BVB - Zehn Jahre nach Polizeigewalt in Sevilla: Ein betroffener Dortmund-Fan im Interview

Beim BVB-Spiel in Sevilla kam es 2010 zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Dortmunder Fans.
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Zurück in Deutschland beantragten Sie 2011 ein polizeiliches Führungszeugnis - und dort wurde die spanische Verurteilung doch aufgeführt. Hatten Sie selbst diese Idee oder bekamen Sie einen Tipp dazu?

Bernd W.: Die Fanabteilung hat uns darauf hingewiesen, dass wir über sie auf anwaltliche Hilfe zurückgreifen können. Die Rechtswissenschaftlerin Dr. Alexandra Schröder hat damals zu den Geschehnissen und dem Thema Polizeigewalt in Spanien promoviert, zudem waren mit Professor Dr. Thomas Feltes, der seinerzeitige Leiter des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und dem Münchner Rechtsanwalt Marco Noli drei Personen von Anfang an direkt beteiligt. Auf deren Initiative hin habe ich das Führungszeugnis beantragt.

Andere Betroffene hatten automatisch ein Schreiben vom Bundesamt für Justiz bekommen und wurden darin über die Eintragung der Verurteilung in Spanien im Bundeszentralregister informiert.

Bernd W.: Bei mir war das zunächst nicht der Fall. Der Tatvorwurf gegen mich wurde erst klar, nachdem wir eine deutsche Übersetzung des Urteils in Auftrag gegeben hatten und ich das Führungszeugnis bekam. Ich soll beim Betreten des Stadions versucht haben, über ein Absperrgitter zu springen und dabei einen Polizisten angegriffen haben.

Wie lange wäre die Eintragung denn bestehen geblieben?

Bernd W.: Drei Jahre im Führungszeugnis und elf Jahre im Bundeszentralregister.

Sie legten daraufhin beim Bundesamt für Justiz sowie beim Bundesjustizministerium Beschwerde ein mit der Begründung, die spanische Schnellverurteilung weise schwere rechtsstaatliche Mängel auf und dürfe daher nicht im Führungszeugnis geführt sein. Doch die Behörden sowie 2012 das Kammergericht Berlin zweifelten nicht an der Rechtmäßigkeit des spanischen Verfahrens. War Ihnen da schon klar, dass Sie alle Mittel ausschöpfen würden, um Gerechtigkeit zu erfahren?

Bernd W.: Ja. Frau Schröder hat mich darauf hingewiesen, dass das so nicht hinnehmbar sei. Es hieß, auch wenn die Erfolgsaussichten gering sind, könne man etwas machen und es zumindest versuchen. Ich selbst war damals weiterhin fassungslos, dass wir in einem EU-Land auf diese Art und Weise behandelt wurden, nur weil wir Deutsche und Fußballfans sind. Als ich dann erfuhr, dass alle anwaltlichen Kosten übernommen werden, wollte ich diesen Weg mitgehen. Wir hatten ja nichts zu verlieren.

Wie machtlos fühlten Sie sich nach diesen ersten Urteilen?

Bernd W.: Ich hatte das Gefühl, dass es in Deutschland niemanden interessiert, was ich als deutscher Staatsbürger zu dem Fall zu sagen habe. Die glauben einfach den Spaniern, so fühlte sich das im ersten Moment an. Zumal es ja wie erwähnt nachweislich nicht der einzige Fall von Polizeigewalt in Spanien gegen deutsche Fans war.

Wie sind die anderen Betroffenen verfahren?

Bernd W.: Manche haben nichts gegen die Eintragung unternommen, andere sind den Weg mit Frau Schröder, Herrn Feltes und Herrn Noli mitgegangen. Mein Fall war aber sozusagen das Paradebeispiel, das für die grundsätzliche Anfechtung des Urteils herangezogen wurde.

Bevor das Bundesverfassungsgericht eingreifen konnte, mussten Sie alle möglichen behördlichen und gerichtlichen Instanzenzüge durchlaufen - was jeweils erfolglos war. Wie sehr waren Sie in dieses ganze Prozedere involviert?

Bernd W.: Vieles lief im Hintergrund ohne meine direkte Beteiligung. Es war daher nicht permanent präsent bei mir, da teils auch jahrelang so gut wie gar nichts passierte. Ich wurde bei unterschiedlichen Dingen immer wieder um Einverständnis und Unterschriften gebeten. Für mich stand von Beginn an ohnehin fest: In den nächsten elf Jahren wird bei mir keine Eintragung hinzukommen und danach wird dieser - ich sage es mal, wie es ist - Scheiß auch endlich wieder gelöscht.

Da der Rechtsweg erschöpft war, wurde der Weg zum Bundesverfassungsgericht frei. Dieses urteilte im Januar 2017, dass das Berliner Gericht das spanische Verfahren hätte prüfen müssen. Es war falsch, davon auszugehen, dass es rechtsstaatlichen Mindeststandards genügte. Wie erleichtert waren Sie wenn man bedenkt, dass weniger als zwei Prozent der eingelegten Verfassungsbeschwerden erfolgreich sind?

Bernd W.: Extrem erleichtert. Es gab mir von behördlicher Seite erstmals das Gefühl, dass man sich der Sache einmal vernünftig angenommen hat und uns Gehör geschenkt wurde, anstatt sozusagen blind darauf zu vertrauen, dass es schon rechtens gewesen sein muss, was in Spanien passierte.

Der Fall wurde dann zur Neuverhandlung an das Berliner Kammergericht zurückgegeben. Über drei Jahre später, am 27. Mai 2020, hat dieses dann Ihrer Klage auf Löschung der Eintragung stattgegeben. Die Begründung lautete, "dass im vorliegenden Fall die Vermutung, dass grundsätzlich von der Richtigkeit von Strafurteilen europäischer Mitgliedsstaaten ausgegangen werden kann, erschüttert ist". Wie erfuhren Sie davon?

Bernd W.: Frau Schröder rief mich an. Da wurde mir auch so richtig klar, was das eigentlich bedeutet und dass damit ein echter Präzedenzfall geschaffen wurde, der künftig anderen Betroffenen weiterhelfen kann. Sechs weitere Betroffene sind dann denselben Weg mit Frau Schröder gegangen, auch bei ihnen wurden die Eintragungen auf Antrag von Herrn Feltes gelöscht. Ich empfand daher Freude und Genugtuung, da ich erst zu diesem Zeitpunkt sicher war, dass mir doch noch jemand glaubt. Es kam mir in all den Jahren immer wieder so vor, als dachte man, ich hätte mir alles nur ausgedacht - teils selbst im privaten Bereich. Es hieß häufig: Du kannst viel erzählen, du musst ja etwas gemacht haben, denn die Polizei hat immer Recht.

War denn irgendwann abzusehen, dass es auf dieses Urteil hinauslaufen würde?

Bernd W.: Nein, das kam sehr überraschend, da ja auch die Prognosen im Vorfeld nicht rosig waren. Selbst die Anwälte haben damit in dieser Form nicht gerechnet. Es hat mich natürlich auch sehr gefreut, dass deren jahrelange Arbeit belohnt wurde. Am selben Tag traf ich mich mit meinen drei Kumpels und habe bei einem Bierchen darauf angestoßen. Auch für sie war das ja leider ein unvergessliches Erlebnis.

Würden Sie sich wünschen, dass die Polizeibeamten, die in Sevilla gegen grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verstoßen haben, bestraft werden?

Bernd W.: Ja. Es nervt mich total, dass sie ohne Strafe davongekommen sind. Sie haben ihre Machtposition ausgenutzt und uns fertiggemacht, ohne dass wir etwas getan hatten. Das ist für mich eigentlich das viel schlimmere Vergehen. Gerade im Ausland wurde mir bewusst, dass die Polizei nicht zwingend dein Freund und Helfer ist - besonders, wenn man Deutscher ist. Ich habe anschließend auch in der ersten Zeit die Polizisten in Deutschland mit einem anderen Auge und nicht mehr als die Respektspersonen gesehen, die sie eigentlich sein sollten.

Zahlreiche BVB-Fans erlitten aufgrund des resoluten Vorgehens der Polizei Verletzungen.
© IMAGO / Sven Simon
Zahlreiche BVB-Fans erlitten aufgrund des resoluten Vorgehens der Polizei Verletzungen.

Sind Sie danach weiter zu Auswärtsspielen ins Ausland gereist oder hatte Sie dieser Vorfall abgeschreckt?

Bernd W.: Nein, ich hatte mir ja nichts vorzuwerfen und alle anderen Reisen waren auch wunderschön. Es gab beispielsweise in Marseille oder Manchester ähnlich brenzlige Situationen, aber dort habe ich nichts Vergleichbares mehr erlebt. Gerade im Ausland achtete ich darauf, mich noch dezenter im Hintergrund aufzuhalten. Bis 2014 bin ich überall mitgefahren, anschließend nahm das aufgrund persönlicher Gründe ab.

Wie sehr verfolgt Sie all das, was Ihnen in Sevilla widerfahren ist, heute noch?

Bernd W.: Ich kann mich an fast jede Sekunde noch sehr gut erinnern. Daher habe ich diesem Gespräch auch zugestimmt, da ich es richtig und wichtig finde, unser Schicksal noch einmal zu thematisieren. Ich habe die negativen Gefühle und Gedanken von damals aber nicht mehr in meinem Kopf. Ich bin mir aber sicher, dass es mich ganz anders belastet hätte, wenn ich das alles allein hätte durchstehen müssen.