"Das Happy Horse war legendär"

Von Für SPOX in Wales: Bastian Strobl
Orlando Duque tourt während der Red Bull Cliff Diving World Series quer über den Erdball
© MARKUS LEODOLTER/AFP/Getty Images

Aus 27 Metern ins kalte Nass? Für Cliff-Diving-Legende Orlando Duque gehört das zum Alltag. Am Rande des sechsten Events der Red Bull World Series in Wales sprach der Duke über Angstzustände, verrückte Abende in Kitzbühel und die Enttäuschung bei den Olympischen Spielen 1992.

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SPOX: Hallo Orlando, Cliff Diving wird häufig als Duell zwischen dem Athleten und der Schwerkraft bezeichnet. Stimmt's?

Orlando Duque: Das kann man schon so sagen. (schmunzelt) Jeder kämpft gegen die Schwerkraft. Wir sitzen alle im selben Boot, deswegen helfen wir uns untereinander. Die Springer sind wie eine große Familie.

SPOX: Eine Familie voller Verrückter? Die meisten Menschen schütteln nur ungläubig mit dem Kopf, wenn sie ihnen zuschauen.

Duque: Natürlich musst du einen kleinen Knall haben. So richtig kann man niemandem erklären, warum du aus 20 oder 30 Metern ins Wasser springst. Mein Gehirn sagt mir auch immer: Mach das bloß nicht! Aber dann überwindet man sich halt doch. Allerdings versuche ich den Leuten auch immer zu erklären, dass es bei uns vor allem auf die Skills ankommt. Das Ziel ist die totale Perfektion.

SPOX: Bis dahin war es für Sie ein langer Weg. Sie wurden in Kolumbien geboren, einem fußballverrückten Land. Haben Sie auch gekickt?

Duque: Logisch. Als Kind hat man ja fast keine andere Möglichkeit. Der Fußball war bei mir allgegenwärtig. Aber ich muss leider zugeben: Ich war einfach zu schlecht. Es war wohl für alle ein Segen, als ich ein neues Hobby gefunden habe.

SPOX: Mit zehn Jahren sind Sie zum Turmspringen gewechselt. Eine Bauchentscheidung?

Duque: Irgendwie schon, aber es war vor allem eine Fügung des Schicksals. Neben dem Trainingsplatz war genau der Pool, wo das Turmsprung-Team geübt hat. Nach dem Fußballspielen habe ich immer fasziniert zugeschaut. Eines Tages kam der Coach auf mich zu, ob ich es nicht ausprobieren will. Und ich bin dabei geblieben.

SPOX: Sie waren sogar so gut, dass Sie sich für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona qualifiziert haben. Das hört sich toll an, war es aber nicht.

Duque: Das ist wohl die traurigste Geschichte, die ich sportlich erlebt habe. Um bei Olympia dabei zu sein, muss man an vielen Events teilnehmen. Uns wurde immer gesagt: Mach dies, mach das, dann bist du in Barcelona dabei. Aber am Ende gab es finanzielle Probleme und wir konnten nicht fahren.

SPOX: In den folgenden Jahren haben Sie sich dem Cliff Diving zugewandt, allerdings über einige Umwege.

Duque: Tja, das Geld wächst nun mal nicht auf den Bäumen. Deswegen habe ich Ende der 90er Jahre in einem Safaripark in der Nähe von Wien gearbeitet, um etwas zu verdienen. Das war eigentlich ein Zoo, aber die hatten dort auch eine kleine Show mit Stuntmen. Wir sind damals von einem Kran aus 10, 20 Metern ins Wasser gesprungen.

SPOX: Das war aber nicht Ihre einzige Erfahrung in Österreich. Stichwort Happy Horse?

Duque: Oh Gott, da kommen Erinnerungen hoch. (lacht) Das Happy Horse war legendär. Das war eine Bar in Kitzbühel, in der ich in den Wintermonaten nebenbei gearbeitet habe. Tagsüber bin ich Ski gefahren, abends war ich hinter der Theke bis weit in die Nacht hinein. Und am nächsten Morgen wieder auf die Piste. Gibt's was Besseres?

SPOX: Wie wäre es mit einem Sprung aus 27 Metern, wie Sie ihn bei der Red Bull Cliff Diving World Series zeigen?

Duque: Stimmt auch wieder. Alleine die Sekunden vor dem Sprung gleichen einer wilden Achterbahnfahrt. Da geht dir schon die Düse, wenn du aus dieser Höhe herunterblickst. Aber in der Luft ist das vergessen. Basketballer sprechen ja immer davon, "in the zone" zu sein. So könnte man die Phase in der Luft vermutlich am besten beschreiben. Und wenn man dann eintaucht, ist man einfach froh, alles "überlebt" zu haben. Das ist schon ein netter Kontrast: erst die Angst, dann die Anspannung, und am Ende ein Gefühl der Erlösung.

SPOX: Welche Rolle spielt die von Ihnen erwähnte Angst?

Duque: Sie erinnert dich vor allem daran, dass es Grenzen gibt, die man besser nicht überschreiten sollte. Außerdem gilt zumindest für mich: Ohne ein bisschen Angst kann ich nie meine Top-Leistung abliefern. Sie hilft mir, mich zu konzentrieren. Daran hat sich auch nach 1000 Sprüngen nichts geändert.

SPOX: Welcher davon war der furchteinflößendste?

Duque: Die meisten glauben immer, dass mir mein Rekordsprung aus 34 Metern am schwersten fiel. Aber Höhe ist nicht alles. In Österreich bin ich mal von einem Wasserfall gesprungen, mit mächtig viel Seitenwind. Damals habe ich zwei Stunden überlegt, ob ich mir das wirklich antun soll. Es kommt also vor allem auf die äußeren Umstände an.

SPOX: Wie bereiten Sie sich mental vor?

Duque: Da gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Ich schwöre vor allem auf Visualisierungen. Das bedeutet, ich versuche mir im Kopf vorzustellen, wie ein Sprung sein wird. Das läuft ungefähr so ab wie bei Skifahrern, die vor dem Start noch mal die Strecke durchgehen.

SPOX: Wie Skifahrer bereisen Sie die Welt. Klingt ein wenig nach einem Rockstar-Life, oder?

Duque: Es hat schon etwas davon. Ich reise zu den entlegensten Winkeln der Erde und lerne tausende Leute kennen. Aber man muss auch die Kehrseite sehen: Ich bin im Jahr fast 200 Tage unterwegs, lebe aus dem Koffer und sehe Familie und Freunde sehr selten. Aber wenn man seinen Traum verwirklichen will, muss man auch Opfer bringen.

SPOX: Mit einem geregelten Leben können Sie dann wohl wenig anfangen. Was ist denn für Sie Luxus?

Duque: Ich mache mir nichts aus materiellen Sachen. Ich brauche kein teures Auto oder ein großes Haus. Die Seele baumeln lassen, ein gutes Essen oder einfach den Strand genießen erfüllt mich mehr.

SPOX: Wenn die Karriere als Cliff Diver nicht geklappt hätte - was wäre die Alternative gewesen?

Duque: Als Kind wollte ich immer Polizist werden. Vor einigen Jahren habe ich sogar kurz überlegt, ob ich das Cliff Diving aufgebe und in diese Richtung gehe. Aber vielleicht habe ich durch die ganzen Hollywood-Filme auch eine leicht verquere Sicht auf diesen Job. Nur eines ist sicher: Ohne ein klein wenig Adrenalin kann ich nicht leben.