Das Ego im massiven Wandschrank lassen

Von Marco Kühn/tennis-insider.de
Roger Federer
© getty

Wie man mit Niederlagen und Kritik umgeht, entscheidet, wie man sich als Tennisspieler weiterentwickelt.

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Mit dem Blick nach unten gerichtet wird der Platz verlassen. Das 3:6 und 5:7 war ärgerlich und noch knapper, als es das Ergebnis verrät. Einige Ballwechsel gehen einem noch mal durch den Kopf. Nicht jeder einzelne Schlag der Rally, aber die Highlights. Ist man auf der Terrasse der Tennisanlage angekommen, klopfen einige Hände auf die hängenden Schultern. Mut wird zugesprochen. Aufmunternde Worte prasseln wie nerviger Nieselregen ins Gesicht. Ins linke Ohr gehen sie hinein, aus dem rechten schleichen sie unbeachtet wieder heraus. Ein Bier wird getrunken, oder auch zwei oder drei. Keine 15 Minuten später ist das Match und die damit verbundene Niederlage vergessen.

Das Ego ist der Feind

Um sich als Tennisspieler weiterzuentwickeln, muss man sein Ego in einen massiven Wandschrank schließen können. Wer hört sich schon gerne Kritik an? Erst recht, wenn man eh mit den eigenen Nerven ziemlich Richtung Abgrund geht? Genau. Niemand von uns mag Kritik. Vor allem, wenn sie ins Schwarze trifft und Umstände aufdeckt, die man selbst für sich heimlich unter den Teppichboden kehrt - immer wenn gerade keiner hinsieht. Vor allem Tennisspieler sind sensibel und fühlen sich schnell persönlich angegriffen. Und das vollkommen zu recht. Sie stehen ganz allein auf dem Court. Geben in den verschiedenen, meist komplexen Spielsituationen ihr Bestes. Sind 90 oder mehr Minuten in einem Tunnel gefangen, aus dem es keinen Notausgang gibt und man selbst sein einziger Ansprechpartner und Vertrauter ist. In manchen Phasen ist ein Tennismatch tatsächlich wie eine Wanderung durch einen dunklen Wald, einzig mit einer flackernden Taschenlampe bewaffnet - allein. Man weiß nicht, was als Nächstes passieren wird. Man weiß nur, dass man handeln und Entscheidungen treffen muss. Und im Anschluss eines Matches ist man nur schwer in der Lage, ehrlich und vernünftig die eigenen Fehler zu analysieren. Das Ego findet oft einen Weg aus dem Wandschrank heraus.

Vernunft

Besser wird der Spieler, der vernünftig und frei von seinem Ego seine härtesten Niederlagen analysieren kann. Roger Federer hat aus seinen schmerzhaften Niederlagen gegen Rafael Nadal und Novak Djokovic jenes Tennis entwickelt, welches ihn jetzt wieder zum momentan besten Tennisspieler der Welt macht. Federer hat geflucht, geweint und verbissen gekämpft. Niemals aufgegeben und immer wieder brutal ehrlich sich und sein Tennis hinterfragt. Obwohl er bereits der beste Tennisspieler aller Zeiten war. Das Ego von Roger Federer ist in einem massiven Wandschrank. In einer finsteren Höhle, umgeben von Stahlketten, irgendwo in Tibet.

Wie aber kann man vernünftig und analytisch seine Niederlagen betrachten? Der erste und wichtigste Punkt ist die Einsicht, dass dies der einzige Weg ist zu lernen. Gewinnen macht Spaß. Mit einem Erfolg vom Platz zu gehen ist ein tolles Gefühl. Doch lernt man auf diese Weise herzlich wenig. Denkt man vernünftig und macht sich bewusst, dass Niederlagen immer ein hervorragender Lehrer sind, ist das Ego schon mit dem Oberkörper und einem Bein im Wandschrank.

Humor

Der zweite Schritt ist Humor. Voller Ärger und Frust zu analysieren wird klappen - aber nur 30 Sekunden. Lernt man, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und vollkommen unparteiisch zu betrachten, fällt die Analyse und das Lernen einfacher. Humor ist ein tolles Werkzeug, um sich zu verbessern. In jeder Lebenslage und besonders auf dem Tennisplatz. Der Stoppball bei 4:4 und 15:40 bei eigenem Aufschlag war einfach ein Himmelfahrtskommando. Es war unklug und zu selbstverliebt. Punkt. Durch Humor lassen sich eigene Fehlentscheidungen in einem ganz anderen Licht sehen. Der eigene Blick auf diese Situationen verbessert sich. Der Blick wird klarer. Das Ego hat nur noch die linke Ferse außerhalb des Wandschranks.

Lernen

Hat man sein Ego fast abgeschottet und einen klaren und vernünftigen Blick auf die Niederlage, so kann das wahre Lernen beginnen. Was waren die entscheidenden Fehler, die zur Niederlage geführt haben? Welche Stärken des Gegners wurden während des Matches übersehen? Hat man dem Gegner überhaupt genug Aufmerksamkeit geschenkt? War man selbst vielleicht zu unkonzentriert und mit sich selbst beschäftigt? Welche Schläge haben dem Gegner die meisten Punkte gebracht? Wo hielt man sich während der Ballwechsel zumeist auf? War man vielleicht zu weit hinter der Grundlinie?

Fragen und die vernünftigen, mit einem klaren Blick auf die Niederlage gefundenen Antworten sperren das Ego endgültig in den Wandschrank.

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