Peter Bosz zurück in der Bundesliga: Der unvollendete Kreativling will es allen beweisen

Von Dennis Melzer
Peter Bosz will mit Bayer Leverkusen in der Bundesliga durchstarten.
© imago

Peter Bosz ist zurück in der Bundesliga. Bei Bayer 04 erhofft man sich kreativen Offensivfußball, wie Simon Rolfes uns erklärte. Ein riskanter Plan? Direkt zum Start wartet auf den Niederländer das brisante rheinische Derby gegen Borussia Mönchengladbach (ab 15.30 Uhr im LIVETICKER).
 

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Er wusste, was die Stunde geschlagen hatte, grub sich an diesem regnerischen Samstagnachmittag im Dezember 2017 tief in seine schwarze Daunenjacke ein. Die Anweisungen, die Peter Bosz seinen Schützlingen zurief, wenn er sich dann doch dazu entschloss, die metaphorisch wackelnde Trainerbank zu verlassen, verhallten zwischen den Wutbekundungen der eigenen Fans im Signal Iduna Park. Der hilflos wirkende, stets sympathische Niederländer löste mit seinem traurigen Erscheinungsbild reflexartig ebenjenes Gefühl aus, das man in Bezug auf einen Coach niemals haben sollte: Mitleid.

Im Anschluss an das 1:2 an besagtem Tage gegen Werder Bremen beendete Borussia Dortmund die Zusammenarbeit mit Bosz, der mit vielen Vorschusslorbeeren von Ajax ins Revier gewechselt war. Neun Pflichtspiele war er zuvor ohne Dreier geblieben, schied kläglich aus der Gruppenphase der Champions League aus. Auch das schon jetzt legendäre 4:4 gegen den FC Schalke 04, bei dem die Königsblauen einen 0:4-Rückstand noch in ein Remis verwandelten, fand unter seiner Ägide statt.

Die niederschmetternde Bilanz der BVB-Verantwortlichen: Man habe mit Bosz "danebengelegen", wie Hans-Joachim Watzke kurz nach der Trennung bei 1909 - der schwarzgelbe Talk erklärte.

Nun ist Bosz zurück in Deutschland, heuerte kurz vor Weihnachten bei Bayer Leverkusen an, das Trainer Heiko Herrlich nach zuletzt ansteigender Formkurve, einer insgesamt aber mäßigen Vorrunde, vor die Tür gesetzt hatte. "Ich war noch nicht fertig", begründete der 55-Jährige sein abermaliges Engagement in Deutschlands Beletage. "Ich wollte zurück in die Bundesliga. Die Zeit in Dortmund war viel zu kurz. Ich glaube, die Menschen hier haben noch nicht den richtigen Peter Bosz gesehen."

Den "richtigen" Peter Bosz möchte der Unvollendete nun in der Farbenstadt gänzlich zeigen, seinen Vollgas-Spielstil zur Entfaltung bringen, im Idealfall perfektionieren. Simon Rolfes, Nachfolger von Jonas Boldt als Sportdirektor bei der Werkself, verriet SPOX und Goal, was man sich an der Dhünn vom neuen Übungsleiter verspricht: "Peter verfolgt einen offensiven Ansatz, seine Art des Fußballs steht für Kreativität, scharfes Passspiel, für Druck auf den Gegner." Der ehemalige Nationalspieler schob nach: "Er will den Ball haben, kombinieren - das ist sehr attraktiv für den Zuschauer."

Offensiv-Philosophie wird Bosz beim BVB zum Verhängnis

Tatsächlich steht der gebürtige Apeldoorner bekanntermaßen für bedingungslosen Offensivfußball. Eine Philosophie, die ihm in Dortmund allerdings zum Verhängnis wurde. Nachdem die ersten Bundesliga-Partien noch für Verzückung im schwarz-gelben Lager gesorgt hatten, weil unter anderem Borussia Mönchengladbach mit 6:1 abgeschossen wurde und Köln mit einem 0:5 im Gepäck zurück nach Müngersdorf reisen musste. Fünf Begegnungen im deutschen Oberhaus wahrte seine Truppe zu Beginn der Spielzeit gar eine weiße Weste. Im Anschluss hagelte es dafür 23 Gegentreffer in zehn Spielen - nur in der Liga, wohlgemerkt.

Die Gegner hatten den Bosz-Code, wenn man ihn denn so nennen mag, schneller entschlüsselt als gedacht, erkannt, dass der einstige Feyenoord- und Rostock-Profi - offenbar alternativlos - nur eine Richtung kannte: nach vorne, ohne Wenn und Aber. "Vielleicht war ich zu naiv", mutmaßte er nach seiner Entlassung im niederländischen TV, bei RTL 7. Eine Naivität, die er in Leverkusen nicht mehr an den Tag legen will: "Die Fehler, die ich bei Dortmund gemacht habe, muss und darf ich nicht in Leverkusen wiederholen, sondern aus dieser Erfahrung lernen."

Inwiefern sich diese Lernfähigkeit äußert, bleibt natürlich abzuwarten. Seine Grundphilosophie wird Bosz erwartungsgemäß nicht über den Haufen werfen, ließ zuletzt beim 3:1 im Testspiel gegen Zwolle durchblicken, wie sein zukünftiges Grundgerüst im präferierten 4-3-3-System aussehen könnte. Namhaft, mit geballter Power im Spiel nach vorne. Die ballsicheren und hochbegabten Kai Havertz und Julian Brandt im Mittelfeld, dahinter Kämpfer Charles Aranguiz, in der Spitze wirbelten die pfeilschnellen Leon Bailey und Karim Bellarabi auf Außen, Kevin Volland komplettierte das Ganze.

Vor allem Bailey profitierte in der kurzen Vorbereitung von Bosz' ansehnlich-risikobehafteter Ausrichtung, erzielte in drei Freundschaftskicks drei Tore. "Mehr Angriffsfußball, das ist meine Art zu spielen. Ich beginne wieder, ich zu sein, das ist das Wichtigste", sagte der Jamaikaner, der nach einer starken, bisweilen herausragenden Vorsaison, in der laufenden Spielzeit enttäuschte. Dass Bailey laut eigener Aussage wieder er sein kann, hängt offenkundig mit einer kleinen Umstellung zusammen, die Bosz gleich zu Beginn seiner Amtszeit vornahm, den Flügelflitzer rechts aufbot. "Ich habe immer gesagt, dass rechts meine beste Position ist. Dort fühle ich mich wohl. Und wenn sich ein Spieler wohlfühlt, kann er viele Dinge machen", gab Bailey jüngst preis.

Peter Bosz wollte Leon Bailey zu Ajax holen

Bosz selbst scheint von dem 21-Jährigen sehr angetan. Im Gespräch mit SPOX und Goal sagte er: "Er hat definitiv die Fähigkeiten, in unserem System zu spielen. Er ist offensiv ausgerichtet, sehr schnell und hat einen guten Abschluss. Leon ist zudem technisch versiert, das macht ihn interessant." Zudem verriet er, dass er den Offensivmann schon vorher gerne unter seine Fittiche genommen hätte: "Ich kenne ihn schon länger. Bevor er zu Leverkusen gegangen ist, haben wir mit Ajax versucht, ihn zu bekommen. Aber Bayer hat uns damals ausgestochen."

Warum der sprintstarke Youngster in der ersten Saisonhälfte sein Potenzial nicht vollumfänglich abrufen konnte, kann Bosz nicht beurteilen. "Was vorher passiert ist, weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, dass er Teil meines Kaders ist und seine Sache bislang sehr gut gemacht hat." Dementsprechend zurückhaltend gibt sich Bosz auch bei einer Prophezeiung: "Ich arbeite erst seit zehn Tagen mit ihm zusammen, deshalb ist es schwierig, vorherzusagen, wie es läuft. Aber ich glaube, er ist in der Lage, eine gute Rückrunde zu spielen."

Bei der Unternehmung, Bailey wieder in die Spur zu bringen, soll helfen, den Linksfuß auf rechts und Rechtsfuß Bellarabi als Pendant links einzusetzen. Bosz erhofft sich auf diese Weise mehr direkte Torgefahr der Außenbahnspieler zu generieren. "Im modernen Fußball schießt nicht mehr nur der Stürmer die Tore. Man sieht mehr und mehr, wie die Spieler von außen in die Mitte kommen und den Abschluss suchen", betonte Bayers Neu-Trainer nach dem Triumph über Zwolle. Er stellte zudem klar: "Für mich ist wichtiger, welche Spieler ich zur Verfügung habe und wie man mit ihnen am besten attraktiven, offensiven Fußball spielen kann." Das passende "Material", finde er in Leverkusen vor.

Sven Bender vergleicht Bosz-Philosophie mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel

Nicht nur Bailey ist indes voll des Lobes für Bosz, auch Routinier Sven Bender, der einige Tage nachdem der Ex-Amsterdamer damals beim BVB aufgeschlagen war, zu Bayer 04 ging, geriet zuletzt ins Schwärmen und gab eine Anekdote zum Besten: "Mein Wechsel nach Leverkusen hatte nichts mit dem Trainer zu tun. Vielmehr war ich sehr angetan davon, dass er mich damals angerufen, viel Glück gewünscht und gesagt hat, dass er gerne mit mir zusammengearbeitet hätte. Das fand ich supercool und respektvoll von ihm. Ich rechne es ihm hoch an."

Bender weiß jedoch auch um die gewaltigen Änderungen, auf die er und seine Kollegen sich einstellen müssen. Natürlich sei man sich im Klaren, "dass die Vorbereitung mit dem neuen Trainer kurz war. Er hat eine andere Herangehensweise, wie wir den Gegner zustellen und spielen", sagte der Defensivmann weiter und ergänzte: "Die Eindrücke in den ersten Spielen, die jeder gemacht hat, waren gut, aber es muss sicher weiter zusammenwachsen. Wir müssen das System immer mehr verinnerlichen und schauen, dass wir es so gut wie möglich gleich aufs Parkett bekommen."

Der 29-Jährige verglich die Bosz'sche Spielweise mit der Marschroute, die er schon bei zwei seiner ehemaligen Trainer wahrnahm: "Das Pressing ähnelt dem, das ich zu Dortmunder Zeiten unter Jürgen Klopp gespielt habe. Natürlich ist es nie ganz gleich. Kein Trainer lässt genauso spielen wie der andere. Aber bestimmte Abläufe sind auf jeden Fall ähnlich. Im Ballbesitz erinnert mich das System dann wiederum an das von Thomas Tuchel. Für mich ist deshalb nicht alles ganz neu, aber dennoch komplett anders."

Bosz: "Bayer Leverkusen muss in Europa spielen"

Damit die neue Equipe seinen Kurs schnell verinnerlicht, bevor es am Samstag erstmals ernst wird, wenn es vor heimischer Kulisse gegen den Drittplatzierten aus Mönchengladbach (15.30 Uhr im LIVETICKER) geht, bereitete sich Bayer in den vergangenen zwei Wochen intensiv vor und verzichtete auf ein Wintertrainingslager in der Sonne.

"Die Trainingsqualität ist unter Peter Bosz sehr hoch. Jeden Tag, in jeder Einheit werden die Spieler gefordert", weiß Rolfes, der bei SPOX und Goal ausführte: "Auf diese Art und Weise entwickeln sie sich weiter. Und genau das ist es, was wir bei Bayer 04 langfristig erreichen wollen: hochtalentierte Spieler auf ein noch höheres Niveau zu bringen und als Mannschaft Erfolg zu haben."

Eine Zielvorgabe, mit der sich Bosz, für den sich sein zweites Deutschland-Abenteuer entweder als Empfehlung für noch höhere Aufgaben oder als womöglich endgültig vertane Chance im Nachbarland entwickeln kann, anfreundet. Er weiß jedenfalls, was die Stunde geschlagen hat, noch bevor er erstmals in einem Pflichtspiel in der BayArena an der Seitenlinie stand: "Ein Verein wie Bayer Leverkusen muss in Europa spielen", sagte er bei seiner Vorstellung im Leverkusener "Schmuckkästchen" am nahegelegenen Autobahnkreuz.

Vielleicht vollendet der bislang unvollendete Kreativling sein Werk diesmal und führt den aktuell Tabellenneunten noch ins internationale Geschäft. Sollte dies nicht gelingen, hofft man nahezu inständig, nicht erneut Mitleid mit dem freundlichen Mann aus dem Gelderland verspüren zu müssen.