NFL

Heilsbringer auf Zeit?

Von Jan-Hendrik Boehmer
Geno Smith geht bei den New York Jets in seine erste NFL-Saison
© imago

Rekordhalter, College-Star, Draft-Enttäuschung: Geno Smith hat eine Achterbahnfahrt der Gefühle hinter sich. Nachdem er zuletzt als "verwöhntes Gör" bezeichnet wurde, will er es nun seinen Kritikern zeigen.

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656 Yards. 8 Touchdowns. Alles in einem Spiel. Der präziseste College-Quarterback aller Zeiten, ein Star und kommender Top-10-Pick. Das ist Geno Smith. Oder besser: Das war Geno Smith. Am College.

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Denn bei den New York Jets machte der Rookie-Quarterback zuletzt wegen ganz anderer Statistiken Schlagzeilen: 3 Interceptions innerhalb von nur 12 Pässen, rückwärts aus der eigenen Endzone gelaufen, und dazu eine Trainingseinheit, die Jets-Coach Rex Ryan nur noch mit den Worten "brutal" und "wirklich sehr, sehr schlecht" beschreiben konnte. Von einer Knöchelverletzung ganz zu schweigen.

Zwischen diesen beiden Versionen des Geno Smith liegen nur ein paar Monate. Dennoch scheinen sie Lichtjahre voneinander entfernt. Die zweite Hälfte von Smiths letzter College-Saison in West Virginia ging den Bach runter (6 Niederlagen in den letzten 8 Spielen), im Draft musste der 22-Jährige mit ansehen, wie er in die zweite Runde abrutschte. Negativ-Schlagzeilen machten die Runde.

Twitter beim Vorstellungsgespräch

Unprofessionell habe sich Smith in den Wochen vor dem Draft verhalten, hieß es, und damit seinen Absturz aus der ersten Runde selbst verursacht. Ein namentlich nicht genannter NFC-Scout bezeichnete ihn sogar als "verwöhntes Gör", nachdem sich Smith bei einem Team-Besuch offenbar furchtbar daneben benommen hatte. Anstatt sich auf die Gespräche mit Trainern und Team-Offiziellen zu konzentrieren, soll Smith lieber mit seinem Handy gespielt haben, hieß es.

Dass Smith dann nach dem für ihn enttäuschend verlaufenden Draft auch noch geplante Interviews mit "ESPN" platzen ließ, frustriert die Halle verließ und seine Manager feuerte, trug nicht gerade dazu bei, sein angekratztes Image aufzupolieren.

Bereits vor dem Draft hatte das Magazin "Pro Football Weekly" Smiths Arbeitsmoral und Führungsqualitäten in Frage gestellt. Das Fazit des Fachblatts: "Smith kümmert sich wenig um die Spiel-Vorbereitung - zudem fehlt ihm unter den Teamkollegen der Respekt."

Saison bei den Jets bereits abgeschrieben?

Trotzdem ist Smith mittlerweile Starting-Quarterback der New York Jets. Weil Mark Sanchez verletzt ist - aber auch, weil man in New York glaubt, den neuen Franchise-Quarterback gefunden zu haben. Munkelt man jedenfalls. Denn offiziell will sich das Team noch nicht auf Smith als definitive Lösung für die Zukunft festlegen und spricht weiter von einem offenen Wettbewerb.

Aus dem Umfeld von Sanchez drang allerdings durch, dass der ehemaligen Nummer eins bereits zu verstehen gegeben wurde, sich wohl auch für den Rest der Saison mit einem Platz auf der Ersatzbank anzufreunden. Wie die "USA Today" berichtet, hat man bei den Jets die kommende Saison bereits abgeschrieben und konzentriert sich lieber auf den Rebuild. Inoffiziell jedenfalls.

Denn selbst wenn General Manager John Idzik den Begriff "Rebuild" vermeidet, einen kompletten Neuaufbau bestreitet und darauf pocht, auch in dieser Saison konkurrenzfähig zu sein, so lässt er doch verlauten, dass man auf der Quarterback-Position etwas aufbauen möchte. Heißt im Klartext: Wenn sich Smith nicht verletzt, ist Sanchez' Starter-Karriere in New York nach vier Jahren vermutlich beendet.

Smith muss sich wohl fühlen

Die Frage ist also: Warum bekennen sich die Jets nicht zu Smith? "Ryan muss sich auf Smith festlegen", fordert der New Yorker Jets-Kolumnist Steve Politi: "Nach vier Jahren wissen die Jets, was sie an Sanchez haben. Einen Quarterback, der nur gut die Hälfte seiner Pässe an den Mann bringt und eine Vorliebe dafür hat, den Ball in die Arme wartender Gegenspieler zu werfen. Wir brauchen den Wechsel. Mehr noch: Öffentlich auf Smith zu setzen, ist längst überfällig. Das würde Geno enorm helfen."

Unterstützung bekommt er von Smiths ehemaligem High-School-Trainer Damon Cogdell. "Wenn sich die Jets schneller zu Geno bekannt hätten, dann hätte er garantiert bereits besser gespielt", erklärte Cogdell dem "New Jersey Star Ledger". "Geno muss sich wohl fühlen, sich sicher sein. Bisher hatte er wegen des Quarterback-Duells und der Aussagen der Trainer keine Gelegenheit dazu."

Was passiert, wenn Smith verunsichert ist, zeigte das dritte Preseason-Spiel der Jets gegen die Giants. Mit Sanchez im Nacken wirkte Smith (16/30, 199 YDS, 1 TD, 3 INT, 1 Safety) gehetzt, war unruhig in der Pocket, vernachlässigte seine Wurftechnik, hatte Probleme beim Erkennen gegnerischer Formationen und versuchte, Pässe in viel zu kleine Fenster zu zwingen. Kurz: "Das war nicht der Geno, der ich normalerweise bin", wie Smith nach dem Spiel sichtlich bedrückt zugab.

"Habe mir den Hintern abgearbeitet"

Welchen Geno Smith bekommen die Jets-Fans zum Saisonauftakt gegen Tampa Bay also zu sehen? Ist der Rookie nach nur 69 Preseason-Snaps bereit für die NFL? Zum Vergleich: Jake Locker spielte bei den Tennessee Titans in der aktuellen Vorbereitung auf seine zweite volle Saison als Starter 114 Snaps.

Smith selbst sagt: absolut. "Ich bin bereit", erklärte er auf einer Pressekonferenz - und wies damit Vorwürfe zurück, wonach ein Start unter Realbedingungen noch viel zu früh kommen würde. "Das Team würde mich nicht aufs Feld schicken, wenn sie glauben würden, dass ich nicht bereit wäre", so Smith weiter. "Ich habe mir in der Vorbereitung den Hintern abgearbeitet."

Das ist auch dringend nötig. Denn nach den Buccaneers geht es in den kommenden Wochen gleich zweimal gegen die Patriots und dazu noch gegen Pittsburgh und Atlanta. Und das mit einem Team, das bei vielen Experten als das derzeit schlechteste der NFL gilt. Noch nach den Raiders und Bills.

Quarterback-Battle oder klares Bekenntnis?

"Uns ist durchaus bewusst, dass das für einen Rookie-Quarterback eine große Herausforderung ist", räumt selbst Coach Ryan ein. Aber, so sagt er, die Last läge eben nicht nur auf den Schultern seines neuen Quarterbacks.

"Ich habe Geno gesagt, dass er sich eine Sache immer klar vor Augen halten muss", so Ryan. "Dass er nur ein Teil des großen Ganzen ist. Ein Teil der Lösung. Er soll nicht denken, dass er das komplette Team zum Sieg tragen muss. Er soll einfach nur raus gehen und seine Position spielen."

Und die Jets wissen, dass Smith dazu vor allem Unterstützung braucht. Nachdem es in der Vergangenheit immer wieder teaminterne Quarterback-Diskussionen (Tebow vs. Sanchez) gegeben hatte, wollen jetzt wenigstens seine Mitspieler geschlossen hinter Smith stehen.

"Das ist das Geringste, was wir tun können", sagt Tight End Kellen Winslow. "Für ihn da sein und das kleine bisschen Extra-Motivation finden, um noch besser zu spielen, damit er sich auf dem Feld wohlfühlt. Das ist unser Ziel."

Smith: "Ein großes Spiel"

Smith selbst versucht derweil, sich von der gesamten Diskussion zu distanzieren. "Ich befasse mich überhaupt nicht damit, was nach dem nächsten Spiel passiert", sagt er. Denn: "Egal was passiert, meine Vorbereitung wird sich eh nicht ändern. Ich gehe raus, um ein großes Spiel zu haben."

Komplett aus der Welt schaffen kann Smith den Druck, der auf ihm lastet, aber dennoch nicht. Er weiß genau, wie viel das erste Spiel für ihn bedeutet. Dementsprechend klar ist sein Ziel für das erste Saisonspiel.

"Ich werde hart arbeiten und beweisen, dass ich es wert bin, für die Jets zu starten. Das ist mein Traum. Und ich vertraue darauf, dass das der Grund ist, warum mich das Team geholt hat."

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