Katz-und-Maus-Spiel in San Francisco

SID

San Francisco - Die gewöhnlich experimentierfreudige Stadt San Francisco ist beim olympischen Fackellauf auf Nummer sicher gegangen.

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Um sich nicht die Finger zu verbrennen und Krawalle zu riskieren, wurde das olympische Feuer von den Verantwortlichen in einem mehrstündigen Katz-und-Maus-Spiel Tausenden Zuschauern und Demonstranten vorenthalten. Auf ihrem bizarren Weg durch die Straßen von San Francisco wurde die Fackel unter anderem in einem Lagerhaus versteckt, per Bus ans andere Ende der Stadt chauffiert, von Polizisten umringt, von einer erwartungsvollen Menge abgeschirmt und ohne Abschiedszeremonie schnell zum Flughafen gebracht.

Es sei nicht "die freudige Party" gewesen, die man sich erhofft habe, sagte IOC-Präsident Jacques Rogge. Aber nach den teilweise gewalttätigen Protestaktionen bei den Fackelläufen in London und Paris nannte er die Situation in San Francisco "besser".

Aus Angst vor massiven Protesten gegen die Tibet-Politik der chinesischen Regierung war der Fackellauf durch die Westküstenstadt in letzter Minute umgeleitet worden. Weg von der beliebten Hafenpromenade, wo rund zehntausend Menschen stundenlang vergeblich auf die Flamme warteten.

Starker Polizeischutz 

Nach dem Entzünden der Fackel waren die Läufer heimlich per Bus in einen anderen Stadtteil, weitab von der geplanten Strecke, gebracht worden. Dort setzten sie ihren Lauf durch die Stadt unter starkem Polizeischutz ohne große Zwischenfälle in meist menschenleeren Straßen fort.

David Perry, Sprecher der Fackellauf-Organisatoren, verteidigte die Programmänderung. Die "außergewöhnliche Maßnahme" sei zum Schutz der Läufer getroffen worden, sagte Perry dem Lokalsender KTVU. Nach den Vorfällen in London und Paris hätten sich zahlreiche Fackelträger vor gewalttätigen Ausschreitungen gefürchtet.

Änderung der Route stößt auf Kritik

Der Stadtratsvorsitzende Aaron Peskin verurteilte die Entscheidung von Bürgermeister Gavin Newsom scharf. "Gavin Newsom regiert San Francisco so wie Chinas Staatschef sein Land führt - mit Geheimniskrämerei, Lügen, Falschinformationen, mangelnde Transparenz und Manipulation der Massen."

Der liberale Bürgermeister, der als Verfechter der Redefreiheit bekannt ist, bemühte sich, den Schritt zu rechtfertigen. "Meiner Meinung nach hatten die Leute das Recht zu protestieren und die Fackel zu unterstützen. Das sah man auf der Straße. Wir haben keine Proteste verboten", sagte Newsom.

Polizeichefin Heather Fong gab ihm Rückendeckung. "Hätten wir uns an die ursprünglich Route gehalten, dann hätten wir bestimmt Polizisten mit Schutzhelmen und Schlagstöcken beim Einsatz gegen Demonstranten gesehen", mutmaßte Fong.

Marathonläufer Dean Karnazes, einer der knapp 80 Fackelträger, beschrieb den Lauf als "unglaublich unwirkliches" Erlebnis. Er bedauerte die Zuschauer, die vergeblich gewartet hatten, freute sich aber über das Ergebnis. "Wir haben unsere Aufgabe erfüllt, das war ein Erfolg, trotz einiger heikler Momente."

Enttäuschte Bürger

Viele Menschen in San Francisco reagierten empört und enttäuscht. "Ich bin sehr verärgert", schimpfte Rosie Salis, die zum Fackellauf aus der Nachbarstadt Foster City angereist war. "Es waren viele Leute mit ihren Kindern hier. Sie mussten vier, fünf Stunden warten, und dann diese Enttäuschung", sagte sie dem "San Francisco Chronicle".

Einige Pro-Tibet-Demonstranten sprachen dennoch von einer erfolgreichen Aktion. "Die Tatsache, dass so viele Menschen hier für Tibet demonstriert haben, allein das ist ein riesiger Erfolg", sagte der Exil-Tibeter Tenzing Chonden.

Doch der Leitartikel des "San Francisco Chronicle" erklärte die Stadt zum Verlierer. "Dies war unsere Chance zu zeigen, wie San Francisco starke politische Meinungsverschiedenheiten respektiert und damit umgeht. Tausende wollten die Fackel sehen und ihre Einstellung zu den Olympischen Spielen, ob positiv oder negativ, ausdrücken. Leider haben sich unsere Stadt-Oberhäupter dazu entschieden, vor ihnen wegzulaufen".