf! Und keiner der jungen Spieler hat eine solche Durchschlagskraft wie er.

SPOX: Dennoch werden die größten Hoffnungen in Christian Eriksen gesetzt - einen 20-Jährigen...

Töfting: Ist doch klar! Eriksen ist einer der Besten bei Ajax Amsterdam. Natürlich erwarten die Leute, dass er in der Nationalelf das zeigt, was er auch bei Ajax leistet.

SPOX: Aber kann Eriksen denn der Rolle als Hoffnungsträger gerecht werden?

Töfting: Keiner hat übermenschliche Erwartungen an einen 20-Jährigen, der noch nichts erreicht hat. Aber natürlich ist er ein Hoffnungsträger, schließlich ist er eines der größten Talente seit Michael Laudrup. Wir haben in Dänemark nicht viele 20-Jährige auf diesem Niveau.

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SPOX: Gibt es denn sonst keine jungen Spieler, die sich aufdrängen? Wie sieht dann die Zukunft von Dänemarks Nationalmannschaft aus?

Töfting: Es gibt vielleicht fünf bis sechs Spieler, die langsam bei der Nationalelf anklopfen, aber die kommen für die EM noch nicht in Frage. Es war zu 99 Prozent klar, wen Olsen mitnehmen wird. Es gab nur einen, maximal zwei Wackelkandidaten. Den Kader hätte auch meine Oma so zusammenstellen können. Und um die Zukunft mache ich mir keine Sorgen, denn jedes Jahr kommen genügend gute Spieler nach. Dadurch, dass sie nicht so früh in die Nationalmannschaft berufen werden, können sie sich außerhalb der großen Bühne in Ruhe weiterentwickeln.

SPOX: Das kann man positiv oder negativ bewerten...

Töfting: Für uns in Dänemark ist das kein Problem. Hier gilt: Qualität vor Alter. Das ist nicht so wie in England oder Deutschland, wo die Leute mit 17, 18 Jahren Nationalspieler werden.

SPOX: Bei der EM kommt es zum direkten Duell mit Deutschland. Ist da was zu holen für Dänemark?

Töfting: Wenn alles gut läuft, brauchen wir gegen Deutschland überhaupt keinen Punkt mehr, um weiterzukommen. Portugal können wir schlagen, das hat die Qualifikation bewiesen. Dann könnte uns ein Unentschieden gegen die Niederlande schon reichen. Erinnern Sie sich an 1992: Da haben wir die Gruppenphase mit vier Punkten überstanden und wurden am Ende Europameister.

SPOX: Aber vier Jahre später ist Dänemark mit vier Punkten rausgeflogen...

Töfting: Auch so kann es laufen. Aber wenn wir in dieser Gruppe vier Punkte holen, sind alle Leute in Dänemark stolz. Wenn die Spieler bei Abpfiff keinen Meter mehr gehen können, aber es zum Weiterkommen nicht gereicht hat, dann ist das okay. Dann können alle sagen: "Wir haben uns gegen sehr gute Mannschaften ordentlich verkauft, aber es hat leider nicht gereicht."

SPOX: Olsen betont in Interviews stets, Glück und Tagesform seien entscheidend. Klingt nicht danach, als würde er auf die Qualität seiner Mannschaft vertrauen, oder?

Töfting: Was soll er denn sonst sagen? Wie sieht das denn aus, wenn Olsen posaunt: "Wir kommen weiter!" - und am Ende fliegt Dänemark hochkant raus? Olsen muss auf dem Boden bleiben.

SPOX: Trotzdem wird Dänemark hier und da gerne mal als Geheimfavorit bezeichnet.

Töfting: Geheimfavorit? Wie bitte? Wir sind der absolute Underdog, das ist unser Vorteil. Niemand erwartet bei dieser EM den großen Wurf von Dänemark, das mindert den Druck für die Spieler. Natürlich ist es verständlich, wenn viele auf einen Überraschungscoup wie 1992 hoffen. Aber die Truppe hatte damals auch Glück! Dieses Glück braucht man einfach.

SPOX: Kennen Sie Rolf Töpperwien?

Töfting: Na klar!

SPOX: Der sagte kürzlich in einer Talkshow: "Dänemark wird Europameister wie damals in Schweden."

Töfting: Und wenn er falsch liegt? Dann schreiben alle - wie über Poulsen und Rommedahl: Der ist doch zu alt für seinen Job! Das schreibe ich dann höchstpersönlich für die dänischen Medien: Rolf Töpperwien ist zu alt zum Kommentieren! (lacht). Lassen Sie uns mal abwarten, wie sich die Jungs präsentieren.

SPOX: Was trauen Sie den Jungs denn zu?

Töfting: Ich wünsche der Mannschaft das Beste, aber ich befürchte das Schlechteste: Dänemark macht genau drei Spiele und fährt dann ohne Sieg nach Hause.

Der Spielplan der EM 2012