Müller: "Özil muss alle Freiheiten bekommen"

Von Für SPOX in Moskau: Stefan Rommel
Hansi Müller (52) spielter lange für den VfB Stuttgart und wurde 1980 mit Deutschland Europameister
© Getty

Wenn Kompetenz gefragt ist, ist er gefragt: Hansi Müller ist einer der wichtigsten Fußball-Experten des Landes. Der ehemalige Regisseur der deutschen Nationalmannschaft liebt eher die leisen, dafür aber umso gehaltvolleren Töne.

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EXKLUSIV Vor dem WM-Qualifikationsspiel zwischen Russland und Deutschland (ab 16.30 Uhr im LIVE-TICKER) weilt Hansi Müller in seiner Funktion als ausgesprochener Fachmann und Kenner der Nationalmannschaft und Joachim Löw in der russischen Hauptstadt.

SPOX traf den Europameister von 1980 im Moskauer Nobel-Restaurant "Bar Puschkin" zum Gespräch über den anstehenden Knaller im Luschniki-Stadion, seinen legitimen Nachfolger Mesut Özil und die ungewisse Zukunft von Bundestrainer Joachim Löw.

SPOX: Hansi Müller, gleich mal ans Eingemachte: Wie lautet Ihr Tipp für's Spiel?

Hansi Müller: Ich denke, es wird ein schmutziges 0:0. Dann freuen wir uns auf den kommenden Mittwoch, wenn wir Finnland schlagen und uns für die WM qualifizieren.

SPOX: Sie scheinen wenig Bedenken zu haben.

Müller: Es wird definitiv ein sehr enges und wohl auch heißes Spiel werden. Ich bemühe gerne die Statistik: Die Russen haben noch kein WM-Qualifikationsspiel zu Hause verloren, Deutschland noch keins auswärts verloren.

SPOX: Joachim Löw war auf der Pressekonferenz am Freitag relativ zurückhaltend, hat angedeutet, dass er das Spiel defensiv angehen will. Was denken Sie darüber?

Müller: Auf der einen Seite ist eine gewisse Bescheidenheit durchaus angebracht. In den letzten Länderspielen hat die Mannschaft schließlich nicht überzeugend gespielt, es gab einige Baustellen. Und er weiß auch, dass einige Spieler, auf die er setzt, nicht unbedingt in Topform sind. Dazu sind die Russen brandgefährlich und Guus Hiddink versteht es perfekt, die Mannschaft einzustellen. Auf der anderen Seite kann Jogi Löw aber auch selbstbewusst sein. Denn immer wenn es darauf ankommt, sind die Deutschen da. In der Gruppe hat die Mannschaft punktemäßig absolut überzeugt, sieben Spiele gewonnen, einmal unentschieden gespielt. Die Mannschaft hat ihre Hausaufgaben bis zum heutigen Tag gemacht. Deshalb kann man auch mit einem gewissen Optimismus an die Aufgabe rangehen.

SPOX: Ist der Niederländer Hiddink am Samstag der gefährlichste Russe?

Müller: Hiddink ist ein Held hier in Russland, er hat aus einem verzagten Haufen eine Topmannschaft geformt. Dazu kommt sein unglaubliches Taktikverständnis. Er wird im Vorfeld zumindest alles richtig machen...

SPOX: Ist es nicht gefährlich, sich ausgerechnet jetzt angeblich so stark auf diese eine Sache zu verlassen, die zuletzt ebenfalls nicht gut funktioniert hat: die Defensivarbeit?

Müller: Ich würde das, was Joachim Löw gesagt hat, nicht überbewerten. Er weiß genau, wie er die Sache angehen muss und wie er der Mannschaft die richtige Balance mit auf den Weg gibt. Dem Team hat er sicherlich ganz andere Dinge erzählt. Davon bin ich überzeugt. Es gibt überhaupt keinen Grund, mit eingezogenem Kopf auf den Platz zu laufen. Dafür ist die Mannschaft zu erfahren.

SPOX: Wo sehen Sie einen Vorteil gegenüber den Russen?

Müller: Der entscheidende Punkt ist: In dem Moment, wo die Russen spüren, dass der Gegner dagegenhält und nicht viel zulässt, liegt die große Chance der deutschen Mannschaft. Die Russen lassen sich sehr schnell den Schneid abkaufen. Das ist eine Mentalitätsfrage und diesen Makel konnten sie bis jetzt noch nicht so ganz abstreifen. Das wird der Knackpunkt sein.

SPOX: Wer wird die bestimmende Figur des deutschen Spiels?

Müller: Für mich kann es Özil sein. Er muss alle Freiheiten bekommen, die er braucht. Er muss für die Überraschungsmomente sorgen, mal einen Steilpass, ein Dribbling, einen Torabschluss wagen. Er ist der Spieler, nach dem wir lange gesucht haben. Für die Mannschaft in ihrer derzeitigen Zusammenstellung ist er ein sehr wichtiger Spieler.

SPOX: Was macht ihn so besonders?

Müller: Wir können alles andere auffangen: Durch Laufbereitschaft, Kampfgeist, starkes Zweikampfverhalten. Das können viele. Aber Özil ist derjenige, der das, was in dem einen oder anderen Spiel in der Vergangenheit gefehlt hat, jetzt mitbringt. Jetzt muss er auch Verantwortung übernehmen, das erwarte ich von ihm.

SPOX: Was passiert, wenn es gegen die Russen doch schief geht?

Müller: Zuerst mal müssten die Russen dann noch bei Berti Vogts in Aserbaidschan gewinnen... Aber wenn es trotzdem so sein soll, dann gibt es eben nochmal zwei Relegationsspiele, die wir erfolgreich bestreiten werden. Ich habe absolut keine Zweifel an der WM-Teilnahme.

SPOX: Und wenn es auch über den zweiten Bildungsweg nicht klappen sollte mit der Qualifikation? Was wird dann aus Jogi Löw?

Müller: Nur für den Fall, dass es nicht klappen sollte: Jogi hätte dann so viel persönliche Reife und Stärke, dass er Größe zeigen würde und womöglich freiwillig seinen Stuhl räumen würde. Aber er wäre selbst dann kein Loser. Er hätte seinen Job auf seine Art gemacht. Aber nochmal: So weit wird es nicht kommen. Deutschland wird bei der Weltmeisterschaft dabei sein - auf welchem Weg auch immer und dort auch eine sehr gute Rolle spielen.

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