Ein machtloser Samurai im Bobby Car

Fernando Alonso fährt seit 2001 in der Formel 1
© getty

Fernando Alonso zeigte beim Saisonauftakt in Australien, was er kann. Trotzdem sind dem zweifachen Formel-1-Weltmeister mit dem lahmenden McLaren-Honda die Hände gebunden. Gerüchte um einen vorzeitigen Rücktritt machten sich breit, doch Alonso will mehr - und braucht dafür viel Geduld.

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Kimi Räikkönen besitzt Kultstatus. Seine authentische, stoische Art, sein immer wiederkehrender Zynismus und seine an den Renningenieur gerichteten Funksprüche der Sorte "Lass mich in Ruhe! Ich weiß schon, was ich mache" begeistern die Fangemeinde seit Jahren.

Doch spätestens mit Hondas Formel-1-Rückkehr als McLarens Motorenlieferant zur Saison 2015 machte sich auch ein anderer, frustrierter Mann auf, die Zuschauer mit sarkastischen Aussagen zu unterhalten: Fernando Alonso.

Ein Auszug aus dem Teamradio-Tagebuch des Spaniers:

Kanada, 2015: Renningenieur Andrea Stella: 'Du musst Sprit sparen.' - Alonso: 'Ich will nicht, ich will nicht. Wir sehen schon jetzt aus wie Amateure!'

Russland, 2015: Renningenieur Andrea Stella: 'Wir fahren gegen Massa im Williams.' - Alonso: 'Ich liebe deinen Sinn für Humor.'

Japan, 2015: Alonso: 'Ich werde auf der Geraden wie ein GP2-Auto überholt. (...) GP2-Motor! GP2! Peinlich, sehr peinlich.'

Dass Alonso während des Freien Trainings in Brasilien 2015 in einem Campingstuhl am Streckenrand ein Sonnenbad genoss und ein Jahr später Kameramann spielte, setzte dem Ganzen die Kult-Krone auf.

Ein Bobby Car in Orange

Alonsos Galgenhumor unterhält die Fans, zeigt in erster Linie aber, auf welchem Frustrationsniveau sich der McLaren-Pilot seit Jahren befindet. Und ein Ende der asturischen Katerstimmung ist trotz aller Hoffnung nicht in Sicht.

Nachdem Alonso 2016 immerhin neun Mal in die Punkte fuhr und Zehnter der Fahrerwertung wurde, ist ein Top-10-Ergebnis momentan so weit weg wie McLarens Teamsitz in Woking von der Honda-Zentrale in Japan. Das offenbarten bereits die Winter-Testfahrten Ende Februar. Nur 425 Runden bzw. knapp 2.000 Kilometer legten Alonso und Stoffel Vandoorne in acht Tagen auf dem Circuit de Catalunya zurück. So wenig wie kein anderes Team. Der Grund: die fehlende Standfestigkeit des neuen Honda-Motors.

Fuhr der in Orange gefärbte McLaren dann einmal, war er auch noch denkbar langsam. "Ich fühlte mich wie in einem Bobby Car", ätzte Alonso anschließend: "In den Kurven brauchte ich kaum zu bremsen. Bei unserem Topspeed können wir auch mit Vollgas durch die Kurven fahren."

Wunderfahrt in Melbourne

Das Chassis ist dabei nicht das Problem. Wie schon in den Vorjahren haben die McLaren-Ingenieure ihren Fahrern ein grundsolides Auto gebaut, das laut Rennleiter Eric Boullier das Zeug für die vorderen Platzierungen hätte. Hinderlich bei der Jagd nach guten Ergebnissen ist - mal wieder - der Motor.

Neben der Defektanfälligkeit, die nach dem Saisonauftakt in Australien aber immerhin vorerst ausgemerzt zu sein scheint, fehlt dem japanischen Antrieb Leistung. Ein hoher Spritverbrauch macht die Fehlkonstruktion perfekt. "Wir haben die Aufgabe unterschätzt", gab Honda-Chef Yusuke Hasegawa gegenüber autosport unumwunden zu: "Auf dem Prüfstand haben wir bei einem Mono-Zylinder sehr gute Ergebnisse erzielt, aber diese Spezifikation können wir nicht auf einen V6 übertragen. Das funktioniert nicht. Das haben wir zu spät realisiert."

Der aktuelle Motor habe "fast dieselbe Power wie letztes Jahr" und damit viel zu wenig im Vergleich zur Konkurrenz. Bis zu 30 km/h fehlen McLaren auf der Geraden - Welten in der Formel 1. "Ich musste brutal Sprit sparen, ab der zweiten Runde drehte ich die Leistung herunter", erklärte Alonso nach dem Melbourne-Rennen, um dann sein eigenes Können hervorzuheben: "Ich hatte noch nie so ein schlechtes Auto und war innerhalb der Top 10. Ich konnte es selber kaum glauben!"

In der Tat schrammte der 35-Jährige nur knapp an einem Wunder vorbei. Von Platz zwölf startend lag Alonso in seinem unterlegenen Boliden bis kurz vor Schluss in den Punkterängen. Erst ein Aufhängungsschaden zwang ihn zu einem vorzeitigen Ende der (gefühlten) Triumphfahrt. Vandoorne kam als 13. und damit Letzter ins Ziel, zwei Mal wurde der Belgier überrundet.

Die Gerüchteküche brodelt

Der Australien-GP zeigte also einmal mehr, welche Qualität Alonso auch in seiner 16. Formel-1-Saison noch mitbringt. Wenig überraschend daher, dass McLaren auf eine Verlängerung des am Ende des Jahres auslaufenden Vertrags pocht. "Es ist noch früh, aber klar: Wir haben darüber geredet", bestätigte Boullier in der AS: "Wir müssen konkurrenzfähig sein, damit er glücklich ist. Wenn nicht, dann trifft er seine eigenen Entscheidungen."

Mit dieser Aussage trifft Boullier ins Schwarze der Gerüchteküche. Denn Alonso wurde in den letzten Wochen und Monaten nicht nur mit einem Engagement bei Mercedes in Verbindung gebracht, auch ein vorzeitiger Rücktritt scheint für den einen oder anderen möglich. "Ich denke, dass er irgendwann seine Geduld verlieren wird. Alles hat seine Grenzen", spekulierte Ex-Teammanager Jo Ramirez in der AS. Und Alonso-Freund Mark Webber orakelte: "Es würde mich nicht überraschen, wenn er noch während der Saison alles hinschmeißt. Er ist frustriert."

Hinschmeißen? Das kommt für den selbsternannten Formel-1-Samurai aber offenbar nicht infrage. Zum einen sei der ihm entgegen gebrachte Respekt wichtiger als Titel. Zum anderen wisse er ohnehin nicht, was er dann mit seiner Zeit anfangen solle. "Ich gehe? Wohin denn? Was soll ich denn zu Hause machen? Auf dem Sofa sitzen und Fernsehen schauen oder Abendessen kochen?", fragte Alonso im Corriere della Sera süffisant. Es sei "besser, in der Formel 1 zu sein, als zu Hause im Supermarkt".

"Ein Samurai arbeitet ohne Unterlass"

Somit dürfen sich die Zuschauer wohl noch länger an einem der besten Fahrer der Königsklasse erfreuen - wenn auch im hinteren Teil des Feldes. Denn: Hoffnung auf gute Resultate hat der zweifache Weltmeister keine. "Es ist komplett unrealistisch zu glauben, dass wir mit diesem Auto bei den kommenden Grands Prix auf einem zehnten Platz herumfahren. Wir müssen uns auf frustrierende Rennen vorbereiten", prognostizierte Alonso: "Wir sind das Schlusslicht der Formel 1. Das wird sich in China und Bahrain brutal zeigen."

In Shanghai wird vor allem die über einen Kilometer lange Gerade zum Verhängnis werden - und Runde für Runde offenbaren, wie machtlos auch ein Alonso in diesem McLaren-Honda ist. Sein bescheidenes Ziel daher: "Ich will die Zielflagge sehen."

Bis Honda eine signifikante Verbesserung ins Heck seines Wagens schrauben kann, wird es mindestens bis zum Europa-Auftakt Mitte Mai dauern. Bis dahin muss sich Alonso mit asiatischen Weisheiten bei Laune halten und sich stets an einen Satz erinnern, den er 2012 selbst twitterte: "Ein Samurai arbeitet ohne Unterlass, ohne Ermüdung und ohne sich auch nur im Geringsten entmutigen zu lassen, bevor er sein Ziel erreicht hat."

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