Ein Abend der Befreiung

Von Stefan Rommel
Heiko Westermann und Lukas Podolski freuen sich über den versöhnlichen Ausgleich in letzter Minute
© Getty

Das Spiel eins der deutschen Nationalmannschaft nach dem tragischen Tod Robert Enkes war ein Schritt zurück in die Normalität. Gegen die Elfenbeinküste kam die von Philipp Lahm als Kapitän angeführte DFB-Elf zu einem 2:2. Die Leistung des deutschen Teams zeigte, dass zumindest auf dem Platz der Alltag weiter geht. Auch die zwischenzeitlich unzufriedenen Zuschauer drückten durch Pfiffe aus, dass das sportliche Geschehen wieder in den Mittelpunkt rückt.

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Es war ein symbolträchtiger Abend in Gelsenkirchen-Schalke und er wurde auch ein wenig zu einem Abend der Rückkehr. Zur Rückkehr in den zuletzt oftmals herbeigesehnten Alltag. Wie oft der Begriff in den letzten Tagen gefallen ist? Niemand vermag es mehr zu beziffern.

Also rüstete sich Schalke für ein Fußballspiel der anderen Art. Nur um dann eines besseren belehrt zu werden. Denn das Testspiel zwischen der deutschen Nationalmannschaft und ihren Gästen von der Elfenbeinküste wurde zu einem weniger außergewöhnlichen Spiel als es die meisten vermutet hatten.

Die Fahnen auf Halbmast

In seinen Grundfesten war es ein normales Freundschaftsspiel, nur in den Nuancen, den ganz kleinen Dingen, unterschied es sich von der üblichen hektisch-knalligen Gute-Laune-Veranstaltung. Die Fahnen vor der Arena standen im strammen Wind auf Halbmast, drinnen wurde vorsorglich das Dach geschlossen, Sturmgefahr. In den Katakomben die ersten Anzeichen, dass es hier um etwas mehr geht, als nur ein normales Spiel.

In der Stadion-Kapelle prangte ein großes Bild mit einem lächelnden Robert Enke vom Altar, daneben hatte Pfarrer Hans-Joachim Dohm ein Kondolenzbuch und die Bibel aufgeschlagen. Psalm 69, der "Hilferuf des unschuldig Verfolgten".

Wenn man aus den Kabinen auf den Rasen gelangen will, kommt man an der Kapelle vorbei. Die Spieler nahmen den kleinen Umweg von vielleicht zehn Metern in Kauf und gedachten ihrem verstorbenen Freund, Kollegen oder Mitspieler nochmal im Stillen.

Arena nur halb voll

Draußen füllte sich die Arena zwar ein wenig. Allerdings auch nur schleppend und bei weitem nicht ganz. Im Gegenteil: 33.015 Zuschauer verkündete die Stadionregie Mitte der zweiten Halbzeit, was einer Auslastung von knapp mehr als 50 Prozent entspricht.

Ein unwürdiger Rahmen für ein interessantes Spiel des Vize-Europameisters gegen die derzeit beste Mannschaft Afrikas. Dafür zeigte die Mannschaft ein letztes Mal Größe und mit einem selbst verfassten Brief Anteilnahme.

"Es ist nicht leicht, heute Abend die Fußballschuhe anzuziehen, raus zu gehen auf den Rasen, 90 Minuten das zu tun, was Du so sehr geliebt hast", beginnt das letzte Salut an Enke, das der DFB auf seiner Internetseite veröffentlichte.

Auch die Ivorer gedenken Robert Enke

Auch der Gegner erweist die letzte Ehre. Die Ivorer stülpen sich zum Warmmachen eigens angefertigte T-Shirts über mit der Aufschrift "In memoriam Robert Enke" über.

Der verletzte Kapitän Michael Ballack legt ein Trikot von Robert Enke mit der Nummer eins auf dem Rücken auf die deutsche Bank. Die für das Spiel vorgesehenen Tim Wiese und Manuel Neuer laufen mit den Nummern 12 beziehungsweise 23 auf.

Die Fans bleiben zurückhaltend

Als die Mannschaften das Feld angeführt von Schiedsrichter Björn Kuipers betreten, applaudieren die Fans in angemessener Form: Freudig, aber nicht euphorisch.

Vor den Hymnen spielt die Regie eine Art "Best of" von Enke ein. Bilder aus seinem Fußballer- und seinem Privatleben, unterlegt - wie sollte es anders sein - mit "You'll never walk alone".

Per Mertesacker wird später zugeben, dass "uns allen schon noch mulmig war, speziell nach dem Video." Der Bremer kämpft mit den Tränen, kann sie unterdrücken. Einige Ivorer dagegen lassen ihren Gefühlen freien Lauf.

Als das Spiel angepfiffen ist (Lukas Podolski: "Ich war richtig froh, als der Ball wieder rollte"), dauert es keine zwei Minuten, bis die Fans einen ersten Versuch starten, so etwas wie Stimmung zu verbreiten.

Ein Schmähgesang verdeutlicht, dass die Normalität zurückkehrt

Aber erst ein Schmähgesang für Borussia Dortmund wenige Minuten später brachte die frühe Erkenntnis: Alle Beteiligten sind auf dem Weg zurück in die Normalität. Das Spiel entwickelt sich flotter als befürchtet, besonders die deutsche Mannschaft zeigt eine ansprechende Leistung und liegt zur Pause verdient mit 1:0 in Führung.

Podolski hatte per Foulelfmeter getroffen und mit dem ausgestreckten Zeigefinger gen Himmel nochmal einen Gruß an Enke geschickt. "Jeder weiß, dass ich gläubiger Katholik bin. Das war für den Robert, der bestimmt da oben gesessen ist und uns zugeschaut hat", sagt Poldi später.

Pfiffe für Mario Gomez und die Mannschaft

Dass die Ivorer in der zweiten Halbzeit zwei Tore erzielen und der deutschen Mannschaft nur noch wenig gelingen mag, quittieren die Fans wie in den letzten Freundschaftsspielen mit wütenden Pfiffen. Ebenso wie die Einwechslung des Müncheners Mario Gomez. Weil Gomez Gomez ist oder weil er sein Geld bei den Bayern verdient? Es bleibt ein Rätsel. Wahrscheinlich wissen noch nicht mal die Fans, warum genau sie Gomez ausgepfiffen haben.

Wenigstens erzielt Podolski noch einen zweiten Treffer und sorgt für ein versöhnliches Ergebnis. Wobei das an diesem Tag doch so zweitrangig wie noch nie in der deutschen Länderspielgeschichte war.

"Es war nicht leicht, nach den Ereignissen der letzten Woche die Fußballschuhe wieder zu schnüren. Aber die Mannschaft hat engagiert gespielt. Man hat gesehen, dass sie das Spiel angenommen hat und gewinnen wollte. Mein Urteil fällt positiv aus", sagt der Bundestrainer nach dem Spiel.

Mertesacker blickt nach vorn

Auch Mertesacker hat eines seiner schwersten Spiel hinter sich, aber auch er kann dem Abend etwas Positives abgewinnen. "Die Sache mit Robert war natürlich eine große Last. Danach hat man gesehen, dass sein Tod noch in uns steckt, aber ich glaube, wir haben es ganz gut gemeistert. Die letzte Woche war sehr hart und intensiv für uns. Aber wir haben uns davon ein Stück weit befreien können."

Die deutsche Nationalmannschaft verabschiedet sich tröpfchenweise aus den Katakomben der Arena. Zurück bleibt eine Handvoll Journalisten, die sich auf den Monitoren Russlands Niederlage in Slowenien anschauen und die brennende Kerze auf dem Altar der Kapelle. Daneben liegt der Brief der Mannschaft an Robert Enke. Er endet mit den Worten, nein, mit dem Versprechen: "Wir sind ein Team. Und Du wirst immer ein Teil dieses Teams bleiben. Gezeichnet: Deine Nationalmannschaft."

Deutschland - Elfenbeinküste: Daten und Fakten