Kolumne: 13 Klubs droht die Insolvenz - Bringt das Corona-Virus auch 50+1 zu Fall?

Bei den Fans unverhandelbar, durch das Coronavirus in Gefahr? Die 50 plus 1-Regel.
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Weil sie jahrelang von der Hand in den Mund gelebt haben, droht fast der Hälfte der Erst- und Zweitligisten aufgrund der Corona-Pandemie die Insolvenz - die Lage ist dramatisch. Eine Rettung könnte die Abkehr von "50+1" sein, doch der Einstieg von Investoren birgt viele Gefahren. Die Fußball-Kolumne.

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Es hat viele nicht verwundert, dass sich Andreas Rettig in den vergangenen Wochen in mehreren Medien mit ausführlichen Gastkolumnen zu den Auswirkungen der Corona-Krise auf den Profi-Fußball geäußert hat. Denn die massiven wirtschaftlichen Folgen der Pandemie bedrohen auch eines der Lieblingsthemen von Rettig, der bis vergangenen Herbst Geschäftsführer beim FC St. Pauli war: Die 50+1-Regel.

Fast genau zwei Jahre ist es her, dass Rettig seinen größten Erfolg bei diesem Herzensanliegen verbuchen konnte: Bei der DFL-Versammlung Ende März 2018 überlistete er die Mehrheit der damals laut der Welt "bräsig dahinvegetierenden" Vereinsvertreter und schaffte Fakten. "Etliche Klubs gaben ein erbärmliches Bild ab", kommentierte die Zeitung danach. "Die überraschende Abstimmung über die 50+1-Regelung zeigt, wie tief der Riss im deutschen Profifußball ist."

Horst Heldt über 50+1: "Sinnvoll, das ganze System zu hinterfragen"

Der Coup der Befürworter der Investorensperre könnte sich allerdings als kurzlebig erweisen, denn die finanziellen Probleme fast aller Mannschaften hat die Tür für externe Geldgeber weit aufgemacht. "Von interessierter Seite wurde dieser Tage eine Lanze für Investorenklubs gebrochen. Diese könnten die Krise besser meistern und seien damit das Zukunftsmodell", schrieb Rettig daher im kicker. Doch die "nach jedem Strohhalm greifenden Klubs" dürften nicht "die sozialen, kulturellen und historischen Wurzeln und damit ihre Seele in der Not verkaufen".

Das wolle auch niemand, betonte Horst Heldt schon unmittelbar nach der Saisonunterbrechung Mitte März. "Ich bleibe Fußballromantiker", sagte Kölns Sportchef. Er glaube aber, "dass es immer sinnvoll ist, in Krisen das ganze System zu hinterfragen".

Sein einstiger Boss beim vorherigen Arbeitgeber Hannover 96 hinterfragt das System schon etwas länger. Martin Kind ist ein erklärter Gegner von 50+1 und hat schon mehrfach mit dem Gang vor ein ordentliches Gericht gedroht, um die juristisch umstrittene Regelung zu Fall zu bringen. Auch jetzt plädiert Kind für eine Abschaffung, um das Überleben der meisten Vereine zu sichern, weil diese jahrelang "von der Hand in den Mund gelebt" hätten.

Corona-Krise: 13 Vereinen droht bis Juni die Insolvenz

Abseits von Bayern München und Borussia Dortmund sieht es tatsächlich düster aus: Fast alle anderen Klubs aus den ersten drei Ligen meldeten bereits nach wenigen Wochen des Stillstands Kurzarbeit an oder haben das geplant. Vier Bundesligisten und neun Zweitligisten droht die Insolvenz, wenn die Saison nicht bald zu Ende gespielt wird und dementsprechend rund 600 Millionen Euro an TV- und Sponsoringeinnahmen fehlen.

Wie dramatisch die Lage ist, wurde den 36 Profiklubs laut kicker auf einer Video-Mitgliederkonferenz der DFL am Dienstag deutlich gemacht: Sieben Zweitligisten wären Ende Mai zahlungsunfähig, sollte bis dahin nicht wieder gespielt werden, zwei weiteren Klubs droht im Juni ein ähnliches Schicksal. Der Grund: Die nächste Rate an Fernsehgeldern wäre eigentlich Anfang Mai fällig.

Im Oberhaus soll die Lage für einen nicht näher benannten Verein schon im Mai kritisch werden, drei weiteren Klubs droht im Juni der Konkurs. Zwölf Klubs sollen die vierte Fernsehrate der Saison bereits abgetreten haben, um ihre Rechnungen zu zahlen.

"Heuschrecken" planen Einstieg im deutschen Fußball

Wäre eine Insolvenz in Eigenverwaltung die Lösung, wie sie derzeit beim Karlsruher SC diskutiert wird? Möglich machen solche Gedankenspiele die kürzlich beschlossenen Lockerungen der DFL bei der Lizenzierung, wonach eine Pleite in der laufenden Saison nicht automatisch einen Abzug von neun Punkten nach sich zieht. Doch um wieder eine Perspektive zu gewinnen, muss danach rasch frisches Geld her - ein mögliches Einfallstor für alle Arten von Geldgebern bis hin zu sogenannten "Heuschrecken".

Private-Equity-Unternehmen wie der einstige Hertha-Mitbesitzer KKR oder der beim AC Mailand eingestiegene US-Hedgefonds Elliott sind angeblich konkret auf der Suche nach einem Einstieg in Deutschland. "Dass die Bundesliga im Fokus steht, ist klar", sagte der Investment-Experte Martin Wolf dem kicker. "Da in den meisten anderen europäischen Ländern, selbst in Belgien und Österreich, kaum noch Vereine zu kaufen sind, ist es weiterhin eine Frage der Zeit, bis sich der deutsche Markt für Investoren öffnet und 50+1 angepasst wird."

Auch der Sportökonom Dr. Christoph Breuer von der Kölner Sporthochschule glaubt, dass nur Investorenbeteiligungen das Überleben der Klubs nach Corona sichern können: "Ich kann natürlich auch mit der 50+1-Regel Investoren suchen, die dann halt nicht die Stimmenmehrheit übernehmen. Aber es würde zusätzliche Möglichkeiten geben, wenn es die Regelung nicht gäbe."

Windhorst, Kühne und andere scharren mit den Hufen

So erklärte Lars Windhorst, dessen Tennor Holding seit Sommer 49,9 Prozent der Hertha BSC Fußball KGaA gehören, ohne 50 plus 1 werde der Wert seines Investments "in eine ganz neue Dimension vorstoßen". Ein Zwischenschritt könnte bei vielen Vereinen die Aufweichung der bisherigen Sperrklauseln sein. So würde HSV-Gönner Klaus-Michael Kühne sofort seine bislang bei 24,9 Prozent gedeckelten Anteile erhöhen.

Und selbst beim FC Bayern könnte man im Notfall darüber nachdenken, die bisherigen 25 Prozent Anteile der drei Eigner Allianz, adidas und Audi zu erhöhen. In dieses Bild passt das jüngste Plädoyer von FCB-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge für eine Lockerung der Financial-Fairplay-Regularien: "Man müsste möglicherweise Investoren gestatten, dass sie frisches Geld in die Vereine bringen, um fürs Überleben der Klubs zu sorgen."

Sein einstiger Gegenspieler Rettig wird das ebenso wie die Ultras und zahlreiche andere Traditionalisten mit Grauen hören. Schließlich würde so nicht nur ein bedeutender Teil der deutschen Fußballkultur preisgegeben, sondern auch das Dogma, dass die Mitglieder am Ende immer die Mehrheit bei ihrem Verein besitzen. Ganz abgesehen von der offensichtlichen Gefahr, dass viele Investoren nur auf Profitmaximierung setzen und damit am Ende wie in anderen Ländern verbrannte Erde hinterlassen.

Derzeit hoffen viele Anhänger daher vor allem, dass die Krise an den internationalen Finanzmärkten auch bei "Heuschrecken" und anderen Investoren solch nachhaltigen Schaden hinterlässt, dass diesen vorerst schlicht die Mittel zum großflächigen Angriff auf 50+1 fehlen.

Am Ende der Corona-Krise wird aber vermutlich nicht die Tradition, sondern der Blick aufs Konto entscheiden, ob die Regel fällt. Oder wie es der Lyriker und bekennende Fan Bertolt Brecht ("Fußball ist wie alle große Kunst einfach") für alle Zeiten gültig formulierte: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral."

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