Yoann Gourcuff: Der schmutzige Hotelier

Von Florian Bogner
Yoann Gourcuff führte Girondins Bordeaux 2009 mit 24 Scorer-Punkten zum Meistertitel
© Getty

Bayerns Champions-League-Gegner Girondins Bordeaux (20.30 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY) lebt vor allem von Spielmacher Yoann Gourcuff, der bereits mit dem großen Zidane verglichen wird. Dabei galt der 23-jährige Bretone bereits als gescheitert.

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Es war eines dieser außergewöhnlichen Tore, das Christophe Dugarry am 11. Januar 2009 seinen Job kurz vergessen ließ. Eines, das man nicht alle Tage zu sehen bekommt.

Beim Spiel Girondins Bordeaux gegen Paris St. Germain steht es 2:0, da bekommt Yoann Gourcuff den Ball am Strafraum zugespielt. Was danach passiert, beschreiben die französischen Zeitungen später als "Zidane-Moment", oder als schlichtweg "magisch".

Mit dem Rücken zum Tor nimmt Gourcuff die Pille an, lässt sie in der Drehung zwischen den Beinen pendeln, degradiert damit zwei Gegner zu Statisten, lässt in Sekundenbruchteilen zwei weitere Körpertäuschungen folgen und schlenzt den Ball final mit dem rechten Außenrist ins Netz. Fünf Ballberührungen in nicht mal zwei Sekunden.

Gourcuffs Traumtor im Video

Ein Tor, das nicht nur den Girondins-Fans den Atem raubte. Und Dugarry, den Fernsehexperten, seine Handschuhe ausziehen ließ, um noch lauter applaudieren zu können. "Dieses Tor war kein Zufall", wird Dugarry später sagen: "Es hat gezeigt, dass Gourcuff etwas Magisches an sich hat."

Gourcuff dieses Tor schießen zu sehen, habe ihn sehr berührt. "Wenn ich so einen Spieler sehe, fühle ich mich wieder wie ein kleiner Junge." Ein Gefühl, dass er zuletzt bei seinem Freund Zinedine Zidane hatte.

Auch Blanc bemüht den Zidane-Vergleich

Ebenso kein Zufall war es, dass dieser Treffer im Sommer zum Tor der Saison gewählt wurde. Und Gourcuff zum Spieler des Jahres in Frankreich. Mit zwölf Toren und ebenso vielen Assists hatte der 23-Jährige Girondins gleich in seiner ersten Saison zum ersten Titelgewinn seit 1999 geführt und die Ligue 1 dabei spielerisch derart bereichert, dass selbst sein Coach Laurent Blanc nicht an einem Zidane-Vergleich vorbei kam.

"Gourcuffs und Zidanes Ballbehandlung ist sehr ähnlich. Man muss nur vergleichen, wie eng sie den Ball führen. Außerdem benutzen beide sehr oft die Sohle für ihr Spiel", beschreibt Zidanes alter Weggefährte die Übereinstimmungen. Selbst die eher zurückhaltende "L'Equipe" warf nach Gourcuffs Tor gegen PSG alle Vorsicht über Bord und titelte am nächsten Tag mit: "L'successeur!", der legitime Nachfolger.

Ein echtes Aschenputtel-Märchen, galt der offensive Mittelfeldspieler doch ein paar Monate zuvor schon als gescheitert. Aus der Wiege seines Vaters Christian, der ihn als Trainer von Stade Rennes zum Profi formte, hatte es den damals 19-Jährigen 2006 nach Italien zum AC Milan getrieben, wo er in zwei Spielzeiten allerdings nie Fuß fassen konnte.

Ancelotti: Gourcuff hatte mentale Probleme

Angesichts der Konkurrenz von Kaka, Clarence Seedorf oder Andrea Pirlo im offensiven Mittelfeld mag man 36 Einsätze in zwei Jahren nicht als großes Scheitern werten. Für den ambitionierten Gourcuff, der zuvor mit Frankreich U-19-Europameister geworden war und bei Stade Rennes als Nummer 10 agierte, war es das aber.

Dazu kam, dass Milan-Coach Carlo Ancelotti nicht an Gourcuffs fußballerischen Fähigkeiten, wohl aber an dessen mentalen Fähigkeiten zweifelte. Als zu unreif, zu mimosenhaft und zu unkonstant beschrieb Ancelotti den Franzosen, der sich 2008 nach Bordeaux ausliehen ließ, um mehr Spielpraxis zu bekommen.

Nichtsdestotrotz hatte Gourcuff einiges an Erfahrung aus Mailand mitgenommen. "Was ich dort erlebt habe, war außergewöhnlich. Der Fußball, die Stadt, das Land - alles war atemberaubend. Ich hoffe, eines Tages dorthin zurückkehren zu können", sagte Gourcuff zum Abschied. Sein Vater Christian schätzt die Lehrjahre bei Milan so ein: "Bei Milan hat er an Reife gewonnen, die manche nicht in 15 Jahren sammeln."

Gallianis großer Fehler

Einer der größten Fehler von Adriano Galliani war es wahrscheinlich, im Leihvertrag eine Kaufoption über 15 Millionen Euro für Girondins zu verankern. "Wir drücken die Daumen, dass Bordeaux die Option nicht zieht", bekannte Galliani nach Gourcuffs Tor im Januar. Auch der FC Bayern und der FC Chelsea sollen damals an Gourcuff interessiert gewesen sein.

Im Juli, als Girondins dann doch ernst machte und Gourcuff mit einem Vier-Jahres-Vertrag ausstattete, behauptete Galliani dann plötzlich, er wäre nur "geringfügig traurig" darüber. Alles in allem sei Gourcuff für Milan ein gutes Geschäft gewesen, weil er für das Fünffache der Ablösesumme, die die Italiener 2006 an Rennes gezahlt hatten, weiter verkauft wurde.

Gourcuff blühte im weinroten Bordeaux-Trikot erst richtig auf und verzauberte die Massen mit seinem Antritt, seiner technischen Raffinesse und seinen präzisen Pässen. Sein erstes Länderspieltor erzielte er im Oktober 2008 gegen Rumänien - ein satter Strich aus 30 Metern, das seither als sein zweitschönstes Tor gilt, nach dem Zaubertrick gegen PSG.

Domenech lobt seinen Shooting-Star

Unter Nationalcoach Raymond Domenech bekleidet Gourcuff seit diesem Jahr die zentrale Rolle hinter den Spitzen. Er ist damit der erste, der diese Position seit dem Karriereende von Zinedine Zidane spielen darf.

"Talent hatte er immer schon, so etwas verschwindet nicht über Nacht. Er ist auch nach dem schwierigen Aufenthalt in Italien noch derselbe, er hat sich nicht verändert. Bei ihm spürt man immer die Liebe zum Spiel", lobt Domenech seinen neuen Heilsbringer, in dem nicht wenige den Schlüssel für die kommenden WM-Playoff-Spiele gegen Irland sehen.

Blanc und Domenech schätzen an ihm vor allem seine Bodenständigkeit, die ihn Extravaganz nur mit dem Ball am Fuß ausleben lässt. Auch wenn Gourcuff - ähnlich wie Cristiano Ronaldo - schon das ein oder andere Foto-Shooting hinter sich hat, und wegen seines Aussehens eine ganze Schar weiblicher Fans sein eigen nennt, ist er bisher nicht abgehoben.

Ein Hotel in der Bretagne

"Natürlich, ich habe Geld. Aber das ist nicht das Ziel meines Lebens. Ich habe etwas in Immobilien investiert, aber ohne irgendwelche Verrücktheiten. Ich möchte beide Beine auf dem Boden behalten", sagt Gourcuff.

Durch seine Zeit bei Milan sei er auch auf dem Platz reifer geworden, erwachsener. "Ich habe nach und nach gelernt, meinen Ehrgeiz und meinen Einsatz in die richtige Bahn zu lenken. Früher war ich zu verspielt. Auf Anraten meines Vaters versuche ich nun, ein wenig öfter den Mund zu halten, da ich auf dem Platz einen sehr schmutzigen Charakter habe", so Gourcuff.

In der Bretagne, wo die Gourcuffs herkommen, ist er bereits jetzt schon, mit 23 Jahren, so was wie ein Landespatron. 2008 wurde er zum Bretonen des Jahres gewählt - noch vor Literatur-Nobelpreisträger Jean-Marie Gustave Le Clezio. Und seine Karriere will er auch in der alten Heimat beenden, bei Rennes oder Lorient.

Auch die Zeit nach der Karriere ist verplant. Gourcuff: "Was danach kommt? Ein Restaurant oder ein Hotel eröffnen. Wo? Natürlich in der Bretagne!"

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