Formel 1 - Abu-Dhabi-GP: Völlig irres Finish! Verstappen klaut Hamilton in der letzten Runde den Titel

Von Christian Guinin
Max Verstappen ist neuer Formel-1-Weltmeister.
© getty

Der Machtwechsel ist vollzogen: Max Verstappen hat den Großen Preis von Abu Dhabi gewonnen und sich damit seinen ersten Formel-1-Weltmeister-Titel gesichert. Im wohl spannendsten Finish der F1-Geschichte sicherte sich der Niederländer in der letzten Runde des Rennens den Sieg, als er an Konkurrent Lewis Hamilton vorbei ging, welchem ein zweiter Platz nicht zu Titel Nummer acht reichte. Dritter wurde Carlos Sainz im Ferrari.

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Das Feuerwerk erleuchtete den Nachthimmel, Zehntausende Fans in Orange feierten Verstappens entscheidendes Manöver, und der Niederländer selbst konnte es kaum fassen. "Das ist unglaublich Jungs", funkte er mit zittriger Stimme an die Box: "Können wir das bitte in den kommenden 10 bis 15 Jahren zusammen machen?" Er wolle "bis ans Lebensende bei diesem Team bleiben, ich liebe sie", sagte er später noch.

Hamilton dagegen saß lange in seinem Auto, behielt den Helm auch danach noch lange auf. Weiterhin bleibt der Brite "nur" geteilter Rekord-Champion mit Michael Schumacher. "Gratulation an Max und sein Team", nahm Hamilton seine Niederlage aber gewohnt sportlich fair. "Es war eine unglaublich schwierige Saison, aber wir haben nie aufgegeben und auch einen tollen Job gemacht."

In der Konstrukteurs-Wertung sicherte sich trotz des Sieges von Max Verstappen Mercedes zum achten Mal in Folge den Titel. Damit schob sich das deutsche Werksteam auf Rang drei der Bestenliste. Seit Einführung dieser Wertung zur Saison 1958 haben lediglich Ferrari (16) und Williams (9) mehr Team-Titel geholt.

Aus deutscher Sicht kam Sebastian Vettel (Aston Martin) im letzten Saisonrennen nicht über Rang elf hinaus, Mick Schumacher beendete seine Debüt-Saison im Haas als 14. Ex-Weltmeister Kimi Räikkönen (Alfa Romeo) schied im letzten Rennen seiner Karriere wegen Bremsproblemen frühzeitig aus.

Mit der endgültigen Niederlage wollte sich Mercedes jedoch noch nicht abfinden. Die Silberpfeile legten nach dem Rennen wegen zweier angeblicher Verstöße gegen das Sportliche Reglement Protest ein. Von der FIA wurden diese am späten Abend jedoch abgewiesen.

Abu-Dhabi-GP: Die Analyse

Der Start markierte den ersten Schlüsselpunkt des Rennens. Hamilton kam besser vom Fleck und kassierte Verstappen schon in der ersten Kurve. Im Anschluss versuchte sich der Niederländer nach der langen DRS-Geraden innen am Mercedes-Piloten vorbeizubremsen, Hamilton reagierte allerdings gut, wich in die Auslaufzone aus und behielt so die Führung.

Die Beschwerden Red Bulls sollten nicht lange auf sich warten lassen. RB-Teammanager Jonathan Wheatley forderte die Rennleitung via Funk auf, Verstappen Platz eins zu überlassen, diese argumentierte allerdings damit, dass Hamilton keinen Platz gehabt und lediglich eine Kollision vermieden hätte. Eine Strafe wurde folgerichtig nicht ausgesprochen, Hamilton behielt die Führung.

Und Hamilton sollte die Muskeln spielen lassen. In "clean air" und mit dem vermeintlich besseren Rennreifen knallte der Brite eine Bestzeit nach der anderen auf die Anzeigetafel, Verstappen konnte der Pace des Mercedes' nicht folgen. Hinzu kam der fortschreitende Reifenverschleiß beim Niederländer, der ihn in Runde 14 als erster aller Piloten zum Boxenstopp zwang.

Bei Mercedes erkannte man die Gefahr eines möglichen Undercuts und bat Hamilton nur einen Umlauf später zur Abfertigung an die Box. Problemlos verteidigte der Brite seinen Fünf-Sekunden-Vorsprung vor dem RB-Fahrer. Dieser sollte sogar noch weiter ansteigen, da sich Verstappen erst an mehreren Fahrzeugen vorbeikämpfen musste.

Das änderte sich erst, als Hamilton auf Verstappen-Teamkollege Perez auflief. In gewohnt harter, aber sehr fairer Manier verteidigte sich der Mexikaner gegen Hamilton. Das Ziel: Den Mercedes-Piloten möglichst viel Zeit zu kosten. Und das funktionierte. Mehr als sechs Sekunden büßte Hamilton im Zweikampf mit Perez ein. Verstappen, den der Mexikaner im Anschluss ohne Gegenwehr vorbeifahren ließ, lag plötzlich nur noch zwei Sekunden hinter seinem Rivalen.

Abu-Dhabi-GP: Verstappen profitiert von SC-Phasen

Spannend wurde es 20 Runden vor Rennende noch einmal, als Alfa Romeo-Pilot Antonio Giovinazzi seinen Wagen aufgrund von Getriebeproblemen kurz nach Kurve neun abstellen musste und für ein Virtual Safety Car sorgte. Red Bull sah die Chance und holte Verstappen ein weiters Mal an die Box, um ihm für den Schlussspurt frische Hards aufzuziehen.

Verstappen verkürzte daraufhin zwar den anfänglichen Rückstand von 17 Sekunden auf Hamilton kontinuierlich, in Schlagdistanz zum Briten kam er aber zunächst nicht. Hamilton profitierte dabei vornehmlich von zu überrundenden Fahrern, wegen denen Verstappen nicht die volle Pace aus seinen Pneus kitzeln konnte.

Als schon alles nach einem sicheren Sieg und dem WM-Titel für Hamilton aussah, kam es nach einem Abflug von Nicholas Latifi (Williams) für die letzten Runden noch einmal zu einer Safety-Car Phase. Ein weiteres Mal reagierte Red Bull blitzschnell und holte Verstappen für einen Wechsel auf frische Softs an die Box, um einen letzten Angriff zu wagen. Hamilton hingegen war erneut zum Zuschauen verdammt, da man auf Seiten Mercedes befürchtete, Verstappen könnte durch einen Boxenstopp am Briten vorbei gehen.

Wegen der länger dauernden Aufräumarbeiten gab die FIA das Rennen erst für die letzte Runde frei. Verstappen bleib somit lediglich ein einziger Umlauf, an Hamilton vorbeizugehen und sich den Sieg zu sichern. Es kam wie es kommen musste: Mit den frischen, weichen Reifen attackierte der Niederländer Hamilton auf der langen DRS-Geraden und ging wenige Kilometer vor der Ziellinie am Mercedes-Piloten vorbei. Ein Konter gelang Hamilton nicht mehr.

Durch seinen Sieg krönte sich der Niederländer zum ersten Mal zum Formel-1-Weltmeister. Hamilton, der im Ziel Zweiter wurde, verpasste hingegen mit dem achten Titel den alleinigen Rekord vor Michael Schumacher (sieben Titel). Dritter wurde Ferraris Carlos Sainz.

Die Top 10 des Saison-Finales komplettierten Yuki Tsunoda (4./AlphaTauri), Pierre Gasly (5./Alpha Tauri), Valtteri Bottas (6./Mercedes), Lando Norris (7./McLaren), Fernando Alonso (8./Alpine), Esteban Ocon (9./Alpine) und Charles Leclerc /10./Ferrari). Verstappen-Teamkollege Perez musste ein starkes Rennen wegen Motorenproblemen vorzeitig aufgeben. Laut Red Bull wollte man kein "unnötiges Safety Car" riskieren, was möglicherweise Verstappen hätte Schaden können.

Abu-Dhabi-GP: Die Reifenstrategie

Der verpatzte Start von Verstappen machte den Plänen Red Bulls bereits in der ersten Runde einen Strich durch die Rechnung. Anstatt besser vom Fleck zu kommen und im ersten Stint eine Lücke herauszufahren, verlor der Niederländer die wichtige Track-Position eins und steckte in der "dirty air" seines Vordermannes fest.

Innerhalb des ersten Stins sollte der Vorsprung Hamiltons auf über acht Sekunden anwachsen. Um kein unnötiges Risiko einzugehen, coverte man bei Mercedes zudem den ersten Stopp Verstappens in Runde 14 nur einen Umlauf später.

Spannend wurde es erst, als Antonio Giovinazzi wegen Getriebeproblemen ausrollte und ein Virtual Safety Car provozierte. Red Bull nutzte die Chance und tauschte bei Verstappen ein zweites Mal auf frische Hards. Bei Mercedes war hingegen die Furcht, die Track-Position zu verlieren zu groß. Hamilton blieb draußen.

Im zweiten Stint hatte der Niederländer dem Mercedes Piloten gegenüber dementsprechend den Vorteil der deutlich frischeren und schnelleren Reifen. Wirklich Boden gut machte Verstappen aber zunächst nicht, auch weil viele zu überrundende Fahrer zwischen beiden WM-Rivalen lagen.

Im letzten Renndrittel sollte Red Bull dann zum zweiten Mal schneller als Mercedes reagieren. Nach dem Abflug von Latifi wenige Runden vor Schluss und der anschließenden Safety-Car-Phase tauschte man bei Verstappen ein weiteres Mal auf frische Reifen. Wegen dieser sicherte sich Verstappen auch letztlich den WM-Titel in der letzten Runde, als er auf der langen DRS-Geraden die bessere Traktion hatte und Hamilton keine Chance ließ.

Highlight des Rennens: Perez-Verteidigung gegen Hamilton

Schon in der Türkei in diesem Jahr konnten wir bei einem Duell zwischen Perez und Hamilton die Verteidigungskünste des Mexikaners begutachten, in Abu Dhabi brachte der RB-Pilot den Briten ein weiteres Mal an den Rand der Verzweiflung.

Auf dem deutlich unterlegenen, abgenutzten Soft-Reifen hielt Perez den deutlich schnelleren Mercedes mehrere Runden hinter sich und verschaffte Teamkollege Verstappen somit, den Anschluss wiederherzustellen.

Dabei konterte Perez auf den DRS-Geraden gleich zwei Mal äußerst sehenswert, als er den überraschten Hamilton innen überraschte. Im langsamen Streckenteil drückte der Mexikaner dann auf die Bremse, um Hamilton maximal viel Zeit zu kosten.

Das sollte sich auch in den Rundenzeiten widerspiegeln. Innerhalb von zwei Umläufen drückte Verstappen den Rückstand auf Hamilton von über acht auf unter 2,5 Sekunden.

Top des Rennens: Red Bull

Egal ob Max Verstappen, der sich nie aufgab und letztlich mit seinen ersten Weltmeister-Titel belohnte, ein aufopferungsvoll kämpfender Sergio Perez, der sich für seinen Teamkollegen in die Schusslinie warf oder die stets gut reagierende RB-Strategieabteilung - die Teamleistung der Österreicher am heutigen Sonntag war überragend.

Flop des Rennens: Valtteri Bottas

Während Perez seinem RB-Teamkollegen mit aller Kraft und Möglichkeiten zur Seite stand, musste Hamilton auf die Hilfe des Finnen komplett verzichten. Aufgrund schlichtweg fehlender Pace kam Bottas weder als Bremsklotz noch als taktische Option für Mercedes in Frage. Für den 32-Jährigen endet das Kapitel bei den Silberpfeilen damit mit einer weiteren Enttäuschung. Man kann ihm nur wünschen, dass es bei seinem zukünftigen Rennstall Alfa Romeo besser läuft.

Formel 1: Die WM-Wertung nach 22 von 22 Rennen

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull395,5*
2Lewis HamiltonMercedes387,5*
3Valtteri BottasMercedes226
4Sergio PerezRed Bull190
5Carlos SainzFerrari164,5*
6Lando NorrisMcLaren160
7Charles LeclercFerrari159
8Daniel RicciardoMcLaren115
9Pierre GaslyAlphaTauri110
10Fernando AlonsoAlpine81
11Esteban OconAlpine74
12Sebastian VettelAston Martin43
13Lance StrollAston Martin34
14Yuki TsunodaAlphaTauri32
15George RussellWilliams16
16Kimi Räikkönen (wegen Covid-19 nur 20 der 22 Rennen)Alfa Romeo10
17Nicholas LatifiWilliams7
18Antonio GiovinazziAlfa Romeo3
19Mick SchumacherHaas0
20Robert Kubica (für Räikkönen bei Niederlande-GP und Italien-GP)Alfa Romeo0
21Nikita MazepinHaas0
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Mercedes613,5*
2Red Bull585,5*
3Ferrari323,5*
4McLaren275
5Alpine155
6AlphaTauri142
7Aston Martin77
8Williams23
9Alfa Romeo13
10Haas0

*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.

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