Die perfekte Ehe auf Zeit

Bo McCalebb steigt hoch: Nur wenige Guards in Europa können ein Spiel so dominieren wie er
© getty

Der FC Bayern München hat Bo McCalebb verpflichtet. Der Point Guard ist der namhafteste Neuzugang der BBL-Geschichte und soll dem deutschen Meister dabei helfen, die Verletzungsmisere zu lindern und vielleicht doch noch den Weg ins Euroleague-Top16 zu finden. McCalebb, der bereits gegen den FC Barcelona auflaufen (20.15 Uhr im LIVE-TICKER) könnte, unterschreibt zwar zunächst nur für vier Wochen, doch die kurze Ehe bietet viele Vorteile - für beide Seiten.

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Bo McCalebb zu den Bayern. Diesen Coup hatte so keiner auf der Rechnung.

Erste Gerüchte über die Verpflichtung des gebürtigen Amerikaners, der seit 2010 für die mazedonische Nationalmannschaft aufläuft, waren am Montag aufgetaucht. Am Dienstagmorgen bestätigte Bayern-Coach Svetislav Pesic auf einer Pressekonferenz die Verhandlungen: "Wir sind in Gesprächen mit McCalebb und es sieht danach aus, dass wir zeitnah eine Einigung finden."

Kaum 24 Stunden später war der Deal perfekt. Die Bayern verpflichten McCalebb zunächst einmal für vier Wochen. Danach wird man sich erneut zusammensetzen und die Situation neu bewerten. Angeblich besitzt der Playmaker für den Fall, dass demnächst ein NBA-Team anfragt, eine Ausstiegsklauseln, gleichzeitig ist aber auch ein Verbleib über den einen Monat hinaus nicht auszuschließen. Was derzeit zählt, ist ohnehin nur die kurzfristige Verstärkung für den deutschen Meister. Und die ist immens. Denn mit Lester "Bo" McCalebb kommt einer nach München, der im europäischen Basketball bislang einiges erlebt habt - auf allerhöchstem Niveau.

Vom College-Kid zum Weltenbummler

Noch bis zum Sommer spielte der Point Guard für den türkischen Spitzenklub Fenerbahce Ülker. Zuvor hatte der aus New Orleans stammende Aufbauspieler schon bei Montepaschi Siena, Partizan Belgrad und Mersin Büyükşehir Belediyesi, ebenfalls in der Türkei, angeheuert und sich zu einem der besten Spieler des Kontinents gemausert. Neben Meistertiteln und Pokalen in Italien, der Türkei und der Adria-Liga überzeugte er auch auf Euroleague-Ebene und erreichte zwei Mal das Final Four (2010 mit Partizan, 2011 mit Siena).

Unvergessen auch sein Auftritt bei der Europameisterschaft 2011 in Litauen, als er Mazedonien als "Ein-Mann-Team" (21,4 Punkte, 3, 1 Rebounds, 3,7 Assists) bis ins Halbfinale führte und dabei sogar die hochfavorisierten Gastgeber aus dem Turnier warf. Der Lohn: Ein Platz im All-Tournament Team.

Als McCalebb seinen Vertrag in der Türkei nach der vergangenen Saison auflöste, deutete alles auf ein mögliches Engagement in der NBA hin. Beim Draft 2008 war er noch übergangen worden: Trotz überragender Stats an der University of New Orleans fehlt ihm mit 1,83 Meter Körpergröße das Gardemaß für die beste Liga der Welt, zudem hängt ihm in manchen Kreisen ein Ruf als einsilbiger Eigenbrötler nach. "Ich ticke irgendwie anders als die meisten", bestätigt er vor zwei Jahren im Interview mit SPOX. "Ich wollte immer anders sein."

Verzockt?

Sein Agent Eric Fleisher bestätigte im Sommer Verhandlungen mit NBA-Teams. Die Stärken seines Klienten waren spätestens bekannt, seit Fener im Rahmen der Global Games 2012 die Boston Celtics besiegte und McCalebb gegen Rajon Rondo richtig gut aussah (21 Punkte, 4 Assists) - Preseason hin oder her.

Womöglich verzichtete der 29-Jährige deshalb auf eine Unterschrift bei einem europäischen Top-Team und hoffte bis zuletzt auf eine tragende Rolle in der NBA. Daraus wurde jedoch nichts - und ein Engagement in der Summer- oder D-League war wohl nie eine Option ("Das ist es mir nicht wert, nur um in der NBA vielleicht einen Minimum-Vertrag zu bekommen.").

Hat sich McCalebb also schlicht und ergreifend verzockt? Vielleicht. Dass der Point Guard, der sich seinen Arbeitgeber in Europa eigentlich aussuchen könnte, in München anheuert, spiegelt allerdings sicherlich den gestiegenen Stellenwert der Bayern in Europa wieder und ist auch ein Ritterschlag für die gesamte BBL - wenngleich die Euroleague für McCalebb deutlich mehr Priorität genießen dürfte. Auch wenn die Bayern noch nicht zu den ganz großen Adressen wie Real oder Olympiakos aufgeschlossen haben: Es ist - zumindest kurzfristig - die perfekte Ehe.

Deal für beide Seiten ideal

Für McCalebb stellt München eine interessante Zwischenstation dar: Viele Big Player Europas haben im Gegensatz zu den Bayern keinen kurzfristigen Bedarf auf der Point-Guard-Position. Dort füllt er eine Lücke - und darf sich in der am stärksten besetzten Euroleague-Gruppe mit den Besten messen. Bis Weihnachten stehen unter anderem noch Barcelona (20.15 Uhr im LIVE-TICKER), Panathinaikos, Mailand und Fenerbahce auf dem Programm.

Bei den Bayern muss man einerseits ganz pragmatisch sagen: Wenn ein Klassemann wie McCalebb zu haben und zu bezahlen ist, dann wäre es fahrlässig, sich nicht um ihn zu bemühen. Trotz der langen Pause wird er das Team deutlich verstärken und zu den stärksten Spielern der Liga zählen - mindestens. Angesichts der momentanen Verletzungssituation an der Isar hätte man zudem so oder so reagieren müssen.

Mit dem am Knöchel verletzten Anton Gavel fällt ein etatmäßiger Point Guard noch mehrere Wochen aus. Wann Kapitän Bryce Taylor nach seiner Leisten-OP zurückkehrt, ist offen, Paul Zipser (Innenband) ist gerade erst in den Kader zurückgekehrt. Damit fehlen den Bayern auf den Guard-Positionen gleich drei Spieler. Der Spielaufbau liegt damit in den Händen von Heiko Schaffartzik, erster Backup ist der erst 20 Jahre alte Neuzgang Vasilije Micic. Eine zu dünne Personaldecke für Svetislav Pesic. "Wir haben diese Entscheidung getroffen, weil Gavel noch nicht da und Heiko überfordert ist", erklärte er auf der PK.

Problem gelöst

McCalebb wird so gleich doppelt in die Bresche springen: Einerseits unterstützt er mit seiner Kreativität Schaffartzik, andererseits sorgt er für wichtiges Scoring aus dem Backcourt, das den Bayern derzeit hin und wieder abgeht. Läuft es bei den Big Men wie John Bryant, Dusko Savanovic oder Vladimir Stimac einmal nicht, hadert Nihad Djedovic auf dem Flügel mit seinem Wurf, fehlen häufig die Alternativen.

So steht Pesic wieder ein astreiner Punktesammler auf den Guard-Positionen zur Verfügung, der jederzeit heiß laufen, ein Spiel offensiv übernehmen kann und mit dem Ball in der Hand in eine natürliche Anführer-Rolle schlüpfen wird. So können Gavel und Taylor ihre Verletzungen in aller Ruhe auskurieren, Schaffartzik erhält kreative Unterstützung. Und Micic lernt ein paar Wochen von einem wahren Euroleague-Superstar, statt aufgrund von Personalnot früher als geplant an die vorderste Front zu rücken.

Natürlich mag der eine oder andere in der Verpflichtung McCalebbs eine Abkehr von der vor Saisonstart propagierten Maxime des Teambasketballs vermuten. Schließlich ähnelt der beste Euroleague-Scorer von 2012 in seiner Spielauffassung seinen Vorgängern Malcolm Delaney und Tyrese Rice. Andererseits ist McCalebb der vielleicht hochkarätigste Free Agent auf dem europäischen Markt, liefert Coach Pesic zudem eine zusätzliche Optionen, die die Bayern so bislang nicht besaßen, und dem gesamten Team zusätzliche Euroleague-Erfahrung.

Was bringt die Zukunft?

Letzten Endes bietet ein derart kurzer Vertrag also für beide Parteien keine Nachteile: Die Bayern bekommen einen erstklassigen Guard als Notnagel, der in dieser Variante ohne Weiteres bezahlbar ist, den eigenen jungen Spielern jedoch nicht die Zukunft verbaut. So kann das Team weiter organisch in die europäische Spitze hineinwachsen.

Bo McCalebb wiederum legt ein Intermezzo bei einem ambitionierten Emporkömmling ein und darf sich in der Euroleague noch einmal präsentieren. Hilft er den Bayern, trotz des schwachen Starts (ein Sieg aus fünf Spielen) noch einen Weg aus der Gruppe zu finden, macht er sich interessant für die finanzstarke Konkurrenz - und vielleicht sucht ja auch ein NBA-Contender im Frühjahr plötzlich einen Backup-PG. Frei nach McCalebbs Motto: "Ich plane nicht so weit voraus. Ich schaue von Tag zu Tag."

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