"Mitternacht ist die Zeit, zu der ich mich voll entfalte": Ronaldinho schoss sein erstes Tor für den FC Barcelona in den frühen Morgenstunden

Von Oliver Maywurm
Ronaldinho
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Ronaldinho wurde beim FC Barcelona zur Legende. Legendär ist auch die Geschichte hinter seinem allerersten Pflichtspiel im Camp Nou. Der Brasilianer traf einst spektakulär für Barça – und das mitten in der Nacht.

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Wer sich bei YouTube die schönsten Tore von Ronaldinho anschauen will, landet ganz sicher unter anderem bei jenem Treffer, der dem früheren brasilianischen Weltklassespieler am 3. September 2003 gelang. Oder sollte man besser sagen: In der Nacht vom 2. auf den 3. September? Egal, dazu später mehr.

Zum Tor: Ronaldinho startete aus der eigenen Hälfte, ließ zwei Spieler des FC Sevilla spielerisch ins Leere laufen. Aus rund 25 Metern zog er dann fulminant ab, der Ball klatschte unhaltbar unter die Latte und von dort aus ins Tor. Jeder, der Ronaldinho feiert, kennt diesen Treffer.

Abseits seiner Schönheit war das Tor auch deshalb besonders, weil es Ronaldinhos erster Pflichtspieltreffer für den FC Barcelona war. Und das in seinem allerersten Heim-Pflichtspiel für die Katalanen, die ihn einige Wochen zuvor für rund 32 Millionen Euro von Paris Saint-Germain verpflichtet hatten.

Und was das Ganze noch besonderer machte: Der Treffer fiel gegen halb 2 an einem Mittwochmorgen, da die Partie erst kurz nach Mitternacht angepfiffen worden war. Was hinter der späten Anstoßzeit steckte? Auf jeden Fall eine ziemlich verrückte Geschichte ...

Ronaldinho
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Heim-Debüt von Ronaldinho: Keine Einigung mit Sevilla

Da eine Länderspielpause anstand, hatte LaLiga den zweiten Spieltag der Saison 2003/04 für die Wochenmitte angesetzt, um ihn noch vor den Partien der Stars mit ihren jeweiligen Nationalteams durchführen zu können.

Barcelona wollte das Heimspiel gegen Sevilla dabei für Dienstag ansetzen, damit die Nationalspieler - und vor allem eben Top-Neuzugang Ronaldinho - allesamt sicher noch mit dabei sein konnten. Doch die Andalusier stellten sich quer.

Sie hatten ihren Saisonauftakt gegen Atlético Madrid sonntags und weigerten sich daher, 48 Stunden später schon wieder zu spielen. Auch eine Verlegung der Sonntagspartie gegen Atlético auf Samstag lehnte Sevilla ab. Man habe schließlich schon die Tickets für Sonntag verkauft, das könne man nicht mehr neu ansetzen, hieß es. Und auch vom Vorschlag, das Spiel in Barcelona auf einen späteren Saisonzeitpunkt zu verlegen, wollte Sevilla nichts wissen. Möglicherweise auch mit der Aussicht im Hinterkopf, auf ein geschwächtes Barça ohne Ronaldinho und Co. zu treffen.

"LaLiga setzte das Spiel dann für Mittwoch (3. September 2003, d. Red.) an. Aber Ronaldinho würde zu diesem Zeitpunkt dann schon auf dem Weg zur brasilianischen Nationalmannschaft sein", erinnert sich Barcelonas damaliger Vize-Präsident Sandro Rosell in der Dokumentation The Happiest Man in the World.

Barça drängte daher bei LaLiga darauf, den Spieltermin auf Dienstag festzulegen - jedoch ohne Erfolg. "So kam uns die Idee, mittwochs um fünf Minuten nach Mitternacht zu spielen", sagte Rosell. "Es war verrückt. Aber wir dachten, wir müssen es tun, weil wir Ronaldinho brauchen."

Die Katalanen checkten die Regularien und vergewisserten sich, ob sie zu einer derart späten Zeit spielen dürften. Und sie bekamen grünes Licht!

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Kurz nach Mitternacht: Der FC Barcelona lockte Fans mit 100.000 KitKats

Bei Barça machte man sich allerdings Gedanken, ob man das Camp Nou zu einer derart späten Anstoßzeit voll bekommen würde. Schließlich fand das Spiel ja nicht am Wochenende, sondern unter der Woche statt.

Also wurden einige spezielle Maßnahmen ergriffen: Das Vereinsmuseum blieb bis Mitternacht geöffnet, man verteilte 100.000 KitKats, 40.000 Portionen Gazpacho (eine kalte Gemüsesuppe, d. Red.), 30.000 Actimel Joghurts, 25.000 Chipstüten, dazu Brot und Schinken. Die Resonanz war sehr positiv, 80.000 Zuschauer kamen.

Auch für die Spieler war es indes natürlich ungewöhnlich, so spät auflaufen zu müssen. "Ich weiß noch, dass wir einen wirklich langen Mittagsschlaf gemacht haben", erinnerte sich der damalige Barcelona-Profi Sergio Santamaría bei ESPN. "Die Aufregung, um diese Zeit zu spielen, war groß. Es war so, wie wenn man als Kind nicht in die Schule musste, weil etwas Besonderes anstand."

Bei Sevilla war man allerdings nicht so begeistert. Joaquín Caparrós, seinerzeit Trainer der Andalusier, meinte: "Ich denke immer noch, dass es keinen Sinn macht. Das ist schlecht für den Fußball."

Dennoch lief es für seine Mannschaft dann zunächst gut, nachdem um 0.05 Uhr der Anpfiff ertönt war. José Antonio Reyes brachte die Gäste nach zehn Minuten per Elfmeter in Führung, bei Barça lief indes nicht viel zusammen. "Nach allem, was wir getan hatten, sah es jetzt so aus, als würden wir verlieren", hat Rosell seine Gedanken von damals noch immer im Kopf.

Ronaldinho
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Gegen 1.30 Uhr: Ronaldinho mit seinem ersten Traumtor für Barça

Doch auf Ronaldinho, der in Barcelonas Startelf stand, war Verlass. Der damals 23-Jährige, wenige Tage zuvor in Bilbao erstmals in einem Pflichtspiel für seinen neuen Verein aufgelaufen, nahm sich der Sache nach knapp einer Stunde an und erzielte gegen 1.30 Uhr ein Traumtor zum 1:1-Ausgleich, gleichzeitig der Endstand.

"Es konnte nicht schiefgehen", scherzte Ronaldinho später in der Doku The Happiest Man in the World. "Mitternacht ist die Zeit, zu der ich mich voll entfalte."

Natürlich eine Anspielung darauf, dass der zweimalige Weltfußballer sehr gerne auch das Nachtleben abseits des grünen Rasens auskostete. Für jene Nacht war es aber eine rein fußballbezogene Feststellung.

"Er dribbelte, dribbelte, dribbelte - und dann Boom", erinnert sich der Journalist Toni Juanmartí, der das Spiel im Stadion sah, an Ronaldinhos sagenhaftes Tor gegen Sevilla. "Ich kann mich noch genau an die Explosion nach diesem Treffer erinnern", betont er.

In Vergessenheit geraten wird diese Nacht aus dem September 2003 jedenfalls nie. Nicht nur wegen Ronaldinhos Traumtor, sondern auch, weil das Duell zwischen Barcelona und Sevilla das am frühesten angepfiffene Spiel im Profifußball jemals war - oder sollte man sagen: das am spätesten angepfiffene?

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