"Ich lebe für diesen Verein"

Von Interview: Jochen Tittmar
Sebastian Kehl erzielte in der vergangenen Saison fünf Bundesligatore für Borussia Dortmund
© Imago

Sebastian Kehl ist mittlerweile eine Dortmunder Institution. Nach Dede ist der 29-Jährige der dienstälteste Borusse und unter Trainer Jürgen Klopp zum Kapitän aufgestiegen.

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Im SPOX-Interview spricht Kehl über schnarchende Zimmergenossen, das Arbeiten unter Jürgen Klopp, sein vielseitiges soziales Engegament und seine Ambitionen mit der Nationalmannschaft.

SPOX: Herr Kehl, auch in diesem Jahr wurde die Zimmerbelegung im Trainingslager wieder ausgelost. Wen haben Sie bekommen?

Kehl: Ich war mit Uwe Hünemeier in einem Zimmer und kam damit im Vergleich zum Vorjahr gut weg.

SPOX: Wieso, hat Ihr Kollege aus dem letzten Jahr geschnarcht? Wer war das denn?

Kehl: Diego Klimowicz. Und ja, er hat ziemlich geschnarcht. Ein Einzelzimmer für uns beide war die Folge.

SPOX: Sie haben anfangs wegen Ihrer Leisten-OP nur dosiert trainieren können. Es wurde bereits gemunkelt, dass Sie eventuell wieder länger fehlen, als befürchtet. Können Sie Entwarnung geben?

Kehl: Die einzige Zeitung, die gemunkelt hat, war die mit den vier großen Buchstaben. Es ist alles nach Plan gelaufen. Dass ich ein bisschen vorsichtiger eingestiegen bin und auch das ein oder andere an intensivem Kraftprogramm hinten angestellt habe, war abgesprochen und ist normal. Aber im Moment bin ich nahezu komplett im vollen Mannschaftstraining.

SPOX: Auf dem ist auch der BVB, auch wenn man sich im Vergleich zur direkten Konkurrenz nur mit wenig Geld verstärkt hat. Kommt da ein bisschen Neid auf?

Kehl: Hätten wir in diesem Jahr mehr Geld zur Verfügung gehabt, hätten wir sicher auch das ein oder andere realisiert. Aber das ist nun mal nicht der Fall. Wir haben einen engen Finanzrahmen, an den wir uns halten müssen. Trotz alledem bin ich der Meinung, dass wir im letzten Jahr gezeigt haben, mit allen Mannschaften mithalten zu können. Es ist natürlich so, dass in diesem Jahr etliche Mannschaften sehr, sehr viel investiert haben, um den Sprung in die internationalen Plätze zu schaffen. Unser Vorteil ist, dass wir wissen, was auf uns zukommt und wir kennen uns untereinander.

SPOX: Was ist besser: Auf dem eingespielten Team aufbauen oder hochkarätige Neuzugänge, die die Qualität im Team erhöhen?

Kehl: Wenn man mit individueller Qualität eine Mannschaft besser machen kann, ist das immer vorteilhaft. Das wirbelt die Struktur der Mannschaft ein bisschen durcheinander, schürt den Konkurrenzkampf und macht am Ende auch Punkte aus. Wir haben aber ein gutes Mannschaftsgefüge und sind noch lange nicht am Limit. Deshalb ist für uns in diesem Jahr noch mehr drin als das, was wir im letzten Jahr gezeigt haben.

SPOX: Auf der anderen Seite herrscht im BVB-Kader wieder richtiger Konkurrenzkampf. Das war in der Vergangenheit nicht immer so...

Kehl: Das stimmt. Wir haben nun wieder ein paar Neue hinzu bekommen, so dass jede Position doppelt, manche sogar dreifach besetzt ist. Deshalb ist derzeit das Stechen um die Plätze groß, jeder hängt sich voll rein. Der Trainer verlangt auch absolute Bereitschaft und die ist momentan bei jedem erkennbar.

SPOX: Aber am Ende können nur elf Spieler auflaufen.

Kehl: Das wird eine spannende Geschichte und es wird auch Härtefälle geben. Als Kapitän bin ich aber auch dafür verantwortlich, dass alle wissen, dass wir in einem Boot sitzen und miteinander respektvoll umgehen. Unsere Kameradschaft ist ideal.

SPOX: Jürgen Klopp sprach davon, dass es ein Unterschied wie Tag und Nacht sei, wie die Mannschaft die Vorgaben des Trainers im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt der Vorsaison versteht und umsetzt. Ist Ihnen das auch aufgefallen?

Kehl: Der Trainer meint einfach, dass wir die Art und Weise, wie er Fußball spielen will, immer mehr verinnerlicht haben. Dass wir das verstanden haben, zeigte ja auch unsere Siegesserie in der Rückrunde der vorigen Saison.

SPOX: Was gehört zum Verständnis genau dazu?

Kehl: Sehr vieles: Wie man den Gegner anläuft, wie man umschalten muss, welch hohe Laufbereitschaft man an den Tag legen muss und was für ein Aufwand betrieben werden muss, um ein Bundesligaspiel zu gewinnen. All diese Faktoren haben wir in der letzten Saison sehr gut umgesetzt. Wenn wir an diesem Punkt ansetzen und uns in allen anderen Bereichen steigern, dann ist sicherlich wieder was drin.

SPOX: Wird dafür im taktischen Bereich nun anders trainiert?

Kehl: Anders wird nicht trainiert, da wir die Philosophie ja nicht geändert haben. Diese wird im Training nur verfeinert: Stark verschieben, Umschaltverhalten sowohl in der Offensive als auch in der Defensive und so weiter. Der Grundstein ist bereits im letzten Jahr gelegt worden. Man muss sich aber alles immer wieder erarbeiten, da so etwas nicht immer auf Knopfdruck abrufbar ist. Und genau daran arbeiten wir.

SPOX: Mit dem Abgang von Young-Pyo Lee besitzt der BVB nur noch drei etatmäßige Außenverteidiger. Patrick Owomoyela ist der einzige echte Rechtsverteidiger. Ist dies nicht ein Risiko?

Kehl: Mir ist da keineswegs bange. Wir haben ja jetzt auch noch Julian Koch, der von der A-Jugend hochgezogen wurde. Er wird ein fester Bestandteil sein. Lee hat sich für eine neue Herausforderung entschieden.

SPOX: Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagte über Sie: "Sebastian ist unser wichtigster Spieler. Er ist in meinen Augen der beste deutsche Sechser der Liga." Zuvor genossen Sie, zumindest öffentlich, nicht diese große Wertschätzung. Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen Wandel?

Kehl: Ich hatte eine schwierige Phase, als ich mit meiner Knieverletzung fast zwei Jahre außer Gefecht war. Dazu kamen dann immer wieder kleinere Rückschläge. Ansonsten habe ich aber in der letzten Saison gezeigt, dass wenn ich fit bin und über einen längeren Zeitraum kontinuierlich trainiere und spiele, die Mannschaft mit meiner Leistung voranbringen und führen kann. Ich bin jetzt acht Jahre in Dortmund, bin Kapitän, das alles macht mich natürlich stolz. Ich lebe für diesen Verein.

SPOX: Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie Libero gespielt, als ordnende Hand hinter der Abwehr. Heute spielen Sie als Sechser vor der Abwehr. Wieso liegt Ihnen dieses Spiel?

Kehl: Jeder Spieler hat seine Qualitäten. Ich kann ein Spiel lesen, bin strategisch gut veranlagt, habe eine gute Spielübersicht, bin läuferisch und im Zweikampf stark.

SPOX: Inwiefern hat sich Ihr Aufgabengebiet im defensiven Mittelfeld unter Klopp verändert?

Kehl: Jürgen Klopp verlangt, dass wir ein starkes Pressing spielen, aggressiv in die Zweikämpfe gehen und ein hohes Verschieben haben. Grundsätzlich ist man auf der Sechser-Position größtenteils damit beschäftigt, defensiv gut zu stehen, das Spiel zu ordnen und anzukurbeln. Wenn dann wie in der letzten Saison noch Tore daraus entstehen, rundet das den guten Eindruck ab.

SPOX: Mit 16 Jahren sind Sie ganz allein aus Ihrer Heimat nach Hannover gewechselt. Erzählen Sie doch einmal von damals, was hat Ihnen gefehlt, was heute vielleicht selbstverständlich ist?

Kehl: Ich bin damals nicht zu einem Bundes-, sondern zu einem Regionalligisten gewechselt. Dort waren die Strukturen natürlich nicht optimal ausgereift. Ich hatte eine eigene Wohnung, musste morgens zur Schule, mittags und abends war dann Training. Und all das musste ich mit der Bahn erledigen. Ich war in jungen Jahren schon komplett auf mich alleine gestellt. Das war keine leichte, aber eine prägende Zeit, die mich in meiner sportlichen und persönlichen Entwicklung unheimlich nach vorne gebracht hat.

SPOX: Denken Sie, dass es den Jugendlichen mit den heutigen Fußballinternaten, in denen ganz andere, ausgereifte Strukturen herrschen, leichter gemacht wird?

Kehl: Es kommt darauf an, welche Art von Persönlichkeit man ist und wie weit man als Spieler ist. Ich wurde von meinem Elternhaus sehr stark geprägt, auf eigenen Füßen zu stehen. Es gibt aber auch genügend Spielertypen, die dem nicht so gewachsen sind und die man mehr stützen muss. Deshalb befürworte ich auch die heutigen Internatsstrukturen und dass die Vereine die Jugendlichen sowohl im sportlichen als auch im schulischen Bereich begleiten. Allerdings darf man den Spielern auch nicht alles abnehmen und sie müssen lernen, eigenverantwortlich zu sein.

SPOX: Sie zeichnen sich auch durch starkes soziales Engagement aus. In der VDV (Vereinigung der Vertragsfußballspieler) sitzen Sie im Spielerrat. Was macht man dort eigentlich?

Kehl: Das ist keine tägliche Arbeit. Wir treffen uns alle paar Monate und besprechen aktuelle oder übergreifende Themen. Das können vertragliche Geschichten oder Härtefälle in der Regionalliga sein. Aktuell ist das Thema "VDV-Trainingscamp für vertragslose Spieler" ein großes Thema. Es geht am Ende um Solidarität gegenüber den vielen Spielern, denen es nicht so gut geht wie mir.

SPOX: Mit dem Roten Keil engagieren Sie sich gegen Kinderprostitution. Früher waren Sie Ministrant. Welche Rolle spielt die Religion in Ihrem täglichen Leben?

Kehl: Für mich ist der Glaube ein wichtiger Teil. Mein soziales Engagement hat weniger mit meinem Glauben zu tun, sondern eher damit, dass ich einfach Kindern helfen möchte. Ich tue das nur für mich und will nicht den Eindruck erwecken, damit zu prahlen. Ich habe selber einen zweijährigen Sohn und ich kann nicht verstehen, wie man Kindern solch ein Leid antun kann. Ich möchte ihnen eine Stimme geben, um auf diese Verbrechen aufmerksam zu machen und vor allem härtere Strafen für die Täter zu fordern.

SPOX: Zurück zum Sportlichen: Ihre Chancen in der Nationalmannschaft sind nicht erst seit Ihrer Nichtnominierung für die Asienreise weiter gesunken. Haben Sie von Joachim Löw eine Erklärung bekommen?

Kehl: Nein. Ich habe kein Gespräch mit Löw geführt und keine Information bekommen, was die Reise anging.

SPOX: Aber die WM haben Sie immer noch im Blick?

Kehl: Ich versuche einfach, meine Leistung zu bestätigen und mit dem BVB erfolgreich zu sein. Alles Weitere entscheidet am Ende Joachim Löw. Es ist noch ein Jahr hin, da kann viel passieren. Es würde mich natürlich wieder sehr, sehr stolz machen, für mein Land zu spielen.

Borussia Dortmund in der Sommerpause