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WM 2023 - Erkenntnisse zur DFB-Pleite: Deutschland bekommt Schwächen von Kolumbien gnadenlos aufgezeigt

Von Justin Kraft
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Die DFB-Frauen verlieren mit 1:2 gegen Kolumbien und zeigen dabei Schwächen, die weit vor dem Turnier schon bekannt waren. So wird es für Deutschland schwierig, ein erfolgreiches Turnier zu spielen. Drei Erkenntnisse zur ersten Niederlage in einer WM-Gruppenphase seit 1995.

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Das Gefühl war gut, die sechs Tore gegen Marokko gaben Aufwind. Doch davon war bereits in der Anfangsphase der Partie wenig zu spüren. Deutschland tat sich schwer, fand keinen Zugriff auf das Spiel und wackelte sowohl im Spielaufbau als auch bei einigen Kontern.

Als Linda Caicedo das Stadion zu Beginn der zweiten Halbzeit mit einem wunderschönen Tor in Ekstase versetzte, war endgültig klar, dass es ein unangenehmer Abend werden könnte. Der späte Knockout nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich vollendete ein Spiel, das die deutschen Karten auf den Tisch legte.

Drei Erkenntnisse zur 1:2-Niederlage gegen Kolumbien.

DFB-Team, WM 2023, Kolumbien, Deutschland
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1. DFB-Team lässt sich nervös machen

Im Grunde gab es drei Faktoren, die dazu geführt haben, dass das deutsche Team nie so richtig in die Partie fand. Einer ist die generelle Atmosphäre. Fast das komplette Stadion war für Kolumbien und die Fans feierten jede noch so kleine Szene ihrer Spielerinnen lautstark - und auch jeden Fehler der Deutschen.

Der zweite Faktor war die grundsätzliche Aggressivität der Kolumbianerinnen. Hier ein Check, da ein Foul - die DFB-Frauen hatten kaum Zeit am Ball. Immer standen ihnen Gegenspielerinnen auf den Füßen, immer wieder wurde ihr Rhythmus empfindlich gestört. Hier und da hätte die Schiedsrichterin früher Gelb zeigen können, um ein zu hitziges Duell zu vermeiden. Doch andererseits blieb Kolumbien bis auf zwei, drei Ausnahmen im Rahmen dessen, was im Fußball nicht unüblich ist.

Und da kommt der vermutlich wichtigste Faktor ins Spiel: Deutschland ließ sich nervös machen. Die Spielerinnen wirkten genervt. Vom Gegner, von der eigenen Leistung, davon, dass nichts so richtig funktionieren wollte. Es gelang ihnen nicht, diese Gedanken abzuschütteln.

Dass die stark aufspielende Sara Doorsoun zur Halbzeit verletzt ausgewechselt werden musste und Felicitas Rauch gar nicht erst antreten konnte, verstärkte die Verunsicherung. Zumal Chantal Hagel die Dynamik des Spiels doch merklich veränderte und Schwierigkeiten damit hatte, sich zu integrieren.

Im Moment kommt für das DFB-Team vieles zusammen. Doch in der Vergangenheit war es eine große Stärke der Spielerinnen, die Umstände abzuschütteln. Gegen Kolumbien gelang das lange nicht.

DFB-Team, WM 2023, Kolumbien, Deutschland
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2. Kolumbien legt Schwächen des DFB-Teams gnadenlos offen

Dass Deutschland so nervös agierte, lag auch daran, dass Kolumbien eine hervorragende Leistung gezeigt hat. Taktisch haben sie die Schwächen der Deutschen über weite Strecken gut ausgespielt. Vor allem gegen den Ball agierten die Südamerikanerinnen sehr clever, stellten das Zentrum nicht nur zu, sondern standen den Schlüsselspielerinnen regelmäßig auf den Füßen.

Schlüsselspielerinnen, das sind Lena Oberdorf, Sara Däbritz und Lina Magull - aber auch Klara Bühl und Jule Brand. Im ersten Schritt versuchte Kolumbien, das Aufbauspiel der Deutschen einzuschränken, indem der Druck im zentralen Mittelfeld enorm war. Dadurch entstand zunächst ein Scheinraum auf den Flügeln.

Scheinraum deshalb, weil die Kolumbianerinnen sehr schnell und klug verschoben, sobald die Spieleröffnung des DFB-Teams auf den Flügel ging. Bühl und Brand hatten hier nur wenig Zeit, um Entscheidungen zu treffen. Dementsprechend war ihre Fehlerquote deutlich höher als noch gegen Marokko.

Kolumbien gewann aus deutscher Sicht viel zu oft den Ball und konnte anschließend Druck über die Flügel erzeugen. Dort spielten Mayra Ramírez und Linda Caicedo ihr Tempo sowie ihre technischen Stärken aus. Einzig der Innenverteidigung um Kathrin Hendrich und der zweikampfstarken Doorsoun war es zu verdanken, dass es nicht schon früher gefährlich wurde.

Zwar zeigten sich Alexandra Popp und auch Voss-Tecklenburg zufrieden mit der grundsätzlichen Spielkontrolle. Doch zur Wahrheit gehört auch dazu, dass aus der vermeintlichen Kontrolle kaum Gefahr erzeugt wurde. Eine echte Druck- und Drangphase, wie sie Popp rund um den Ausgleich sah, gab es nicht wirklich, große Chancen blieben aus. Mit Kolumbiens Defensivorganisation kamen die Deutschen nicht zurecht.

DFB-Team, WM 2023, Kolumbien, Deutschland
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3. DFB-Team: Eine Niederlage als Chance

Die wichtigste Erkenntnis für das DFB-Team ist vermutlich, dass diese Niederlage noch gerade zur rechten Zeit kommen könnte - und den Verlauf des Turniers vielleicht sogar indirekt positiv beeinflusst.

In den kommenden Tagen wird es darauf ankommen, die Fehler und die Niederlage richtig einzuordnen, um bereits gegen Südkorea ein anderes Gesicht zu zeigen. Bei großen Turnieren ist es keine Seltenheit, dass Teams, die weit kommen, in der Gruppenphase ein Spiel verloren oder zumindest nicht gewonnen haben.

Schönreden sollte sich diese Niederlage niemand beim DFB-Team, doch jetzt zu resignieren, wäre ebenfalls unpassend. Zumal ein möglicher zweiter Platz in der Gruppe den Deutschen sogar in die Karten spielen könnte. Das wiederum kommt darauf an, was in der Gruppe F passiert.

Dort streiten sich am letzten Spieltag Frankreich, Jamaika und Brasilien um die beiden Tickets für das Achtelfinale. Aktuell sieht es so aus, als würden die Französinnen den ersten Platz erreichen. Brasilien ist favorisiert im Kampf um den zweiten Rang. Die Partie gegen Kolumbien hat nochmal unterstrichen, dass sich Deutschland mit gut organisierten Defensivreihen schwertut und Probleme in der Konterabsicherung hat.

Brasilien hat diese Art des Fußballs unter Trainerin Pia Sundhage perfektioniert. Schon beim Testspiel der beiden im April, das die Brasilianerinnen mit 2:1 gewannen, wurden die Schwierigkeiten der DFB-Frauen deutlich. Frankreich wiederum ist von der Spielanlage her ein Team, das den Deutschen liegt. Sie wollen offensiv agieren und bieten damit Räume an. Bei der Europameisterschaft im letzten Jahr setzte sich Deutschland knapp durch.

Viel Konjunktiv und vielleicht gibt es am letzten Spieltag auch noch deutlich mehr Überraschungen, die die Konstellation verändern. Für Deutschland geht es primär darum, sich gegen Südkorea das gute Gefühl zurückzuholen, das sie sich gegen Marokko erarbeitet hatten.

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