Das Hirn der Revolution

Von Haruka Gruber / Florian Regelmann
Beane, Montage, Klinsmann, Bayern
© Getty

München - Wie beschreibt man Liebe auf den ersten Blick?

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Vielleicht so: "Vor einigen Jahren bin ich nach England gereist, um zu analysieren, warum Fußball ein solch erfolgreiches Geschäft ist", erzählt Billy Beane. "Aber was ich dann in den Stadien erlebt habe... diese Emotionen auf den Rängen, die Dynamik und Athletik des Spiels... das war einfach nur... Wow..."  

Ein "soccer nut" war geboren. Ein Amerikaner, der sein Herz an die so unamerikanische Sportart verlor. "Ich werde bei der Arbeit immer damit aufgezogen, dass ich jede freie Minute Fußball schaue. Aber ich kann nichts daran ändern: Ich bin dem Fußball verfallen", sagt Beane gegenüber SPOX.com. Mit "bei der Arbeit" meint er seine Tätigkeit bei den Oakland Athletics. Ein MLB-Klub. Baseball. Nicht Fußball.

Seit 1997 bekleidet der 45-Jährige das Amt des General Managers der Athletics. Elf Jahre, in denen er sich einen äußerst vorzeigbaren Ruf erarbeitet hat. Elf Jahre, in denen ein Bestseller ("Moneyball") über seinen Erfolgsweg geschrieben wurde. Gemeinhin gilt Beane als einer der klügsten Köpfe im US-Sport.

Klinsmann fasziniert

Der so Hochbegabte fühlte sich seit geraumer Zeit zwischen Homeruns und Earned Run Averages jedoch zunehmend unterfordert, so dass er sich nach einer neuen Herausforderung umsah - und sie im Fußball fand: Beane will sein Erfolgsrezept aus der MLB in die Welt der Real Madrids und Bayern Münchens übertragen.

Ein Erfolgsrezept, das derart vielversprechend erscheint, dass Bayerns zukünftiger Trainer Jürgen Klinsmann ganz erpicht darauf ist, mit dem Ex-Baseball-Profi (im Bild rechts) Kontakt zu halten. "Vergangene Woche kam Jürgen nach Phoenix, um das Trainingscamp der Athletics zu besuchen. Wir kennen uns seit ein paar Monaten und haben den Tag zusammen verbracht", so Beane.

Klinsmann faszinieren die Gedanken des Baseball-Machers, er sagt: "Ich habe sehr viel über Billys Methoden gelesen. Ich wollte selber schauen, wie sein Hirn so funktioniert." In England hielt Beane neben Koryphäen wie Manchester Uniteds Trainer Alex Ferguson einen viel beachteten Vortrag beim prestigeträchtigen "Future of Football"-Kongress, vor allem Beanes Lieblingsklub Tottenham Hotspur zeigt großes Interesse am Know-how seines Fans aus Übersee.

Statistik schlägt Instinkt

Aber was genau ist das Erfolgsrezept? Worin liegt das Innovative? Vereinfacht formuliert: Beane will mit Hilfe von statistischen Indikatoren Fußball-Teams dabei helfen, Spieler besser zu sichten und zu bewerten.

Sprich: Während Talentspäher noch immer vornehmlich auf subjektive Empfindungen wie Erfahrung oder Instinkt vertrauen, fokussiert sich Beane bei Spielerverpflichtungen strikt auf objektiv-empirische Kriterien. Ein fast schon revolutionärer Paradigmenwechsel, der schnell Nachahmer in der MLB fand. Immerhin hält sich Oakland trotz klammer Kasse seit Jahren in der oberen Hälfte der Liga.

"Das Ziel von Oakland ist es, mit Hilfe von Statistiken verhältnismäßig günstige Spieler zu finden, damit wir sie finanzieren können. Ich sage nicht, dass ich immer hundert Prozent richtige Entscheidungen treffe, die Wahrscheinlichkeit dafür steigt jedoch definitiv", sagt Beane. "Warum soll es also nicht für den Fußball in Frage kommen?"

Treffen der schlauen Leute

Warum nicht? Vielleicht, weil im Fußball nicht so viele Statistiken einheitlich erhoben werden wie in den US-Sportarten? Weil im Fußball selbst Kategorien wie "Torschüsse" von TV-Sender zu TV-Sender stark variieren?

Das Gegenargument der fehlenden Datenbreite sei jedoch keines. Zumindest kein unüberwindbares, wie Beane meint: "Wir sind noch in der spaßigen Brainstorming-Phase. Aber glauben Sie mir: Einige richtig schlaue Leute mit einem statistischen, mathematischen und fußballerischen Background arbeiten zusammen und tüfteln etwas aus." Immer mit dem Masterplan im Hinterkopf: Den Fußball so umzukrempeln wie den Baseball.

Den Anfang macht Beane beim MLS-Klub San Jose Earthquake, welcher als erstes Fußball-Team überhaupt seine Methodik anwendet. Beane fungiert als Berater. Und wie wäre es mit einem dauerhaften Wechsel vom Baseball zum geliebten Fußball? Vielleicht zu den von Klinsmann betreuten Bayern?

"Äußerst anregend"

"Ich habe in Oakland alle Hände voll zu tun. Aber wer weiß, was die Zukunft bereithält? Vielleicht wird es ja was", sagt Beane vielsagend. " Ich verbrachte fast die komplette WM in München. Und ich muss sagen: Ich war begeistert von der Stadt."

Zumal Klinsmann ein Mann sei, den Beane schon als Spieler bewundert habe. "Jürgen ist sehr modern, sehr intelligent, sehr faszinierend. Ich finde es immer äußerst anregend, mich mit ihm zu unterhalten. Wir respektieren uns zutiefst." Am Ende fehlte nur noch das Wow...

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