Die Wenn-Dann-Offensive

Die deutsche Offensive ist derzeit der Mannschaftsteil, der am wenigsten Sorgen bereitet
© getty

Da Deutschland in Miroslav Klose nur einen echten Stürmer mit zur WM nach Brasilien nimmt, ist auch eine Formation ohne den Routinier realistisch - zumal Bundestrainer Joachim Löw im Offensivspiel größtmögliche Variabilität anstrebt. Der Faktor Hitze könnte auf die Überlegungen noch Einfluss haben.

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Früher, als offenbar noch unmoderner Fußball gespielt wurde, sahen sich die Kaderauflistungen der deutschen Nationalmannschaft über die Jahre hinweg häufig sehr ähnlich. Besonders, was die Feldspieler betrifft. Abwehr, Mittelfeld, Sturm - die Anzahl der Spieler in den einzelnen Mannschaftsteilen war immer relativ ausgeglichen.

Die Mannstärke im Angriff war zwar schon damals gegenüber dem Rest geringer. Mittlerweile ist das jedoch extremer geworden. Im Kader, den Bundestrainer Joachim Löw mit ins Trainingslager nach Südtirol nahm, stehen lediglich zwei Akteure, die dem Doppelpunkt hinter dem Wort "Stürmer" folgen: Miroslav Klose und Kevin Volland.

Klose fehlt der Rhythmus

Bei Klose ist die Sache eindeutig. Der Italien-Legionär ist als klassischer Stoßstürmer quasi das letzte Relikt der alten Zeit. Volland hingegen gehört bereits dem Spielertyp an, der auf die Schlagworte "flexibel" und "polyvalent" hört. Er kann anders als Klose nicht nur im Zentrum auflaufen.

Da Volland 130 Länderspiele weniger als Klose aufweist und der unter Löw im Prinzip immer in vorderster Reihe spielte, scheint auf den ersten Blick klar: Der Bundestrainer plant auch bei der WM in Brasilien mit einem System, in dem der dann 36-Jährige die letzte Linie bildet.

Deshalb gehörte auch Klose zuletzt zu den vielen Sorgenkindern im deutschen WM-Kader. Seine Saison bei Lazio Rom war von zahlreichen Verletzungen geprägt. Und zwar solchen, die keine monatelange Pause wie beim nicht nominierten Mario Gomez nach sich zogen, dafür immer wieder Kloses Rhythmus unterbrachen.

Klose fühlt sich sehr gut

Eine Operation am Fuß, Probleme mit Rücken und Schulter, eine Beckenprellung, Bauchmuskelbeschwerden, eine Oberschenkelzerrung - Klose stand kaum einmal über mehrere Wochen auf dem Platz. "Es ist natürlich kein gutes Jahr für mich gewesen mit sehr vielen kleineren Verletzungen. Es ist schwer, sich da immer wieder heranzukämpfen. Oft habe ich gespielt, obwohl ich noch nicht richtig fit war, weil die Mannschaft mich gebraucht hat, aber dann kann man natürlich nicht die Leistung abrufen", sagt er. Dass ausgerechnet jetzt vor der Endrunde in Brasilien alles besser werden wird, muss fraglich bleiben.

Doch Klose, bald mit der Erfahrung von acht Turnier-Teilnahmen ausgestattet, gab sich am Freitag im Passeiertal betont lässig. Von einer Verletzungsseuche im DFB-Team könne keine Rede sein, er fühle sich sehr gut und gab an, dass noch genügend Zeit sei, um topfit am 16. Juni gegen Portugal aufzulaufen.

Was er brauche, seien Laufeinheiten, um eine vernünftige Fitness zu erreichen. Auch ihm gab das Trainerteam zum Start in Südtirol einen individuellen Plan an die Hand. Sollte Klose diesen zufriedenstellend umsetzen und sein Ziel erreichen, muss jedoch auch er sich trotz seiner Beweglichkeit dem Diktat des Bundestrainers beugen.

"Man braucht eine Wenn-Dann-Strategie"

Der will in Südamerika eine Offensive sehen, die "Flexibilität und Variabilität" vereint. Diesbezüglich ist jedoch in erster Linie die Reihe in Kloses Rücken gefordert. Mesut Özil, Mario Götze, Marco Reus, Thomas Müller, Lukas Podolski, Andre Schürrle und auch Volland - Löw stehen zahlreiche Spieler zur Verfügung, deren Aufgabengebiete im vorderen Drittel nicht ausschließlich auf festgelegte Positionen fixiert sind.

Deshalb ist auf den zweiten Blick selbst eine Formation ohne Klose denkbar. Besonders gegen tief stehende Gegner könnte es sinnvoll sein, auf einen ausgewählten Kreis der eben aufgezählten spielstarken Akteure zu bauen, die dann abwechselnd und intuitiv aus der Tiefe kommend den Sechzehner besetzen und weniger starr zu verteidigen sind.

Die Variante mit einer falschen Neun muss aber nicht zwingend von Beginn an gespielt werden, wie Löw unterstreicht: "Man braucht immer auch eine Wenn-Dann-Strategie während der Spiele." Um eben situationsabhängig auf unterschiedliche Begebenheiten reagieren zu können.

Götze: Vom Positionsdenken lösen

Die Debatten um System und Personal hält Götze ohnehin für überzogen, wie er am Samstag auf der Pressekonferenz äußerte. Man solle sich vom reinen Positionsdenken in der Offensive lösen. "Es ist wichtig, dass die Räume besetzt sind und man möglichst flexibel im Offensivspiel ist. Das Spiel muss so variabel sein, dass es relativ irrelevant ist, wer auf welcher Position genau spielt. Man muss wissen, wo man hinzulaufen hat und welche Räume zu besetzen sind", so der Münchner.

Unabhängig vom Spielsystem ist die Frage, welche Herangehensweise der Bundestrainer im Offensivspiel wählen wird. Es ist längst noch nicht gesichert, dass alle Spieler mit denselben körperlichen Voraussetzungen nach Brasilien reisen werden.

Die klimatischen Bedingungen vor Ort könnten Gift für eine hohe Vorwärtsverteidigung sein, wenn nicht alle Akteure in topfitten Zustand sein sollten. In diesem Fall dürfte das von Bayern München gewohnte dominante Ballbesitzspiel eine größere Akzentuierung erfahren, um sich frühzeitiger in der gegnerischen Hälfte festsetzen zu können und auch bei eigenem Ballbesitz zu Ruhepause kommen.

"So krass war das"

Es steht zumindest fest, dass die Hitze in Brasilien, sobald sie der DFB-Tross am eigenen Leibe spüren wird, in der Vorbereitungsphase noch ein gehöriges Wörtchen mitreden wird - und die offensive Wenn-Dann-Strategie neue Ausprägungen erhalten könnte.

"Das ist viel härter, als man sich das hier vorstellt", warnte Klose bereits und erzählte von Gesprächen mit seinen Vereinskollegen Federico Marchetti und Antonio Candreva. "Die haben mir erzählt, dass viele von ihnen beim Confed Cup irgendwann nicht mehr wussten, wo sie die Luft hernehmen sollen. So krass war das."

Für den Routinier brauche es "Spieler, die bereit sind, ihren Schweinhund zu überwinden." Einer, der diese Eigenschaft von Haus mitbringt, trat am Freitag bereits die Heimreise an: Der verletzte Lars Bender.

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