Den Kritikern das Maul gestopft

Langeweile. Sebastian Vettel führte das Rennen in Ungarn mit Ausnahmer einer Runde immer an
© getty

Die Formel 1 ist langweilig? Die Formel 1 ist dem Untergang geweiht? Quatsch. Die Königsklasse des Motorsports wird ihrem Namen gerecht. Mag das Bild in der Öffentlichkeit noch so schlecht sein, die vermeintlich besseren, längst vergangenen Zeiten sind ein Zerrbild. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Alexander Maack.

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Der Große Preis von Ungarn endete mit einem längst vergessenen Bild: ein Podium ohne Mercedes-Fahrer - erstmals seit dem Finale der Saison 2013 in Brasilien. Zum ersten Mal, seitdem die V6-Hybrid-Antriebe beim Australien-GP 2014 erstmals in einem Rennen eingesetzt wurden.

Für die Kritiker ist seither klar: Die Überlegenheit der Silberpfeile macht die Formel 1 kaputt. Lewis Hamilton dominiert Nico Rosberg nach Belieben und sichert sich Sieg um Sieg.

Wer kritisiert die V10-Langeweile?

Doch stimmt das überhaupt? Wenn Mercedes ähnlich überlegen wäre, wie Ferrari es zu Beginn der 2000er Jahre war, als die Formel-1-Renner noch von den mystifizierten V10-Motoren angetrieben wurden, wäre diese Kritik allemal berechtigt.

Damals fuhr ein Pilot Kreise - um die Konkurrenz, nicht die Rennstrecke. 2001 gewann Michael Schumacher mit 123 Punkten, Vizeweltmeister David Coulthard kam auf gerade mal 65. Ein Jahr später: Wieder Schumacher als Weltmeister, jetzt mit 144 Punkten. Zweiter? Teamkollege Rubens Barrichello mit exakt der Hälfte der Punkte. Juan Pablo Montoya als WM-Dritter kam nur auf lächerliche 50.

Silverstone und Budapest bieten Spektakel

Wer über Langeweile und Dominanz spricht, sollte sich hüten, die Saisons 2014 und 2015 als Beispiel zu nennen und dafür ausschließlich das Reglement verantwortlich zu machen. In Silverstone und Budapest hat die Formel 1 gezeigt, wie viel Potenzial derzeit in ihr steckt. Die Kritiker müssen sich fühlen, als hätte ihnen der Renngott das Maul gestopft.

Beim einen Rennen warf Williams den Sieg durch falsche Taktik schon vor dem einsetzenden Regen weg, beim anderen gewann Ferrari durch Blitzstarts aus eigener Kraft. Das übermächtige Team, das die Konkurrenz in die Schranken weisen sollte, hat eine Achillesferse. Bei Mercedes sind es die Starts: Die Kupplung überhitzt. Zwei Aufwärmrunden in Budapest waren für Hamilton zuviel.

Die Formel 1 ist keine Fahrer-Meisterschaft

Überhaupt: Wer Mercedes für die Überlegenheit an die Wand stellt, versteht den Sinn der Formel 1 nicht. Es sind nicht die Egozentriker im Cockpit, die über den Erfolg entscheiden, sondern die Kunstgriffe der Ingenieure, die Epochen prägen - Colin Chapmans Team Lotus, McLaren-Honda am Übergang zwischen 1980ern und 1990ern, sowie Williams, McLaren und Red Bull unter der Leitung von Adrian Newey. Keiner meckert im Rückblick über ihre technischen Vorteile, sie werden zu Ikonen stilisiert.

Derzeit hat Mercedes das beste Auto im Feld. Sie haben sich so gut auf das neue Reglement eingestellt, dass sie fast unschlagbar scheinen. Jede Niederlage ist ein Highlight für den Zuschauer - und das ist gut so. Könnte jeder immer gewinnen, wäre das auch langweilig.

Was bleibt vom Beginn der Hybrid-Ära?

Wer in 30 Jahren auf den Beginn der V6-Turbo-Ära mit Hybrid zurückblickt, erinnert sich an den erbitterten Kampf zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton in Bahrain und Belgien in der Saison 2014. Er erinnert sich an unglaubliche Rekorde, packende Zweikämpfe und teaminternen Zwist.

Er erinnert sich aber nicht an vermeintliche Langeweile und 30 Sekunden Vorsprung auf den ersten Nicht-Mercedes bei einem x-beliebigen Rennen. Beispiel? Ayrton Senna und Alain Prost holten 1989 genau 15 von 16 Pole Positions und gewannen 10 von 16 Rennen. Diese Ära wird in den Himmel gelobt, dabei gibt es nur einen winzigen Unterschied.

Die Autos waren unzuverlässig.

Langeweile? Senna vs. Prost im McLaren

Brasilien 1989, Saisonauftakt: Senna kollidiert mit Gerhard Berger, Prost hat Getriebeprobleme, Mansell gewinnt. San Marino, zweites Rennen: Senna gewinnt mit 40,255 Sekunden Vorsprung auf Prost, Alessandro Nannini hat im Benetton als Dritter mehr als eine Runde Rückstand. Monaco, dritter Lauf: Senna gewinnt mit 52,529 Sekunden Vorsprung. Stefano Modena wird im Brabham mit über einer Runde Rückstand Dritter.

In der gesamten Saison gab es lediglich zwei Rennen, bei denen der Sieger weniger als zehn Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten hatte. Trotzdem: Diese Epoche gilt als legendär. Sie wird oft genannt, wenn es um Ideen geht, in welche Richtung sich die Formel 1 entwickeln sollte.

Mercedes ist menschlich

Doch dass selbst in Brackley nur Menschen arbeiten, die Fehler machen, wird immer deutlicher. Die Grands Prix in Kanada, Ungarn und Belgien gewann Daniel Ricciardo im Vorjahr aufgrund technischer Probleme der Silberpfeile. Doch die beiden Siege von Vettel anno 2015 resultierten aus menschlichen Fehlern.

Hamilton hätte den Ungarn-GP trotz schlechtem Start gewinnen können, wenn er nicht ins Kiesbett gefahren wäre - oder Daniel Ricciardo auf die Hörner genommen hätte. Und Rosberg verlor beim zweiten Stopp die Möglichkeit auf einen Angriff, weil er die harten Reifen bekam: Mercedes hatte ihn bei Aktivierung des Virtuellen Safety Car sofort reinbeordert, aber keinen weichen Reifensatz parat.

Rosberg vs. Hamilton = Verstand vs. Spektakel

Sicher, man kann dem Deutschen vorwerfen, dass er nicht auf Gedeih und Verderb attackiert hat, dass er das eigentlich nie tut. Oder man akzeptiert, dass genau das Rosbergs große Stärke ist: Er wägt Chancen und Risiko ab, bevor er angreift. Mit dieser Taktik hielt er die Weltmeisterschaft 2014 offen, bis sein Hybridsystem versagte.

Mich erinnert der Wettstreit ein wenig an das Duell von Jimmy Vasser und Michael Andretti in der CART-Saison 1996: Vasser gewann drei der ersten vier Rennen und fuhr danach in den Top 12 seine sicheren Punkte nach Hause. Er siegte bei keinem weiteren Rennen. Andretti gewann zwei Läufe mehr, er wurde aber sechsmal außerhalb der Punkteränge gewertet und mit 22 Punkten Rückstand nur Zweiter.

Aktuell liegt Rosberg nur 21 Punkte hinter Hamilton. Ein Sieg bei einem Ausfall des Teamkollegen würde reichen, um die Führung in der Fahrer-WM zu übernehmen. Wer das Rennen in Budapest gesehen hat, dürfte wissen, dass die Chance dazu besteht.

Kopf gegen Leidenschaft, Verstand gegen Spektakel - ein faszinierendes Duell der Gegensätze. Und dahinter lauert der angeblich chancenlose Ferrari-Außenseiter auf seine Chance. Vettel liegt nur 21 Punkte hinter Rosberg. Obwohl er gefühlt jedes Rennen hinterherfährt.

Diese Überlegenheit, diese Langeweile kann gerne weiter anhalten. In Spa werden die Starthilfen verboten. Die Spannung steigt, wie unschlagbar die Mercedes mit ihren anfälligen Kupplungen dann noch sind!

Kalender und WM-Stände 2015 im Überblick