"Hochprofessionelles Rundumpaket bei Bayer"

Von Interview: Viktoria Noll
Spielten von 1998 bis 2000 gemeinsam bei Bayer: Ze Roberto, Paulo Rink und Emerson (v. l.)
© Imago

Erst Tita und Jorginho, später Lucio oder Emerson, jetzt Renato Augusto oder Henrique - Bayer 04 Leverkusen weiß, wie man gute Brasilianer findet und die dann auch in Deutschland zu Top-Leistungen bringt.

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Reiner Calmund hat das Scouting-System in Leverkusen zusammen mit zahlreichen Helfern etabliert und die Integration der Spieler in Deutschland vorangetrieben.

Bei SPOX spricht der ehemalige Manager des Werksklubs über Leverkusen und seine Brasilianer.

Reiner Calmund über...

...seine ersten Erfahrungen in Brasilien: "Auf einer Reise nach Brasilien habe ich Heinz Prellwitz kennengelernt, einen deutschen Fotografen und Reporter, der aber damals schon seit 30 Jahren in Brasilien lebte. Er hat uns während der Reise betreut und wir waren gemeinsam beim Abschiedsspiel von Zico, der zuvor nach Udine gewechselt war, im Maracana-Stadion. Da es Zicos Abschied war, sollte er ein letztes Mal die Nummer zehn von Flamengo tragen. Die Zehn hatte zu diesem Zeitpunkt aber schon Tita, und deshalb gab es vor der Partie viel Wirbel um ihn. Dadurch sind wir auf ihn erst richtig aufmerksam geworden."

...die Verpflichtung von Tita: "Nachdem wir ihn mehrfach beobachtet hatten, war er 1987 der erste Brasilianer, den wir mit Hilfe von Heinz Prellwitz nach Leverkusen geholt haben. Damals hat er uns 500.000 DM gekostet, war aber für uns Gold wert. Er hatte zwar einen holprigen Start und brauchte ein paar Wochen bis er sich akklimatisiert hatte, war dann aber unersetzlich. Er hat uns 1988 zum UEFA-Cup-Sieg geschossen. Im Viertelfinale gegen den FC Barcelona und im Finale gegen Espanyol hat er die entscheidenden Treffer erzielt."

...den Ausbau des Scoutings: "Nach den guten Erfahrungen mit Tita haben wir unser Netzwerk immer weiter ausgebaut. Norbert Ziegler, Leverkusens heutiger Chefscout, war damals auch schon dabei. Dreh- und Angelpunkt war aber immer Prellwitz, der in Brasilien unser Ansprechpartner und Dolmetscher war."

...das Vier-Säulen-System des Scoutings: "Schritt eins war stets die Sichtung der Medien. Wir haben die Entwicklung der Spieler intensiv durch die Bewertungen in den Medien beobachtet. Zunächst durch unsere Leute vor Ort in den dortigen Zeitungen, im Laufe der Zeit dann auch über die elektronischen Medien. Das war unsere Erstinformation. Zudem wurden Informationen bei anderen Spielern, Trainern und Funktionären eingeholt: Nach Tita kam Jorginho und so weiter, und dadurch wurde unser Netzwerk immer weiter ausgebaut. Außerdem haben sich die Scouts unter der Leitung von Norbert Ziegler Spiele vor Ort angesehen und die potentiellen Kandidaten nach verschiedenen Kriterien unter die Lupe genommen. Ganz wichtig waren auch die Gespräche mit den Spielern, mit deren Umfeld und dem jeweiligen Verein sowie der Umgang mit den Spielern in Deutschland."

...die Integration der Spieler in Deutschland: "Besonders wichtig war, dass wir immer unseren Kontaktmann Heinz Prellwitz mit nach Deutschland gebracht haben, sobald wir einen Spieler verpflichtet hatten. Er kannte beide Mentalitäten und war dadurch für die Integration enorm wichtig. Vor allem hat er sich um die Spielerfrauen bzw. die Familien gekümmert und hat ihnen alles gezeigt."

...die Aufgaben von Heinz Prellwitz: "Er hat sich quasi um alles gekümmert. Angefangen vom Einkauf im Supermarkt, damit die Frauen nicht etwa Chappi statt Gulasch kaufen, bis hin zur Anmeldung bei der Krankenkasse. Die Dinge, die viele Brasilianer gar nicht kannten bzw. die durch Sprachschwierigkeiten unmöglich gewesen wären, wurden ihnen abgenommen. Dadurch wurde auch für die Spieler alles einfacher, weil ihr Umfeld intakt war und sich die Familie in Deutschland besser eingelebt hat.Prellwitz hat also die Rolle des Großvaters oder des Onkels der Familie eingenommen. Das ging sogar soweit, dass er mit den Frauen bis in den Kreißsaal gegangen ist. Er gehörte immer richtig zur Familie. Das Verhältnis basierte auf gegenseitigem Vertrauen und Akzeptanz."

...der Grund für Leverkusens Erfolg mit Brasilianern: "Ein Knackpunkt ist die Umsetzung der Vier-Säulen-Theorie, der andere Knackpunkt liegt darin, dass man sich wohl fühlen muss, wenn man hundertprozentig Leistung bringen will. Man kann also von einem hochprofessionellen Rundumpaket sprechen, das die Spieler in Leverkusen bekommen. Das langfristige Ziel ist allerdings, dass die Spieler bzw. ihre Familien sich nach einer gewissen Zeit eigenständig zurechtfinden. Die Umsetzung dieses Systems kostet natürlich auch viel Geld. Für den Verein bedeutet das neben der Ablösesumme noch weitere Kosten, die er bereit sein muss, zu zahlen. Aber jeder Spieler, der hier integriert werden soll, benötigt diese Hilfestellung."

Die vier Säulen des Scoutings: Leverkusens Erfolgsrezept