"Ich habe Monica SMS geschickt"

Von Interview: Marcus Giebel
Auch nach seinem Karriereende 1999 ist Dieter Thoma dem Skispringen treu geblieben
© Getty

Als Aktiver war Dieter Thoma einer der besten deutschen Skispringer, seit seinem Rücktritt vom aktiven Sport bringt er dem Fernsehpublikum als Experte die Faszination seiner Sportart näher. Der Schwarzwälder ist nah am DSV-Team dran, begleitet die Adler auch ins Trainingslager. Im Interview mit SPOX spricht er über die deutschen Talente, lobt die Rückkehr von Janne Ahonen und gibt Einblick in seine Gefühlswelt nach der Schock-Nachricht von Monica Lierhaus. Außerdem erläutert er seine neueste Tätigkeit und sagt, warum eine Rückkehr auf die Schanze "doof" wäre.

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SPOX: Beim Weltcup-Auftakt in Kuusamo haben die deutschen Springer überrascht. Sie waren vor Saisonbeginn mit dem DSV-Team im Trainingslager. Wie schätzen Sie die Adler in diesem Jahr ein?

Thoma: Das Springen in Finnland war schon mal ein toller Vorgeschmack. Was mir vor der Saison nicht so gefallen hat: Normal setzen sich ein oder zwei Sportler ab, die deutlich weiter springen als die Teamkollegen. Das ist bei uns noch nicht der Fall. Erfahrungsgemäß kann sich das im Winter aber noch ändern.

SPOX: Warum ist der große Schritt nach vorne unter Trainer Werner Schuster dennoch bislang nicht gelungen?

Thoma: Das muss man differenziert sehen. Der Sommer vor einem Jahr war super, Georg Späth war sehr gut in Form und alle anderen zogen mit. Doch dann kam seine schwere Knieverletzung. Martin Schmitt hatte im vergangenen Winter sein großes Comeback mit WM-Silber, dem 6. Platz im Gesamtweltcup und Platz vier bei der Vierschanzentournee. Der Sommer lief allerdings weniger gut. Die Anfangseuphorie ist erst mal weg. Jetzt kommt die harte Arbeit, die Früchte müssen noch wachsen, um geerntet zu werden.

SPOX: Im Gegensatz zum DSV-Team haben die Österreicher im Einzelwettbewerb von Kuusamo mit Ausnahme von Wolfgang Loitzl enttäuscht. Rechnen Sie dennoch wieder mit einer Dominanz der ÖSV-Springer?

Thoma: Da mache ich mir keine Sorgen. Sie haben eine tolle Mannschaft. Da sind natürlich vorne weg Gregor Schlierenzauer, Thomas Morgenstern und Wolfgang Loitzl, aber dann gibt es auch noch Martin Koch oder Andreas Kofler. In Österreich gibt es zusätzlich immer wieder junge Springer wie David Zauner oder Lukas Müller, die im Sommer-Grand-Prix sofort anschließen konnten. Die machen Druck, und im Team entsteht ein hohes Leistungsniveau. Das fehlt bei uns bislang in Deutschland, wobei ich zwei, drei Kandidaten sehe.

SPOX: Dazu gehört wahrscheinlich auch Pascal Bodmer. Wie schätzen Sie seine Leistung in Kuusamo ein?

Thoma: Ja, das stimmt. Mit so einem Auftakt konnte man allerdings nicht rechnen. Er war in der Vorbereitung teilweise schon gut. Aber dass er an allen anderen vorbei springt, war nicht zu erwarten.

SPOX: Was sind die Gründe für die Leistungsexplosion?

Thoma: Manchmal bedarf es eben nur eines kleinen Hebels, den man umlegen muss. Was nicht unbedingt bewusst geschieht. Das ist der berühmte Knopf, der dann aufgeht.

SPOX: Wie war das bei Ihnen?

Thoma: Ich kann mich gut daran erinnern, als dies bei mir geschah. Ich wusste nicht warum, aber ich sprang plötzlich zwei Klassen besser und verfolgte dann dieses Gefühl. Das kann bei Bodmer auch passiert sein.

SPOX: Ist Bodmer schon so stark, dass er sich die gesamte Saison in der Weltspitze halten kann?

Thoma: Wir müssen jetzt abwarten, wie er sich im Laufe der Saison und auf den anderen Schanzen entwickelt. Wir sollten nicht zu sehr in Euphorie verfallen, um den Druck nicht unnötig zu erhöhen. Das kann auch ganz schnell in die andere Richtung gehen, was wir alle nicht hoffen. Wir müssen Geduld haben und warten, wie er mit dem Erfolg umgeht, wie er es verkraftet. Er ist ein großes Talent, das hat er nun unter Beweis gestellt. Aber Garantien gibt es nie im Spitzensport.

SPOX: Wen zählen Sie neben Bodmer zu den hoffnungsvollen deutschen Talenten?

Thoma: Da gibt es noch zwei junge Skispringer mit Stephan Leyhe und Richard Freitag, die technisch schon sehr gut sind und mir beim Training positiv aufgefallen sind. Sie testen sich im COC-Cup, um weitere Erfahrungen zu sammeln. Juniorenweltmeister Andreas Wank hat technisch gesehen den ersten Schritt schon gemacht. Die Fähigkeit, seinen großen Körper bei niedrigen Anlaufgeschwindigkeiten zum Fliegen zu bringen, ist noch nicht ganz ausgereift.

SPOX: Wie bewerten Sie die Nachwuchsarbeit in den vergangenen Jahren?

Thoma: Jetzt zeigt sich der gute Job der Trainer - unter anderem mit Stefan Horngacher und Ronny Hornschuh, die sich um diese jungen Talente kümmern. Wir können mit unseren Mitteln in Deutschland Weltklassespringer trainieren und optimal fördern. Die neue Struktur rund um Bundestrainer Werner Schuster und den sportlichen Leiter Horst Hüttel scheint langsam aber sicher Früchte zu tragen. Der Erfolg von Bodmer ist extrem wichtig, das sollte die anderen jungen Springer zusätzlich motivieren, denn im Sommertraining waren andere sogar besser.

SPOX: Ein alter Hase kehrt nach einem Jahr Pause in den Skisprung-Zirkus zurück. Was trauen Sie Janne Ahonen zu und was bedeutet sein Comeback für den Sport?

Thoma: Wir brauchen Helden in unserem Sport. Das ist medienwirksam und publikumswirksam. Über Janne Ahonen kann man sagen, was man will. Ob er lacht oder nicht, er hat Charisma. Er bringt seit 15 Jahren extrem gute Leistungen. Das ist phänomenal. Was mich begeistert: Er stellt sich immer um. Egal, ob es einen neuen Anzug gibt, neue Skier, neue Regeln - er ist immer vorne dabei. Das ist nicht zu vergleichen mit einem Springer, der nur zwei Jahre vorne dabei ist. Trotz des schlechten Saisonstarts wird Janne schnell wieder in der Weltspitze mitspringen.

SPOX: Kann er auch die finnische Mannschaft pushen?

Thoma: Ja, er ist auch für das finnische Team wichtig. Denn mit ihm vergrößern sich die Medaillenchancen um ein Vielfaches - vielleicht haben sie sogar eine Goldchance bei Olympia. Schließlich kommt auch Janne Happonen nach seiner Verletzung zurück.

SPOX: Der Antrieb von Ahonen ist die Goldmedaille in Vancouver?

Thoma: Sicher, denn er hat noch keine Einzelmedaille bei Olympia. Er wird aber auch gemerkt haben, dass das normale Leben gar nicht so einfach ist.

SPOX: Können Sie das konkretisieren?

Thoma: In Finnland hat er mit einem Freund zusammen eine Firma für Motorrad- und Schneemobilzubehör eröffnet. Wenn man ein erfolgreicher Skispringer wie Ahonen ist, hat man mit Leistung und Sponsoren mehr Erfolg. Ein weiterer Antrieb ist die Vierschanzentournee. Dort könnte er mit seinem sechsten Sieg sein Alleinstellungsmerkmal unterstreichen.

SPOX: Sie hingegen haben den Übergang von der aktiven Karriere nahtlos gemeistert. Als TV-Experte sind Sie fast häufiger im Fernsehen als früher. Fühlen Sie sich als Fernsehstar?

Thoma: Nein, ich sehe mich als Dienstleister. Ich versuche, die Sportart zu erklären und positiv rüberzubringen. Es geht darum, die Zuschauer zu fesseln. Das Publikum hat einfach mehr davon, wenn sie die wichtigsten Regeln kennen, dann macht es mehr Spaß beim Mitfiebern. Wir möchten die Athleten besser bekannt machen, damit sich der Fan besser identifizieren kann. Dann wird hoffentlich der Kreis der Skisprung-Fans noch größer. Genau das möchte ich erreichen.

SPOX: Bei der "ARD" haben Sie einige Zeit mit Monica Lierhaus zusammengearbeitet. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen, dass Sie zu Beginn des Jahres im Koma lag?

Thoma: Das war eine sehr traurige Geschichte. Sie liegt mir sehr am Herzen. Als Moderatorin war sie sehr professionell, als Mensch steckt viel mehr in ihr, als man denkt. Das ist schon brutal, wenn jemand in so jungen Jahren aus dem Leben gerissen wird. Da sieht man, wie schnell alles vorbei sein kann.

SPOX: Haben Sie seither Kontakt zu Frau Lierhaus gehabt?

Thoma: Ich habe einige SMS geschickt, um ihr gute Besserung zu wünschen.

SPOX: Als Ausgleich zum Skispringen gehen Sie oft in die Tiefe. Tauchen gehört zu Ihren Hobbys.

Thoma: Das steht noch immer auf meinen Autogrammkarten, aber ich bin schon lange nicht mehr abgetaucht. Heute spiele ich lieber Golf. Zu viele Hobbys gehen nicht - da musste ich mich für eines entscheiden. Ich mache viele Benefiz-Golf-Turniere mit, habe mittlerweile eine eigene Stiftung. Da haben wir schon mehr als 300.000 Euro gesammelt. Das mache ich seit neun Jahren gemeinsam mit meinem sehr guten Freund Harry Bodmer (vierfacher Kunstradweltmeister, Anm. d. Red.) und den Spielend-Helfen-Mitgliedern.

SPOX: Golf ist weitaus ungefährlicher als Tauchen.

Thoma: Das kommt dazu. Ich habe damals zwei Situationen erlebt, die sehr gefährlich waren. Wenn die Sauerstoffflasche plötzlich nicht mehr funktioniert, man in 30 Metern Tiefe nicht mehr richtig atmen kann, dann muss man damit umgehen können. Da man immer zu zweit taucht, muss man sich dann eine Flasche teilen und langsam auftauchen. Aber das ist schon nicht einfach. Man darf nicht unruhig werden, muss ganz cool bleiben.

SPOX: Hatten Sie damals Todesangst?

Thoma: Todesangst nicht, aber etwas Panik schon. Man darf ja nicht so schnell auftauchen, muss die Ruhe bewahren. Ich bin ja eigentlich eher ein explosiver Typ.

SPOX: Neben Ihren TV- und Sport-Auftritten halten Sie Vorträge zum Thema "Wer mit einer Hand an der Vergangenheit hält, hat nur eine für die Zukunft frei". Um was geht es genau?

Thoma: Es gibt verschiedene Vorträge, die ich halte, weil ich aus völlig unterschiedlichen Gründen gebucht werde. Manchmal geht es darum, wie man auf Niederlagen reagiert, ein anderes Mal um Energiekiller und wie ich es immer wieder geschafft habe, die Verletzungen und Niederschläge auch psychologisch zu verarbeiten.

SPOX: Wie läuft das genau ab?

Thoma: Ich erzähle aus meinem Leben, von den Erfahrungen, die ich gemacht habe. Dabei ziehe ich immer Parallelen zum Business. Ich schaue mir die Firma an und versuche herauszufinden: Was kann hier funktionieren, was wird nicht funktionieren? Ich muss die Firma kennenlernen, um zu sehen, wie die arbeiten, welche Berührungspunkte es gibt. Ich möchte ihnen ihre Welt aus einem anderen Winkel zeigen, damit kann man eigene Fehler besser erkennen und auch Positives weiter ausbauen: Die Selbstreflexion ist auch ein Bestandteil. Ob Spitzensportler, Vorstand, Abteilungsleiter, Koch oder Außendienstler, wir haben alle ähnliche, menschliche Verhaltensmuster. Die Kraft der eigenen Gedanken spielt dabei eine wesentliche Rolle.

SPOX: Ihre Seminare bestehen nicht nur aus dem Theorie-Teil. Sport-Erfahrungen spielen ebenfalls eine große Rolle.

Thoma: Ich vermittele den Sport lebhaft mit Bildern und Geschichten. Neben den Vorträgen gehe ich auch mit Firmen Skifahren oder Golfspielen. Ich wurde auch schon fürs Skispringen gebucht. Dann habe ich den Leuten auf kleinen Schanzen das Skispringen beigebracht.

SPOX: Die Vorträge sind quasi Ihr neuer Job?

Thoma: Es ist ein zweites Standbein für mich. Ich muss ja meine Familie auch ernähren. Bei der "ARD" bin ich noch für ein Jahr unter Vertrag. Wie es dann weitergeht, weiß ich noch nicht. Da muss man sehen, wie sich das weiterentwickelt. Deshalb habe ich 2005 mit den Vorträgen begonnen.

SPOX: Zum Abschluss noch eine Frage zum Ende Ihrer aktiven Karriere: Sie sind mit dem Milleniumssprung ins Jahr 2000 gesprungen. Sind Sie seither noch einmal vom Bakken gegangen?

Thoma: Nein, das war definitiv mein letzter Sprung. Man fragt sich immer, wie kann man aufhören. Ich bin 1999 in Ramsau noch einmal Weltmeister mit dem Team geworden. Das war ein großartiges Gefühl. Dann kam das Angebot von "RTL", gemeinsam mit Günther Jauch Skispringen zu moderieren. Das war meine beste Entscheidung. Ich habe dem Sender gesagt, dass ich immer davon geträumt habe, ins neue Jahrtausend zu springen. Und sie haben gesagt: Das können wir Dir erfüllen. Es war ein toller Abschied, den ich so nie wieder erleben kann. Daher wäre es doof, jetzt wegen irgendwas noch mal auf die Schanze zu gehen.

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