"Wie in einem billigen Horrorfilm"

Von Interview: Bastian Strobl
Jens Voigt hat bei der Tour de France Höhen und Tiefen erlebt
© getty
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SPOX: Das müsste auf der Etappe nach Pau gewesen sein.

Voigt: Genau, damals ist mir mein Vorderreifen geplatzt. Ich habe geblutet wie ein Schwein, das war wie in einem billigen, amerikanischen Horrorfilm. Das Blut ist von meinem Ellbogen bis zu den Fingern gelaufen und danach auf die Straße getropft. Ganz zu schweigen von den angebrochenen Rippen. Aber ich wollte nicht aufgeben, schließlich war Paris nur noch ein paar Tage entfernt. Leider war mein Fahrrad im Eimer. Die Schaltung war kaputt, die Gabel gebrochen, da ging nichts mehr. Ich habe dann ein quietschgelbes Kinderrad von einem Begleitfahrzeug des Rahmenprogrammes bekommen.

SPOX: Ein Kinderrad?

Voigt: Mir blieb nichts anderes übrig, ich war ganz am Ende des Feldes. Der Besenwagen wollte mich schon einsammeln. Meine beiden Teamfahrzeuge waren an der Spitze des Feldes und beim Gelben Trikot, ich war also auf mich alleine gestellt. Die haben zuerst gar nicht mitbekommen, was mir passiert war. Das Kinderrad war mir natürlich viel zu klein, aber das war mir egal. Ich wollte einfach nur im Zeitlimit bleiben. Die Zuschauer haben mich wohl eher für einen verrückten Touristen gehalten, der die Strecke nach den Profis abfahren will.

SPOX: Wie ging es weiter?

Voigt: Im nächsten Tal hat Bjarne Riis einem Polizisten ein neues Rad für mich gegeben und gesagt, er solle warten, bis ich komme, und bloß nicht weggehen oder das Rad klauen. Der Polizist hat sich dann wirklich auf die Mitte der Straße gestellt und wild mit den Armen herumgefuchtelt, damit ich ihn sehe. Das ist typisch Tour de France. Am Ende habe ich zum Glück noch den Anschluss an das Grupetto geschafft und wurde nicht disqualifiziert.

SPOX: So eine Geschichte passt perfekt zu Ihrer Karriere. Bereits zu Beginn Ihrer Laufbahn mussten Sie häufig kämpfen.

Voigt: Das kann man wohl sagen. Ich bin bei einer kleineren Profimannschaft gefahren, wollte aber unbedingt zu einem großen Team. Also habe ich mich mit meinem damaligen Trainer hingesetzt und 25 Bewerbungsmappen samt Bildern, meinen Erfolgen und Trainingsplänen verschickt. Ich bin sogar zu einer Sprachschule gegangen, um die Anschreiben in Englisch und Französisch übersetzen zu lassen. Von den meisten habe ich nicht mal eine Antwort bekommen, bis Credit Agricole mich unter Vertrag genommen hat.

SPOX: Würden Sie heutzutage jungen Radfahrern ermutigen, denselben holprigen Weg zu gehen, den Sie hinter sich haben?

Voigt: Auf jeden Fall. Genau jetzt ist der perfekte Moment, diesen Sport zu betreiben. Unser Kontrollsystem funktioniert und ist erfolgreich. Soweit ich das einschätzen kann, erkennen wir jede Substanz, die benutzt wird. Langsam kommen wir also an den Punkt, an dem wir schon immer sein sollten. Das Ziel ist weiterhin ein sauberer Sport.

SPOX: Dennoch ist das Thema Doping weiterhin allgegenwärtig. Welchen Stellenwert haben in diesem Zusammenhang die Geständnisse von Lance Armstrong und Jan Ullrich?

Voigt: Die Geständnisse haben sich angedeutet, die Indizien und Beweise waren ja nicht mehr neu. Das war absehbar. Sie sind der Beweis, dass der Radsport nicht davor zurückschreckt, die einstigen Helden zur Rechenschaft zu ziehen. Wir machen nicht Halt vor Rang und Namen. Wir wollen jeden erwischen, der betrügt. Ein positiver Fall ist niemals ein schönes Ereignis, man macht danach keine Jubelsprünge, aber es ist wieder ein Schritt in die richtige Richtung.

SPOX: Ist denn das Misstrauen unter den Fahrern in den letzten Jahren größer geworden?

Voigt: Ein gewisses Misstrauen ist da, vor allem wenn jemand herausragende Leistungen aus dem Nichts zu Stande bringt. Dann wird man schnell in eine Ecke gestellt, vielleicht auch zu schnell. Große Erfolge müssen nicht immer etwas mit Doping zu tun haben. Andere Fahrer können besser trainieren, intelligenter agieren oder einfach mehr Talent haben.

SPOX: Sie nehmen in der Anti-Doping-Bewegung eine Vorreiter-Rolle ein. Der letztjährige Tour-Sieger Bradley Wiggins hat einmal über Sie gesagt: "Jens Voigt ist der lebende Beweis, dass der Radsport sauber sein kann." Wie gehen Sie mit so einer Aussage um?

Voigt: Das Zitat kenne ich gar nicht, aber es macht mich stolz, dass der Superstar des letzten Jahres so über mich denkt. Das hört man immer gerne. Außerdem stärkt mich das in meinem Handeln. Ich vertrete seit Jahren eine klare Linie. Wenn die Leute das erkennen und deswegen an mich glauben, ist mir das wichtiger, als der Gehaltsscheck am Ende des Monats.

SPOX: Sie haben für Ihr Verhalten in der Vergangenheit allerdings auch Gegenwind bekommen. Besonders Tyler Hamilton hat Sie im letzten Jahr schwer angegriffen und Ihnen Doping bzw. zumindest Kenntnis davon vorgeworfen.

Voigt: Diese Geschichte ist einfach lächerlich. Ich habe in meinem Leben 20 Worte mit Tyler gewechselt. Er kennt mich nicht, weiß nichts über meine Karriere, meine Familie, mein Leben. Als er 2006 von seiner ersten Dopingsperre zurückkam, habe ich ihm von Anfang an gesagt, dass ich nichts mit ihm zu tun haben will. Das hat er mir wohl übel genommen und wollte sich revanchieren. Hätten ihm das mehr ins Gesicht gesagt, würde es wohl mehrere Bücher von ihm geben.

SPOX: Apropos Bücher: Wie steht es mit Ihren Plänen, einen Buchhandel samt Coffee Shop zu eröffnen?

Voigt: Das kann ich wohl erst machen, wenn alle Kinder aus dem Haus sind und Familien haben. Davor ist das finanziell nicht machbar. Aber es bleibt ein Liebhaberprojekt, von dem ich schon lange träume, auch wenn es gegen Starbucks und Co. wohl schwer werden würde.

SPOX: Dabei haben Sie vor einigen Monaten bereits die perfekte Lösung gefunden, als Sie nach der Zeit im Ruhestand gefragt wurden: "Ich schicke meine Frau arbeiten. Ich habe 15 Jahre die Familie ernährt, nun ist sie die nächsten 15 Jahre dran." Geht der Plan denn nicht auf?

Voigt: Bis auf ein verschmitztes Lächeln meiner Frau und einem kräftigen Rippenstoß hat mir das nicht viel eingebracht. Das wird also nicht funktionieren (lacht). Aber eines kann ich Ihnen versprechen: Ich werde mich nie mehr quälen, das habe ich in meiner Karriere oft genug gemacht.

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