Markus Merk im Karriere-Interview: "Deutsche, Türken, Behinderte - wenn ich das nicht mache, bin ich tot!"

Von Philipp Schmidt
Merk wurde quasi gezwungen, in der Türkei TV-Experte zu werden.
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Dreifacher Weltschiedsrichter, eigene Zahnarztpraxis, Extremsportler, TV-Experte in der Türkei, Gründer eines Hilfsprojekts in Indien: Markus Merk kann auf und neben dem Platz auf eine illustre Laufbahn zurückblicken - und hat dies in einem ausführlichen Interview mit SPOX und Goal getan.

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Dieses Interview erschien erstmals am 30. Dezember 2020. Anlässlich seines 59. Geburtstages blicken wir in diesem Rahmen auf Markus Merks Karriere zurück.

Im zweiten Teil des Interviews erklärt Merk, woran ein Engagement beim DFB scheiterte, wie er von einer Karriere als TV-Experte in der Türkei überzeugt werden konnte und dort zum Volkshelden wurde.

Außerdem erläutert der 58-Jährige, weshalb die Auslegung der Handspielregel von Jahr zu Jahr unverständlicher wird und wie Sebastian Kehl ihn bereits vor über zwölf Jahren davon überzeugen wollte, den Videobeweis einzuführen.

Zum ersten Teil des Interviews, in dem Merk über seine Anfänge, seine Zeit als Zahnarzt, bei der Bundeswehr und die Highlights seiner Schedsrichterkarriere spricht, geht es hier.

Herr Merk, Sie haben 2008 beschlossen, ein Jahr vor Erreichen der Altersgrenze Ihre aktive Schiedsrichterkarriere zu beenden. Warum?

Merk: Man bot mir an, die Grenze für mich aufzuheben, aber das wollte ich nicht. Alle wussten, dass ich nicht ins letzte Jahr gehen wollte. Ein Jahr vorher machte ich international Schluss, da wurde ich auch noch einmal Weltschiedsrichter. Ich wollte eine selbstbestimmte Entscheidung auf dem Höhepunkt treffen und keine Abschiedstour haben, wo ich dann auf jeder Station die gleichen Sprüche zu hören bekomme.

Welche Optionen hatten sie nach Ihrer Schiedsrichter-Karriere?

Merk: Ich hatte drei gute Angebote von Vereinen, mich aber dagegen entschieden.

Bezüglich einer Aufgabe beim DFB sagten Sie einmal: "Der DFB weiß, was er an mir haben könnte, aber er bewegt sich nicht. Ich werde mich in keinster Weise irgendwo bewerben." Haben Sie einen Mangel an Wertschätzung gespürt?

Merk: Ich bin berechenbar. Wenn ich etwas mache, mache ich es nicht aufgrund einer Position, sondern weil ich etwas bewegen und das Schiedsrichterwesen nach vorne bringen will. Jeder weiß, dass ich mir bereits in meiner aktiven Phase eine Menge Gedanken gemacht habe. Außerdem war es damals eine Phase, in der im Schiedsrichterwesen nicht gerade alles rund lief. Für mich war klar, dass ich mich nicht als stiller Beobachter auf die Tribüne setze und sage: Lieber Felix Brych, dir gebe ich heute eine 8,5. Das ist für mich sinnlos und nicht zielführend.

Wie hätten Ihre Vorstellungen ausgesehen?

Merk: Wir hatten hervorragende Schiedsrichter auf dem Platz, aber sie wurden immer jünger. Es gibt nun einmal keine 30-Jährigen mit 15 Jahren Berufserfahrung auf höchster Ebene. Deshalb wäre es mir wichtig gewesen, die Sozialkompetenz und Persönlichkeit zu fördern - auch in anderen Bereichen des DFB wie den Jugendnationalmannschaften oder bei den Frauen. Dafür habe ich ein Konzept vorgelegt. Es war bitter, als dann im Nachgang Spekulationen über irgendeine Job-Forderung angestellt wurden. Ich habe dann beschlossen, nach 20 Jahren Dasein als Profischiedsrichter erst einmal durchzuatmen.

Merk entschied sich nach seiner Schiedsrichterkarriere gegen ein Engagement beim DFB.
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Merk entschied sich nach seiner Schiedsrichterkarriere gegen ein Engagement beim DFB.

Merk: "Niersbach meinte: Du hast dich ja mal schön verdrückt!"

Gab es später noch einmal Gespräche?

Merk: Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ein sehr gutes Gespräch mit dem damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger. Das beendete Zwanziger so: Herr Merk, super, toll! Ich wusste, auf Sie kann man sich verlassen. Generalsekretär Wolfgang Niersbach wird sich auf jeden Fall in den nächsten 14 Tagen bei Ihnen melden. Monate später traf ich Niersbach dann bei einer Veranstaltung. Er meinte: Markus, du bist doch ein Kind des DFB, einer unserer Führer im Schiedsrichterwesen. Du hast dich ja mal schön verdrückt! Ich hatte bis zu diesem Tag auf seinen Anruf gewartet, wusste aber auch, dass ihm niemand Bescheid gegeben hat. In Verbänden ist es nun einmal so, dass Eitelkeiten und die eigene Position eine große Rolle spielen.

Im selben Sommer erreichte Sie eine Anfrage aus der Türkei. Sie sollten eine Aufgabe im dortigen Fernsehen annehmen. Wie lief das genau ab?

Merk: Ich war drei Tage zu Gesprächen dort, wollte aber eigentlich nicht schon wieder jedes Wochenende unterwegs sein. Ich habe nichts vermisst und war sowieso genug beschäftigt mit meinen Vorträgen und meiner Unternehmensarbeit.

Sie sagten aber später dennoch zu.

Merk: 2010 suchte dann der Präsident des türkischen Behindertensportverbandes das Gespräch mit mir. Er sei von einem Fernsehsender beauftragt worden, mit mir in Kontakt zu treten. Ich sagte aber auch zu ihm, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Er erwiderte: Wenn ich Sie bitte, in die Türkei zu kommen, dann hören Sie sich das an! Ich dachte mir: 'Deutsche, Türken, Behinderte - wenn ich das nicht mache, bin ich tot!' (lacht) Am Anfang sollte ich nur montags dort sein und rechnete sowieso damit, dass die Sache nach vier Wochen erledigt ist. Also gab ich meine Zustimmung.

Sie blieben vier Jahre lang...

Merk: In dieser Zeit ging es gerade damit los, dass alle Spiele live übertragen werden. Ich war bei LigTV, einem Parallelsender von Sky. Das Studio war nagelneu, ich wurde sensationell übersetzt. Ich konnte ja gerade einmal Galatasaray aussprechen, bei Besiktas wurde es schon schwer. Der Fahrer holte mich vom Flughafen ab, an allen Hauswänden hing das Bild vom Moderator, einem bekannten Trainer und mir. Die Sendung dauerte bis zu vier Stunden. Plötzlich hieß es, ich solle nicht nur am Wochenende kommen. Ich sagte, dass das familiär nicht funktioniert und bekam die Antwort: Das ist schon geklärt. Dein Sohn kann hier in die deutsche Schule. Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass ich sonntags und montags komme und bei ganz wichtigen Spielen auch mal samstags. Bis 2014 bin ich dann 155-mal nach Istanbul geflogen - für 355 Sendungen.

Merk: "Ich war in Istanbul für jeden der Markus"

Sie waren in der Türkei sehr beliebt (zum entsprechenden SPOX-Interview aus dem Jahr 2011 geht es hier). Wie sehr hat Ihnen der Job gefallen?

Merk: Sehr. Ich war in Istanbul für jeden der Markus. Ich kam als 'Markus hakem' hin: Markus, der Schiedsrichter. Daraus wurde 'Markus abi': Markus, der Bruder. Nach etwa einem Jahr war ich schon 'Markus hoca'. Das ist eigentlich das größte Lob, das du bekommen kannst - in etwa wie Lehrmeister oder Professor.

Sie waren auch längere Zeit für Sky in Deutschland aktiv. Wie sah damals der Austausch mit den aktiven Schiedsrichtern aus?

Merk: In den Jahren bei Sky war das unvermeidbar. Vor allem, wenn ich mit einer Entscheidung nicht einverstanden war. (lacht) Negative Kritik war aber nie personen-, sondern immer sachbezogen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schwer diese Trennung ist. Mit vielen habe ich ja noch zusammen gepfiffen, einige waren auch mit mir im Ausland und sind mit mir groß geworden - ob Gagelmann, Kinhöfer, Kircher oder Brych. Der Respekt ging nie verloren. Mit der Zeit wurde der Austausch aber weniger. Die aktuellen Schiedsrichter waren zu meiner Zeit teilweise noch in der Verbandsliga unterwegs. Dieser Abstand macht das Kommentieren leichter.

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