Bobic: "Wir haben zu spät reagiert"

Von Interview: Haruka Gruber
Fredi Bobic (39) ist seit Sommer 2010 Sportdirektor beim VfB Stuttgart
© Getty

2010 erlebte der VfB Stuttgart das Jahr der Extreme - mit dem vorletzten Platz nach der Hinrunde 2010/11 als Tiefpunkt. Immerhin verlief die Vorbereitung auf die Rückrunde mit zwei klaren Siegen gegen Manisaspor und Fürth erfolgreich. Außerdem sei Christian Träschs Weggang nach Schalke undenkbar, erklärte Fredi Bobic. Der Sportdirektor über die fehlende Philosophie, fehlende Transfers und tiefsitzende Probleme.

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SPOX: Wie erholsam war die Winterpause nach der äußerst ereignisreichen Hinrunde?

Fredi Bobic: Die paar freien Tage kann man im Grunde nicht als Winterpause bezeichnen. Ich war zwar eine Woche mit der Familie im Urlaub in New York, aber zum Durchschnaufen kommt man dann doch nicht, weil man ständig an die Arbeit denkt und sie einen nicht loslässt. Und im Trainingslager geht es ohnehin fast hektischer zu als im Bundesliga-Alltag.

SPOX: Haben Sie erwartet, dass Ihr erstes Halbjahr derart anstrengend wird?

Bobic: Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, dass die Vorrunde so schwierig wird und wir in der Winterpause so weit unten stehen.

SPOX: Klingen Zweifel durch?

Bobic: Überhaupt nicht. Sonst könnte ich sofort aufhören. Die Aufgabe ist nach wie vor unglaublich reizvoll, daher stelle ich mich ihr mit meiner ganzen Energie. Uns steht eine schwierige Rückrunde im Abstiegskampf bevor, doch ich bin überzeugt, dass wir alle gestärkt aus der Saison hervorgehen werden.

SPOX: Warum hat sich Stuttgart anders als Köln und Mönchengladbach noch nicht verstärkt?

Bobic: Weil es Sinn machen muss. Schauen wir uns doch mal den Kader an: Auf fast jeder Position haben wir A-Nationalspieler oder deutsche Jugend-Nationalspieler. Daher ist es nicht einfach, eine Qualitätssteigerung zu erreichen. Deswegen sage ich: Wir füllen nicht einfach nur den Kader auf, um uns dem Druck zu beugen.

SPOX: Aber Sie schauen sich um?

Bobic: Natürlich, Bruno Labbadia und ich beobachten sehr viele Spieler. Wir haben auch schon einige Kandidaten, die in Frage kommen. Aber es geht nicht nur um das finanziell Machbare, wir müssen auch zwischenmenschlich hundertprozentig sicher sein, dass es passt. Es ist nicht einfach, ohne Eingewöhnungsphase in den Abstiegskampf geschmissen zu werden und sich freizuschwimmen. Mit Shinji Okazaki haben wir einen Spieler, dem wir zutrauen, dass er der Mannschaft helfen kann. Er kommt nach den Asienmeisterschaften nach Stuttgart, dann wird der Transfer perfekt gemacht.

SPOX: Ist Hoffenheims Problemfall Demba Ba ein Kandidat? Vor eineinhalb Jahren stand er kurz vor dem Wechsel zum VfB.

Bobic: Kommt überhaupt nicht in Frage.

SPOX: Ein Hauptkritikpunkt an Stuttgart in den letzten Jahren war es, dass der Verein zu spät auf dem Transfermarkt tätig wird. Stimmen Sie dem zu?

Bobic: Was vor meiner Zeit war, kann ich nicht beurteilen. Im Sommer haben wir sicherlich zu spät reagiert - was jedoch nicht anders ging. Ich bin erst als Sportdirektor dazugekommen, als das Wechselfenster fast schon zu war. Vier Wochen sind gar nichts, um einen Kader zu planen, zumal wir zunächst Geld erwirtschaften und den Khedira-Wechsel zu Real Madrid abwickeln mussten. Bei Khedira war ja lange offen, ob er überhaupt geht. Und: Obwohl uns Khedira und Jens Lehmann verlassen haben, benötigte der Kader nicht so viele Veränderungen. Immerhin hat der VfB die beste Rückrunde der Klub-Geschichte hingelegt. Alles in allem: Es wurden Fehler gemacht, ja. Aber diese nur auf die Transfers zu beziehen, ist falsch.

SPOX: Warum?

Bobic: Weil noch viele Facetten mehr in unsere Situation hineinspielen. Es ist doch beispielsweise kein Zufall, dass so viele etablierte Vereine diese Saison Probleme haben. Das hängt eng mit der Belastung durch die Weltmeisterschaft zusammen, wir alleine haben acht WM-Fahrer im Kader. Und wenn zusätzlich von Beginn an ein extrem negativer Lauf einsetzt, kann man ihn nicht einfach so stoppen. Deswegen werden wir nicht alles in Frage stellen, auch wenn wir aus den letzten Monaten sehr viel gelernt haben und in der Zukunft einiges verändern werden.

SPOX: Indem wieder mehr auf die VfB-Jugend gesetzt wird und ein Spieler wie Camoranesi gehen darf? Es scheint, als ob Stuttgart seine eigene Linie verloren hat.

Bobic: In der Rückrunde ist es schwierig, etwas Grundsätzliches zu verändern. Es geht jetzt einzig und allein darum, den Abstieg zu verhindern. Aber im Falle des Klassenerhalts haben wir für den Sommer klare Vorstellungen. Wir werden uns noch mehr auf unsere Stärken besinnen und auf unsere eigenen Jungs bauen. Das ist mit Bruno Labbadia klar abgesprochen, er selbst hat sich dafür eingesetzt. Spieler wie Ermin Bicakcic, Patrick Funk und Daniel Didavi sind unsere Zukunft.

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SPOX: Müssen Sie zwangsläufig wieder auf Talente setzen, weil Stuttgart die letzten Jahre über die Verhältnissen gelebt hat?

Bobic: Es wurde sehr viel investiert und sehr viel riskiert, das ist richtig. Aber die Diskussion ist mir viel zu negativ. Man tut so, als ob der VfB das Geld aus dem Fenster geschmissen und keinen Erfolg gehabt hätte. Aber: Stuttgart wurde 2007 Meister und stand letztes Jahr in der Champions League. Andere Vereine würden gerne solche Probleme haben.

SPOX: Worauf führen Sie zurück, dass so viel riskiert wurde?

Bobic: Es hat zwei Gründe: Zum einen bringt jeder Trainer seine Vorstellungen mit, das ist normal. Zum anderen ist es für einen Verein extrem schwierig, den Kader so zusammenzustellen, dass er den Ansprüchen der Champions League genügt, dass er gleichzeitig aber nicht zu teuer für die Europa League ist. In den letzten vier Saisons spielte der VfB ein Jahr in der Champions League, dann ein Jahr in der Europa League - das ist ein wirtschaftlicher Spagat, der zu bewältigen war.

SPOX: Verstehen Sie dennoch den Unmut einiger Fans, wenn sie lesen, dass die Modernisierung des Kabinentrakts alleine angeblich 1,5 Millionen Euro gekostet hat?

Bobic: Erstens wurde der Kabinentrakt schon 2009 modernisiert und zweitens sollte man sich vorher schon genau informieren, bevor man an alles infrage stellt. Diese Beträge sind ganz normal für eine Baumaßnahme, immerhin wurde der Kabinentrakt der Profis und der Jugend 1981 erbaut. 1981! Wir müssen auch in die Infrastruktur investieren.

SPOX: Derzeit wird beim VfB einiges skeptisch beäugt. Sind Sie angesichts der Widerstände und Kritik persönlich an Grenzen gestoßen?

Bobic: Nein, ich habe vielmehr Grenzen gezogen. Ich bin konsequent in meinen Handlungen, das sollte jedem mittlerweile klar sein. Ich habe keine Probleme, einen Schnitt zu machen, wenn ich es für nötig halte.

SPOX: Wie schwer fiel Ihnen dennoch die Trennung von Jens Keller, den Sie nach Christian Gross' Entlassung als Cheftrainer installiert haben und zwei Monate später wieder freistellten?

Bobic: Natürlich gab es eine menschliche Facette, wir kennen uns schon seit Jahren. Aber mir fiel die Trennung nicht schwer, weil Jens immer Bescheid wusste, dass es nur um den Erfolg geht. Er weiß, dass ich ihm nicht die Schuld für unsere Situation gebe, vielmehr lag es an den Spielern, die ihr Potenzial nicht abrufen. Die Gründe dafür liegen wesentlich tiefer, die müssen wir aufarbeiten.

SPOX: Wie weit sind Sie mit der Analyse?

Bobic: Wie gesagt: Derzeit konzentrieren wir uns nur auf die Rückrunde. Aber natürlich haben wir schon einige Ansatzpunkte gefunden.

SPOX: Im Stuttgarter Umfeld heißt es, dass sich ein Sportdirektor nicht ganz entfalten könne, weil der Aufsichtsrats-Vorsitzende Dieter Hundt und der Präsident Erwin Staudt so mächtig seien...

Bobic: ... was absoluter Quatsch ist. Wir sind ständig im Dialog und wenn eine zeitnahe Entscheidung ansteht, rufe ich einfach an oder gehe vorbei, und dann wird es schnell geklärt.

SPOX: Etwas überraschend bekam Bruno Labbadia im Falle des Klassenerhalts einen Zweieinhalb-Jahres-Vertrag. Liegt es daran, dass nach zwei Trainerwechseln Ihre persönliche Zukunft eng mit seiner Zukunft verknüpft ist und Sie ihm den Rücken stärken wollen?

Bobic: Das hat damit nichts zu tun. Wir wollen auf der Trainerposition beim VfB Stuttgart Kontinuität rein bekommen. Das hilft der Mannschaft und dem Klub. Aber am Ende hängt alles vom Erfolg ab, was anderes zu erzählen bringt doch nichts.

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