BVB - Borussia Dortmund holt Lucien Favre als Nachfolger von Peter Stöger: Trainer am Limit

Von Jonas Rütten
Lucien Favre soll den BVB als neuer Cheftrainer wieder auf Vordermann bringen.
© getty

Lucien Favre wird ab der kommenden Saison Cheftrainer beim BVB. Auf den ersten Blick widerspricht die Verpflichtung von Favre nach dem Zerwürfnis mit Thomas Tuchel, den Turbulenzen der Saison und Favres Vergangenheit jeder Logik. Doch sie könnte sich auch als Glücksgriff erweisen. Favres Engagement ist eine Gratwanderung - und zwar für den Trainer und für den Verein. Doch sie kommt zum richtigen Zeitpunkt.

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In Gladbach verehren sie Lucien Favre noch immer wie einen Heiligen. Einen Trainer, der in höchster Not aus dem Nichts auftauchte und den Traditionsklub, der immer noch der glorreichen Vergangenheit hinterherzutrauern schien, vor dem Abgrund rettete. Binnen vier Jahren formte Favre aus einer abstiegsbedrohten und chronisch erfolglosen Fohlen-Elf den Champions-League-Teilnehmer Borussia Mönchengladbach. Die Spieler, die damals unter Favre trainierten, sind noch heute voll des Lobes.

"Er ist ein Trainer, der jede Mannschaft besser macht", sagte Dante in einem Interview mit der Sport Bild, als erste Meldungen über eine Einigung zwischen Favre und dem BVB kursierten. Dante selbst weiß genau, wovon er redet, schließlich hat er den "Favre-Effekt" bereits zwei Mal live miterlebt.

Dante war Favre auf der Suche nach der Stärke aus vergangenen Tagen bei Borussia Mönchengladbach zu OGC Nizza gefolgt, wurde unter ihm wieder Leistungsträger und sogar Mannschaftskapitän. Dass Favre ein Versprechen für Verbesserung ist, lässt sich leicht an seiner Trainer-Vita ablesen.

Favre bei Hertha BSC und BMG: Katerstimmung nach dem Vollrausch

Doch besonders bei seinen drei letzten Stationen folgte auf den steilen Anstieg der Leistungskurve immer auch ein brachialer Absturz, eine Art Katerstimmung nach dem Vollrausch des Erfolgs. Bei der Hertha und insbesondere in Mönchengladbach offenbarten Krisenzeiten, dass Favre kein einfacher Charakter ist. Taktisch brillant, aber in seinen Entscheidungen oft sprunghaft, unberechenbar und von Selbstzweifeln geplagt.

Seine Trennung von der Hertha 2009 artete in eine Schlammschlacht aus. In Gladbach zog er 2015 nach sechs Niederlagen zum Saisonstart eigenmächtig die Reißleine, obwohl der Verein unbedingt weiter mit ihm zusammenarbeiten wollte. Sportdirektor Max Eberl soll ihn bereits zuvor mehrmals von einem Rücktritt abgehalten haben. Favre ließ eine - wie Präsident Rolf Königs damals formulierte - "bis ins Mark getroffene" Fohlen-Elf zurück.

So erfolgreich Favre auch bei seinen Trainer-Stationen bislang war, seine zweifelhaften Abgänge in Gladbach und Berlin sowie die Leistungseinbrüche seiner Mannschaften disqualifizieren ihn auf den ersten Blick als künftigen Trainer des BVB, der einen Neustart ausgerufen hat und sich nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre nach Kontinuität gerade auf der Trainerposition sehnt.

Doch es gibt gute Gründe dafür, dass der BVB mit dieser Neubesetzung des Trainerpostens der richtigen Logik gefolgt ist. Denn Favre - dem seit Jahren nicht nur taktisches Genie nachgesagt wird, sondern auch das Stigma des Sturkopfs anhaftet - hat nicht nur seine Mannschaften besser gemacht, sondern sich dabei auch selbst weiterentwickelt.

Lucien Favre: Seine Trainerstationen und Punkte-Ausbeute

VereinAmtsantrittAmtsaustrittAmtszeitSpielePunkte/Spiel
Yverdon-Sport12/199606/20001307 Tage471,21
Servette FC07/200006/2002729 Tage681,57
FC Zürich07/200309/20071460 Tage1631,85
Hertha BSC07/200709/2009820 Tage941,48
Borussia Mönchengladbach02/201109/20151679 Tage1891,65
OGC Nizza07/201606/2018729 Tage991,54
Borussia Dortmund07/2018offen---

Favre beim OGC Nizza: Kein Ende mit Schrecken

"Weiterentwicklung" ist bei Favre neben der "Flexibilität" im taktischen Bereich das große Stichwort. "Wenn du das nicht machst, bist du tot", sagte er in einem Sport-Bild-Interview, damals noch in Diensten Mönchengladbachs. Seine Philosophie der stetigen Verbesserung versucht er nicht nur seinen Spielern einzuimpfen, sondern projiziert sie auch immer auf seinen Beruf als Trainer - und das mit Erfolg.

Denn anders als bei seinen Stationen in der Bundesliga, verlief seine Trennung vom OGC Nizza für Favre-Verhältnisse ungewohnt geräuschlos, ja fast schon überraschend friedlich. Auch an der Cote d'Azur folgte auf eine herausragende erste Favre-Saison mit ehrgeizigen Nachwuchsspielern anstelle von großen Stars eine katastrophale Hinrunde (Platz 18 nach 14 Spielen). Der Unterschied: Favre blieb im Amt, wurde weder entlassen noch kehrte er seiner Mannschaft den Rücken.

Zwar verpasste Nizza am letzten Spieltag die erneute Qualifikation für das internationale Geschäft, doch Favre schaffte zum ersten Mal in einer Krisenzeit den Turnaround. "Er ist mit einer schwierigen Situation sehr gut umgegangen. Er hat unsere Probleme sehr gut analysiert und war dabei auch kritisch mit sich und uns. Danach haben wir große Schritte nach vorne gemacht", beurteilte Dante die Rolle von Favre während der suboptimalen Hinrunde in Nizza.

BVB unter Lucien Favre: Der Anti-Bosz mit einer Brise Tuchel

In Nizza integrierte Favre innerhalb von zwei Jahren unterschiedliche Spielsysteme, um auf die Taktik des Gegners reagieren zu können. Das sei heutzutage eine Notwendigkeit, wie er auf die Frage von französischen Journalisten nach seinem System antwortete. Mal ließ Favre im 3-5-2 spielen, mal im 4-3-3 und mal im altbewährten Gladbacher 4-4-2-System.

Favre wird diese Flexibilität und Anpassungsbereitschaft an den Gegner auch beim BVB integrieren. Gerade diesbezüglich ist Favre eine Art Anti-Bosz, der nur selten von seinem rigorosen Offensiv-Spiel absah. "Favre weiß immer, wie sich welcher Spieler und die gegnerische Mannschaft in welcher Situation verhält", sagte Kai Peter Schmitz, ehemaliger Spielanalytiker unter Favre in Gladbach, gegenüber 11Freunde bezüglich der Spielvorbereitung von Favre.

Diese kann den 60 Jahre alten Schweizer auch mal stundenlang beschäftigen. Favre ist wie Tuchel ein akribischer Matchplaner, der sich ebenfalls durch ein hohes Maß an Anpassungsbereitschaft auszeichnete. Nur "mit harter Arbeit" habe Favre beim OGC Erfolg gehabt. Allein für ein Liga-Spiel gegen Bordeaux habe er acht Spiele am Computer angeschaut und analysiert. "Ich habe noch nie in meinem Leben so intensiv gearbeitet. Ich bin an meinem Limit", sagte Favre gegenüber Zeit Online.

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