"Komm, passier mich!"

Von Florian Regelmann
Pete Sampras begeisterte die Fans mit seinem Serve-and-Volley-Spiel
© Getty

Ob Becker, Sampras oder Edberg - früher stürmte jeder ans Netz. Man dachte schon, dass diese Spielweise längst ausgestorben wäre, aber nun gibt es Hoffnung auf eine Renaissance. Deutschlands Talent Mischa Zverev erklärt bei SPOX das Serve-and-Volley-Phänomen.

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Es ist nun über sechs Jahr her, dass Pete Sampras 2002 das Finale der US Open gegen Andre Agassi für sich entschied und mit dem 14. Grand-Slam-Triumph seine Karriere beendete.

Seitdem der King of Swing nicht mehr aktiv ist, ist dem Tennis sein letzter großer Serve-and-Volley-Künstler verloren gegangen.

Ein Tennis-Match von heute sieht in den meisten Fällen folgendermaßen aus: Zwei Spieler - häufig zwei muskelbepackte Spieler - stehen an der Grundlinie und malträtieren die gelbe Filzkugel, als gäbe es kein Morgen. Aggressives Power-Tennis ist modern.

Stopp-Schild vor der T-Linie

Fast hat man den Eindruck, vor der T-Linie ist ein imaginäres Stopp-Schild aufgebaut worden, auf dem in großen Lettern steht: "Achtung, wer diese Linie übertritt, gewinnt kein Match!"

Selbst Roger Federer, der aufgrund seiner überragenden Fähigkeiten natürlich ohne Probleme Serve-and-Volley spielen könnte, nutzt diese Art des Tennisspiels nur gelegentlich als Überraschungstaktik.

Wer anders spielt als die Grundlinien-Renner, muss damit rechnen, schief angeschaut zu werden.

Zverev mit Serve-and-Volley-Taktik im Kommen

Das weiß niemand besser als Mischa Zverev. Der 21-jährige gebürtige Moskauer gehört zu den größten deutschen Talenten auf der Tour.

In der Weltrangliste hat er sich auch dank einer starken Endphase in der letzten Saison (u.a. Halbfinale in Moskau) in die Top 80 vorgearbeitet.

Bekommt Zverev noch mehr Konstanz in sein Spiel, ist dem Linkshänder in dieser Saison ein großer Sprung nach vorne zuzutrauen. Dass er gute Gegner schlagen kann, hat er schon mehrfach bewiesen.

Und jetzt kommt die Sensation - er spielt doch tatsächlich Serve-and-Volley.

Beläge immer langsamer

"Es ist mein Instinkt, ans Netz zu laufen. Dort fühle ich mich wohl. Ich bevorzuge einfach das aggressive Spiel mit relativ kurzen Ballwechseln. Das liegt mir. Seit ich 15 bin, spiele ich schon Serve-and-Volley", erzählt Zverev im Gespräch mit SPOX.

Viele Experten werden nun denken, dass man dem Jungen mal sagen sollte, dass er schnellstens seine "antiquierte" Spielweise ablegen sollte.

Nur eine Computersimulation könnte klären, ob es Zverev in einer früheren Generation leichter gehabt hätte, mit seinem Spiel an die Spitze zu kommen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch.

Hat er denn nicht mitbekommen, dass die Beläge immer langsamer und rauer werden? Dass man das Gefühl hat, die Bälle würden immer "größer" und schwieriger zu töten? Dass der Rasen in Wimbledon mittlerweile so langsam ist, dass ein Sandplatzwühler wie Rafael Nadal hier gewinnen kann?

Trend zu mehr Netzattacken

Doch, hat er mitbekommen. Ihn kümmert es nur nicht. "Ich bin davon überzeugt, dass man mit Serve-and-Volley immer noch Erfolg haben kann und denke, dass man es in Zukunft wieder verstärkt sehen wird. Die Schläge, vor allem die Aufschläge werden schneller. Das kommt einem zu Gute", erklärt Zverev.

Was alle Freunde des gepflegten Serve-and-Volley-Spiels Hoffnung machen darf, ist die jüngere Vergangenheit. Bei den US Open war ein deutlicher Trend zu mehr Netzattacken zu registrieren.

US-Boy Mardy Fish erreichte so immerhin das Viertelfinale. Und selbst in der Junioren-Konkurrenz gab es mit dem amerikanischen Qualifikanten Devin Britton jemanden, der mit seinen Angriffen seine Gegner erfolgreich überraschte.

Von Borotra bis Sampras

Es wäre durchaus wünschenswert für den Tennissport, wenn dieser Trend anhalten würde. Schließlich war Serve-and-Volley über Jahrzehnte en vogue. Jean Borotra, einer der vier französischen Tennis-Musketiere, war in den 1920ern und 30ern der Erste, der es salonfähig machte.

Es folgten Legenden wie Pancho Gonzales, Rod Laver, John McEnroe, Boris Becker, Stefan Edberg und eben Sampras.

Alle hatten sie das gleiche "Problem". Sie hatten nicht die Geduld und es entsprach nicht ihrer Mentalität, an der Grundlinie zu kleben.

Es zog sie magisch nach vorne. Immer in der Hoffnung, mit dem Volley den Punkt sofort abzuschließen oder mindestens einen zweiten leichten Volley vorzubereiten.

Gegner zum Passieren zwingen

Man muss ein bisschen verrückt sein, um Punkt für Punkt nach vorne zu preschen und den Gegner aufzufordern, den Passierball an einem vorbeizuziehen.

"Die Einstellung‚ 'Komm, passier mich', ist optimal. Es ist nicht immer einfach, bei den wichtigen Punkten auf Risiko zu gehen. Aber es kann noch ein viel größeres Risiko sein, wenn man hinten bleibt. Denn mit dem Ans-Netz-Stürmen zwingt man ja auch den Gegner zu einem riskanten Passierball", sagt Zverev.

Wenn man dann den Gegner noch gut kennt und antizipieren kann, wo der Passierball hingeht, ist das Serve-and-Volley-Spiel nach wie vor erfolgversprechend.

Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Spieler der heutigen Generation nicht wissen, wie sie mit einem Typen umgehen sollen, der ans Netz kommt und sie so gewaltig unter Druck setzt.

Aufschlag, Return, Volley - Ende!

Ständig einen ans Netz laufen zu sehen kann enorm demoralisierend sein. Man weiß genau, dass man keine Chance hat, wenn man es nicht schafft, ihn konstant zu passieren.

Ein Ballwechsel muss nicht per se eine Minute dauern. Es kann auch mal wieder in drei Schlägen abgewickelt werden. Aufschlag, Return, Volley - Ende!

So wie beispielsweise beim US-Open-Halbfinale 1998 zwischen Sampras und Rafter. Es war eines der besten Matches aller Zeiten.

Wie sagte Sampras so schön: "Ich werde als Serve-and-Volley-Spieler sterben. Es ist mein Naturinstinkt."

Der Stand in der ATP-Weltrangliste