Zur Kompromisslosigkeit geboren

Von Max Marbeiter
Daniel Hackett (r.) glänzte trotz Sienas Euroleague-Auftaktpleite gegen Galatasaray
© getty

Daniel Hackett ist der Fixpunkt bei Bayern-Gegner Siena. Auf dem Court kennt der Guard weder Angst noch Kompromisse, ist von Ehrgeiz getrieben. Gründe dafür finden sich noch vor seiner Geburt und in der Kindheit.

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Die Ansage von Marco Crespi vor der Saison war deutlich. Daniel Hackett müsse das Team führen, sagte der Head Coach. Auch einen Schritt nach vorne solle er machen. Nimmt man einzig den Euroleague-Auftakt gegen Galatasaray zum Maßstab, so hat Hackett die Vorgaben seines neuen Coaches bestens umgesetzt. Der 25-Jährige trug Siena förmlich allein auf seinen Schultern und stemmte sich gegen die am Ende doch nicht zu vermeidende Niederlage.

26 Punkte legte er auf, traf dabei unfassbare 11 seiner 14 Würfe aus dem Feld. Beinahe hätte es tatsächlich zum Comeback gereicht, am Ende stand jedoch die überraschende Auftaktpleite. Dennoch lieferte das Spiel den Beweis: Daniel Hackett ist für den italienischen Serienmeister in dieser Saison wichtiger denn je.

Topscorer Bobby Brown verließ das Team, Coach Luca Banchi zog es zur Konkurrenz nach Mailand. Insgesamt sind nur noch drei Spieler aus jenem Team übrig, das in der vergangenen Saison zum vierten Mal in Folge Italiens Double gewann. Hackett ist einer von ihnen. In den USA wäre er nun Franchise Player, in Europa ist er einfach nur Sienas neuer Leader - und das im erst zweiten Euroleague-Jahr.

Geburt? Nur in Italien!

Andererseits wirkt die Rolle dem Combo-Guard wie auf den Leib geschneidert. Herausforderungen nimmt er liebend gerne an, Niederlagen kann er auf den Tod nicht ausstehen. Kompromisse ebenso. Das liegt irgendwie in der Familie. So war seine Mutter fest entschlossen, ihren Sohn in Italien zur Welt kommen zu lassen. Das Problem: Da Vater Rudy, ein ehemaliger NBA-Profi, in der Türkei spielte, weilte Familie Hackett anno 1987 nicht im gelobten Land.

Um ihr Vorhaben nicht zu gefährden, bestieg Mrs. Hackett kurzerhand einen Flieger - obwohl sie bereits in einem Schwangerschaftsstadium angekommen war, in dem werdende Mütter von offizieller Seite her nichts mehr in internationalen Lufträumen zu suchen haben. Der Bauch wurde kurzerhand mit einer Decke kaschiert, Sohn Daniel am Ende tatsächlich in Bella Italia zur Welt gebracht.

Dort verbrachte er dann auch die ersten 15 Jahre seines Lebens und lernte seine wohl wichtigste Lektion. "Er lernte das Gewinnen und Verlieren von mir und anderen amerikanischen Spielern", erzählte Rudy Hackett einst. "Wenn dein Team verlor, konntest du weggeschickt werden, obwohl du eigentlich gut gespielt hattest. Wir sprechen hier nicht von einem Jungen, der mit zehn Jahren zum ersten Mal die NBA gesehen und gesagt hat: 'Ich will Basketballspielen'. Wir sprechen von einem Jungen, der mit jemandem in einem Haus gelebt hat, für den diese Situation die tägliche Realität bedeutete. In Europa musste ich mich ständig aufs Neue beweisen."

Gut möglich, dass die Situation seines Vaters auch in Daniel dieses Feuer entfachte. Dieses Feuer, das ihn seit jeher auszeichnet und das ihn mit 15 Jahren in die USA und an die Bellflower St. John Bosco Highschool brachte - mit dem klaren Ziel, Profi zu werden.

Highschool im Schnelldurchlauf

Die veranschlagte Zeit für den Abschluss wollte er sich allerdings nicht nehmen - wenn auch nur aufgrund eines tragischen Ereignisses: Als Ryan Francis, der damalige Aufbau der University of South California, erschossen wurde, standen die Trojans plötzlich ohne Starting-Point-Guard da. Da die Uni, an der sein Vater als Kraft- und Koordinationstrainer angestellt war, ihn brauchte, schloss Hackett die Highschool ein Jahr früher ab und ging schließlich ans College.

Doch der Wechsel sorgte für Irritationen. Da die Trojans aufgrund der Anstellung seines Vaters kein Stipendium an den jungen Guard verloren, ihm aber dennoch seine Ausbildung bezahlen konnten, ermittelte die NCAA. Die Wogen glätteten sich jedoch. Jedenfalls abseits des Courts. Denn auf dem Feld machte der damals 19-Jährige dank seines Einsatzwillens nicht immer nur positiv von sich reden. Verlieren? Niemals!

Lief es doch einmal schief, bekamen Gegner, Teamkollegen und Offizielle seine Wut zu spüren. "Ich habe definitiv einige Dramen verursacht", weiß Hackett selbst. "Und eines kann ich über diese Episoden sagen - sie waren alle dumm. Das liegt aber einfach an meiner Wettkämpfernatur."

Kompromissloser Zug zum Korb

Diese Natur spiegelt sich auch im Spiel des Italieners wider. Trotz nicht einmal zwei Metern Körperlänge zieht er immer wieder kompromisslos in die Zone - ob nun gegen einen, zwei oder drei Gegenspieler. Am Ring schließt der Lefty mit beiden Händen verlässlich ab. Verbesserungswürdig ist sein Distanzwurf (31,1 Prozent in der letzten Euroleague-Saison), wenngleich Hacketts Wurf, speziell die Technik, sicherlich besser ist als sein Ruf.

"Er ist sehr aggressiv, will, wenn er den Ball hat, immer attackieren", beschreibt Bayern-Kapitän Steffen Hamann Hacketts Stärken gegenüber SPOX. "Er ist nicht der beste Shooter, bleibt dank seiner Physis und Athletik aber sehr gefährlich. Beim Fast Break oder aus dem Pick-and-Roll heraus versucht er immer, den Korb zu attackieren. Dank seiner Größe postet er gern gegen kleinere Aufbauspieler auf."

Pesic: "Er kann alles"

Coach Svetislav Pesic sieht im 25-Jährigen mit etwas mehr Erfahrung sogar "einen der besten Spieler der Euroleague". Seine Begründung klingt ebenso einfach wie einleuchtend. "Vorne kann er zwei bis drei Positionen spielen. Im Grunde kann er alles: Penetrieren, scoren, Defense spielen."

Ob Pesic Hackett bereits am College beobachtet hat, ist nicht überliefert. Hätte er es getan, der Serbe hätte sich 2009 sicherlich bestätigt gefühlt. Damals trat ein gewisser James Edward Harden Jr. nämlich als absoluter Superstar der Arizona State University gegen USC an - und wurde in nur 40 Minuten auf Normalgröße zurechtgestutzt. Keinen einzigen Treffer aus dem Feld hatte er zusammengebracht. Der Gegenspieler? Daniel Hackett.

Angesichts solcher Leistungen werden sie sich in Siena noch heute glücklich schätzen, dass NBA-Teams ihr eventuell vorhandenes Interesse derart geheim hielten, dass David Stern die Worte Daniel und Hackett beim Draft 2009 nicht in Kombination über die Lippen kamen.

Finals MVP im ersten Jahr

So landete der Guard über Benetton Treviso und Scavolini Pesaro 2012 schließlich in der Toskana, wo er nach kleinen Anlaufschwierigkeiten schnell die übliche Rolle einnahm. Hackett ging voran - speziell, wenn es darauf ankam. Die Finals um Italiens Meisterschaft und Pokal beendete er nicht nur mit den nächsten beiden Titeln für Siena, der Mann mit der auffälligen Frisur kam auch zu doppelten Finals-MVP-Ehren.

Hacketts kompromissloses Spiel gefiel und hätte den Italienern sicherlich auch während der EuroBasket Spaß bereitet, hätte der Combo-Guard nur teilgenommen. Diesmal wollte er es einfach nicht erzwingen. Um topfit in die neue Saison gehen zu können, sagte er das Turnier wegen Achillessehnenproblemen ab. Eine Entscheidung, die sich, das zeigt der Euroleague-Auftakt gegen Galatasaray, offenbar gelohnt hat.

Nun warten also die Bayern. Und die wissen augenscheinlich, was beim ersten Euroleague-Heimspiel der Klubgeschichte auf sie zukommen wird. "Er ist definitiv Montepaschis Schlüsselspieler und scort deshalb natürlich viel", sagt Nihad Djedovic im Gespräch mit SPOX. "Wir müssen seinen Zug zum Korb verhindern."

Wen auch immer man auf Hackett anspricht, die Antworten sind immer von Respekt geprägt. Respekt für sein Können. Respekt für seine Einstellung. Respekt für seine Kompromisslosigkeit. "Einer muss dafür sorgen, dass sich etwas tut", sagte Hackett einmal. "Ich will derjenige sein, der entweder die Kritik abbekommt oder das Team trägt." Worte, ganz nach dem Geschmack von Coach Marco Crespi.

Daniel Hackett im Steckbrief