Verbrecher sind besser als Schwule

Von Jan-Hendrik Böhmer
2007 gewann Donahoe den NCAA-Titel - 2008 flog er wegen Nacktaufnahmen von der Schule
© Danielle Hobeika / www.AmateurWrestlingPhotos.com

Sechs Sekunden. So lange dauerte Paul Donahoes erster Ringkampf. Sechs Sekunden. Dann hatte er seinen ersten Gegner besiegt. Ein Naturtalent. Damals war er sechs Jahre alt. Heute ist der 25-Jährige einer der besten Ringer der USA - und die Hauptfigur in einer bizarren Geschichte um Doppelmoral, College-Sport-Gesetze und Schwulen-Pornos.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Die Geschichte spielt in Lincoln, Nebraska. Einem der konservativsten US-Bundesstaaten. Wenn es nach einem Großteil der dortigen Bevölkerung ginge, wäre Barack Obama nie Präsident geworden. Homosexuelle Menschen? Pornografie? Darüber möchte man nicht reden. Besonders dann nicht, wenn sich das Ganze vor der eigenen Haustür abspielt.

"Dass es so etwas in Lincoln gibt, das können die Menschen einfach nicht begreifen. Das setzt sie unter Schock", sagt Radio-Moderator Jason Peter zu "ESPN". "Für sie gehören diese Dinge nach Los Angeles oder Las Vegas - aber nicht den eigenen Hinterhof. Oder an ihr College. Und schon gar nicht zu den Jungs aus ihren geliebten Sport-Teams."

Jungs wie Paul Donahoe. Nationaler College-Champion 2007. Eines der größten Ringer-Talente der USA. Kurz: Der Stolz des Teams. Und: nicht schwul, wie er sagt.

"Er würde alles tun, um zu überleben"

Donahoe trainiert seit seinem sechsten Lebensjahr. Jeden Tag. Für seine Karriere als Ringer. Und er ist stolz auf das Ergebnis. Seinen durchtrainierten Körper. Seine 55 Kilogramm pure Muskelmasse. "Ich habe viel dafür getan", sagt er. "Warum sollte ich jetzt nicht stolz darauf sein?" Eine gute Frage. Und Donahoe weiß auf sie keine Antwort.

Deshalb findet er es auch nicht anstößig, als ihm eine Erotik-Seite für schwule Männer viel Geld dafür bietet, sich vor laufender Kamera auszuziehen. Wie viel genau? Das will er nicht sagen. Nur so viel: "Irgendwann habe ich dann gedacht: Andere Menschen haben schon viel schlimmere Sachen für viel weniger Geld gemacht."

Und Geld, das war bei ihm schon immer ein Thema. Ist es noch. Trotz des Stipendiums. Er sagt: ich komme aus der unteren Mittelschicht. "Er würde alles tun, um zu überleben", erklärt die Frau seines ehemaligen Highschool-Trainers. "Früher hatte er nichts."

Ist ja eine Schwulen-Seite...

Früher. Das war, als sich seine Eltern scheiden ließen. Damals war er sieben Jahre alt. Eine schmutzige Scheidung und eine verkorkste Kindheit, sagen die, die ihn kennen.

Er flüchtet sich in den Sport. Seine Trainer werden zu seiner Familie. "Auf der Matte ist er der härteste Arbeiter - nur abseits, da hat er Probleme", sagt Ex-Teamkollege Robert Sanders. Donahoe ist unsicher, trinkt viel, feiert lange und sucht verzweifelt nach Anerkennung.

Und genau die bekommt er: von einer Erotik-Seite. Er fühlt sich geschmeichelt und lässt sich zusammen mit Teamkollege Kenny Jordan auf Kosten der Website-Produzenten nach Los Angeles fliegen, wo beide für eindeutige Fotos und Videos posieren. Einfach so. "Wir dachten: das findet niemand raus. Ist ja eine Schwulen-Seite", so Donahoe.

Facebook erledigt den Rest

Doch es kommt raus. Denn natürlich gibt es auch in Lincoln, Nebraska homosexuelle Menschen. Studenten, die Donahoe erkennen. Trotz seines Künstlernamens Nash. Sie erkennen ihn an einer Tätowierung auf dem Oberschenkel. Denn dort prangt groß das Logo der Universität. Der rote Buchstabe N. Den Rest erledigt Facebook.

"Ich bekam Nachrichten", sagt Donahoe. "Schwule lobten mich für die Bilder. Ich habe ihnen noch gesagt, sie sollen es für sich behalten, doch es war zu spät". Am Campus in Lincoln verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Und auf das Lob der Schwulen folgt das Entsetzen vieler konservativer Studenten und besonders deren Eltern.

Irgendwann landen die Fotos dann auch auf dem Schreibtisch von Donahoes Trainer Mark Manning. Resultat: Er und Jordan werden suspendiert. Der offizielle Vorwurf: Sie hätten sich selbst mit den Porno-Aufnahmen vermarktet. Werbung gemacht. Ihr Image gestärkt und dafür Geld bekommen. Eine Tat, die laut den striken Richtlinien des College-Verbandes NCAA verboten ist.

"Ich habe nichts Illegales gemacht"

Doch für Donahoe ist das nur ein Vorwand. "Ich habe nichts Illegales gemacht", sagt er dem "Boston Globe". "Ich habe niemanden verletzt. Ich habe nichts Falsches getan." Und das Geld? Das habe er mittlerweile an eine gemeinnützige Einrichtung gespendet.

Es ginge der Universität viel mehr um ihr Image. Mit Schwulen wolle man eben nicht in Verbindung gebracht werden, sagt er. Selbst wenn sie gar nicht schwul seien. Das gelte ganz besonders für das Ringer-Team. Denn über einen Sport, bei dem sich muskulöse Männer eng umschlungen am Boden wälzen, gäbe es auch so schon genug Vorurteile.

Weitere Vorwürfe gegen Donahoe

Die Verantwortlichen in Nebraska sagen: Donahoe ist nicht das Unschuldslamm, als das er sich verkaufen will. Die Fotos im Internet seien lediglich der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Zuvor sei er bereits durch diverse andere Delikte aufgefallen.

Das stimmt, räumt auch Donahoe ein. So wird er etwa mit einem angebrochenen Sixpack Bier im Kofferraum seines Autos von der Polizei angehalten, wegen einer zu lauten Party in seiner Wohnung verwarnt, hat mehrere handfeste Auseinandersetzungen mit seiner Ex-Freundin und verkauft unerlaubterweise einen vom Verband als Preis erhaltenen iPod.

Alles Kleinigkeiten, wie Donahoe sagt. Und bestimmt kein Grund, ihn vor die Tür zu setzen.

Man konnte es nicht unter den Teppich kehren

Schließlich hätten unzählige seiner weiterhin ringenden Teamkollegen deutlich mehr auf dem Kerbholz. Die Rede ist von verbotenem Glücksspiel. Und davon, dass sich zwei minderjährige Athleten auf der Hochzeit des Trainers erst betrunken und dann im Streit mit einer zerbrochenen Flasche so schwer verletzt hätten, dass einer von ihnen im Krankenhaus wieder zusammengeflickt werden musste. Auch Anzeigen wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss seien bei den Sport-Teams an der Tagesordnung. 14 weitere Ringer haben teils erheblichen Ärger mit dem Gesetz.

Donahoe sagt, das alles habe niemanden gestört. Ganz im Gegenteil. Bis zuletzt sei er der Liebling des Trainers gewesen. Der habe ihm Briefe geschrieben, gesagt: "Du gehörst zur Familie. Ich tue alles für Dich. Du bist die Inspiration und das Lebenselixier des Teams."

Nur Nacktaufnahmen für eine Schwulen-Erotikseite, die konnte die Familie nicht ertragen. "Es scheint in Nebraska schlimmer zu sein, sich nackt fotografieren zu lassen, als betrunken mit dem Auto zu fahren und dabei Menschenleben zu gefährden", meint Donahoe. "Denn das konnten sie nicht wie gewöhnlich unter den Teppich kehren. Erst hieß es, wir sollen die Fotos nur verschwinden lassen. Dann würde sich schon alles regeln. Aber als das nicht funktionierte, mussten wir ganz einfach gehen."

Strenge Auflagen nach Uni-Rauswurf

Das war 2008. Und noch lange nicht das Ende der Geschichte. Denn Donahoe und Jordan werden zusätzlich für die kommende Saison gesperrt und müssen jedes andere College, an dem sie sich bewerben wollen, von den Verantwortlichen in Nebraska absegnen lassen. Man will offenbar unbedingt verhindern, dass sie mit ihrer neuen Schule dem Ex-Team, den Cornhuskers, bei den kommenden Meisterschaften in die Quere kommen.

Zu allem Überfluss sollte Donahoe beim Hochschul-Wechsel auch einen Großteil seiner schulischen Leistungen aberkannt bekommen. Für seinen Abschluss muss er jetzt ein komplettes Jahr länger studieren. Doch das nimmt er in kauf.

Denn er will unbedingt wieder ringen.

Zweite Chance an kleinem College

Und dank seines ehemaligen Highschool-Trainers kommt Donahoe am Ende tatsächlich an einer kleinen Schule in Pennsylvania unter. Der Edinboro University. In den meisten College-Sportarten höchstens zweite Liga. Doch bei den anderen Unis blitzte er eben ab.

"Wir alle machen Fehler", sagt Edinboro-Coach Bruce Baumgartner, der selbst vier olympische Medaillen im Ringen gewann. "Ich finde zwar nicht gut, was er getan hat, aber in fast allen College Teams sind Sportler, die das Gesetz gebrochen und Menschen verletzt haben. Und die dürfen bleiben. Also verdient auch Paul eine zweite Chance."

"Er musste viele Homo-Rufe ertragen"

Nicht jeder in Edinboro sieht das so. Im Internet ist Donahoe das Opfer von unzähligen Schwulen-Witzen. "Selbst viele der Athleten wollten ihn anfangs nicht hier haben", verrät Teamkollege Gregor Gillespie. "Er musste viele Homo-Rufe ertragen."

Doch das stört Donahoe nicht. Er trainiert lieber. Jeden Tag. So wie immer, wenn es in seinem Leben drunter und drüber geht. "Er hat wirklich extrem hart gearbeitet", sagt Gillespie. "Damit hat er es den Menschen hier gezeigt und sie für sich begeistert."

Der Lohn: Als er 2009 vom College-Verband NCAA wieder zugelassen wird, steht er sofort an der Spitze der Rankings. 32 Kämpfe, 32 Siege, er gilt als bester Ringer der USA.

"Warum sollte ich mich denn auch entschuldigen?"

Doch das große Happy End bleibt aus. Donahoe verliert das Meisterschafts-Finale ganz knapp.

In der Schwulen-Szene wird er dennoch gefeiert. Auch, weil er sich bis heute nicht für die Fotos entschuldigt hat. "Warum sollte ich mich denn auch entschuldigen?", fragt er.

Was seine Auftritte in den Medien angeht, so ist er dennoch vorsichtiger geworden. Viel vorsichtiger. Als sich einige TV-Produzenten aus New York bei ihm meldeten, nachdem "ESPN" und der "Boston Globe" seine Geschichte in den USA bekannt gemacht hatten, um ihn zum Star einer neuen Reality-Show zu machen, rief er nicht einmal zurück.

Er konzentriert sich nur noch auf den Sport. Sein großes Ziel: das US-Olympia-Team.

Sein Ziel: Olympisches Gold

Im Juni 2010 wird er dann tatsächlich zum Probetraining eingeladen - verliert jedoch das entscheidende Match. Ein Sieg mehr und er hätte im amerikanischen Olympia-Kader gestanden. Er, der wegen ein paar Nacktaufnahmen von der Schule flog.

Doch er will es weiter versuchen, will es allen zeigen. Sein Ziel: Olympisches Gold. In der Zwischenzeit hilft er Nachwuchs-Ringern bei Workshops. Hauptsache Ringen, sagt er.

Die Geschichte des Chris Hayes: Der Star, der niemals spielte