Luis Rubiales: Die Skandalakte des spanischen Verbandspräsidenten zeigt, dass der Fußball in einer Wagenburg lebt

Von Justin Kraft
Luis Rubiales
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Es ist bezeichnend, dass eine herausragende Weltmeisterschaft, bei der sich die großen Verbände der Welt den vermeintlichen Kampf für Gleichberechtigung auf die Fahnen schrieben, damit endet, dass nur noch über einen Mann geredet werden muss, der seine Macht öffentlich missbraucht. Dabei ist Luis Rubiales, der sich noch immer weigert zurückzutreten, nicht zum ersten Mal negativ aufgefallen.

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Fast eine Woche nach der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland ist diese als solche längst kein Thema mehr. Luis Rubiales steht im Mittelpunkt der internationalen Berichterstattung rund um den Titelgewinn der Spanierinnen. Ein Mann, der seine Machtposition missbraucht und unterstrichen hat, dass die vermeintliche Elite des Profifußballs in ihrer eigenen rückständigen Welt lebt.

Rubiales hat das in einem offensichtlichen Schauspiel unterstrichen, nachdem er Jennifer Hermoso bei der Siegerehrung auf den Mund küsste und damit mindestens Grenzen überschritt. Es war ein Übergriff, der von der Spielerin anschließend in einem Live-Video auf Instagram auch klar als solcher benannt wurde. Es habe ihr nicht gefallen, sagte die Offensivspielerin. "Aber was soll ich machen?"

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Jennifer Hermoso nach Übergriff von Luis Rubiales: "Was soll ich machen?"

Es sind diese vier Worte, die noch viel zu wenig besprochen wurden: "Was soll ich machen?" Hermoso konnte nicht viel tun. Weder in der Situation selbst noch danach. Aber sie versucht es dennoch.

Als der Verband und Rubiales auf sie zukamen, um die Aktion als einvernehmlich zu aufzuklären, lehnte sie ab. Der Verband legte ihr in einer Pressemitteilung die beschwichtigenden Zitate einfach in den Mund. Hermoso forderte später mit Hilfe ihrer Spielerinnengewerkschaft Futpro Konsequenzen. Genauso wie sie auch schon Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez forderte. Am Freitagabend traten im Zuge einer massiven Rücktrittswelle alle Weltmeisterinnen und zahlreiche weitere Fußballspielerinnen zurück. Solange sich die Dinge nicht ändern, würden sie nicht mehr für die spanische Nationalmannschaft spielem schrieben sie in einem Offenen Brief.

Ob sich Rubiales davon umstimmen lässt? Bis weit in den Freitag hinein sah es so aus, als ob er ohne Konsequenzen aus dem Skandal herauskommen würde. Bezeichnend. Wie sicher sich Rubiales in seiner Machtposition fühlte, stellte er schon zur Schau, als sein Übergriff erstmals öffentlich thematisiert wurde. Als "idiotisch" bezeichnete er die Kritik, geäußert von "Idioten". Selbst seine vermeintliche Entschuldigung war kein echtes Zurückrudern, sondern eher eine weitere Rechtfertigung.

In einer Rede auf der außerordentlichen Generalversammlung des spanischen Fußballverbandes inszenierte Rubiales sich nun auch noch als Opfer: "Hier geht es nicht um Gerechtigkeit, sondern um eine soziale Hinrichtung." Daher werde er nicht zurücktreten. Fünfmal sagte er das sogar: "Ich werde nicht zurücktreten." Dafür und für seine Äußerung, er sei Opfer von "falschem Feminismus", erntete er großen Applaus aus Teilen des Publikums. Von Männern, mächtigen Männern.

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Luis Rubiales: Rückendeckung aus der Welt des Fußballs

Wie dick das Band zwischen diesen ist, zeigte mit Karl-Heinz Rummenigge auch ein Deutscher, der mit der Sache nichts zu tun hatte, sich aber dennoch dazu genötigt sah, Rubiales zu unterstützen. Beide sind Teil des UEFA-Exekutivkomitees. Mehr muss dazu nicht gesagt werden.

Mächtige Männer haben es auf nahezu allen Ebenen perfektioniert, die Interessen von Frauen nur so groß wie nötig, aber gleichzeitig so klein wie möglich zu halten. Auch im Jahr 2023 ist das noch so. Der Fußball aber ist erneut ein Brennglas, durch das sich das Thema besonders gut betrachten lässt.

Denn nicht alle Bereiche der europäischen Gesellschaft sind derart rückständig. Besonders deutlich wurde das, als in Spanien die Politik auf den Fall aufmerksam wurde und das Thema über den Fußball hinaus immer größer wurde. "Er muss sofort zurücktreten", forderte beispielsweise die geschäftsführende Vize-Regierungschefin Yolanda Díaz auf der vormals Twitter genannten Plattform X.

Auch aus der spanischen Bevölkerung war über die sozialen Medien Empörung, scharfe Kritik und die Forderung nach Veränderung zu vernehmen. Es ist eine Diskrepanz, die sich hier offenbart. Zwischen Fußballfunktionären einerseits, die glaubten, die Geschichte mit wenig Anstrengung herunterspielen zu können und großen Teilen einer Gesellschaft, die aufgeklärter ist, als Rubiales und Co. offenbar glaubten.

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Luis Rubiales: Eine dicke Akte an Skandalen

Und doch muss die Frage gestellt werden, warum Rubiales überhaupt noch in der Position ist, wichtige Entscheidungen treffen und Entwicklungen mitbestimmen zu können. Seit 2018 ist er Präsident des spanischen Fußballverbands, seit 2019 Vizepräsident der UEFA. Schon in der Vergangenheit gab es gegen ihn Ermittlungen wegen Körperverletzung und Belästigung. Eine Architektin, die er mit der Renovierung seines Anwesens beauftragte, zeigte ihn an. Zwei Gerichte entschieden, dass er unschuldig sei.

Im Mai 2022 wurde Rubiales von seinem Onkel Juan bei der spanischen Antikorruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. Juan Rubiales war ehemals Stabschef des Verbands. Sein Vorwurf: 2020 soll Luis Rubiales eine Sex-Party mit Verbandsgeldern veranstaltet haben. In einer Villa in Salobrena habe er sich mehrere Tage vergnügt, es soll auch zu Orgien gekommen sein. Er selbst nennt es einen Grillabend mit Freundinnen. Und doch muss man sich die Geschichte noch mal auf der Zunge zergehen lassen, man kann auch gerne den saftigen Teil weglassen: Der eigene Onkel zeigt den Verbandschef an, weil dieser mit Verbandsgeldern Partys gefeiert haben soll. Viel schwerwiegenderen Vergehen als Veruntreuung kann man sich als Funktionär nicht schuldig machen. Der Verband streitet jedoch alles ab und solange gilt die Unschuldsvermutung.

Die Vergabe der spanischen Supercopa nach Saudi-Arabien trug ebenfalls seine Handschrift. Medien berichteten, dass der Verband 40 Millionen Euro kassiert habe, obwohl offiziell von 25 Millionen Euro die Rede war. Rubiales habe eine Kommission bezogen, was er bestreitet.

Verbindungen soll es dahingehend zu Gerard Piqué und seinem Unternehmen "Kosmos" gegeben haben, das vier Millionen Euro Provision kassiert habe. El Confidencial veröffentlichte 2022 Audiodaten, die belegen, dass der damalige Profi des FC Barcelona an der Verteilung der Gelder mitbeteiligt war. "Lass uns die Saudis ausquetschen", sagt Piqué darin unter anderem.

Einige Monate später veröffentlichte das Portal private Nachrichten von Rubiales, in denen er sich despektierlich über den FC Sevilla, den FC Villarreal und den FC Valencia äußerte - als vermeintlich neutraler Verbandspräsident.

Tragen Real Madrid und der FC Barcelona bald Ligaspiele in Miami aus? Geht es nach Spaniens Verbandspräsidenten Luis Rubiales, ist das kein unvorstellbares Szenario,.
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Luis Rubiales: Wie geht es jetzt weiter?

Eine unvollständige, aber längst ausreichende Liste an Skandalen, die die Frage aufwirft, wieso Rubiales zum Zeitpunkt des WM-Beginns eigentlich noch im Amt war. Die auf den ersten Blick simple Antwort: Ihm wurde bisher nichts davon nachgewiesen, eine Verurteilung gab es nicht. Spätestens beim Übergriff auf Hermoso hat sich das aber geändert - zumindest mit Blick auf die Beweislage.

Und trotzdem gab es Applaus für ihn, als er die Realität mit seiner Rede umschiffte. Und trotzdem sieht er sich geschützt durch Strukturen, die der Fußball auf vielen Ebenen aufgebaut hat. Spanien und seinen Verband als Einzelfall zu sehen, wäre naiv. Diese Strukturen gibt es in jeder noch so aufgeklärten Gesellschaft. Frauen kämpfen tagtäglich auf verschiedenen Ebenen gegen sie an. So auch die Spielerinnen der Nationalelf. In den sozialen Netzwerken stellten sich viele Teamkolleginnen von Hermoso auf ihre Seite. Mehrfach waren die Worte "es ist vorbei" zu lesen. Wie der Guardian berichtet, wollen die Nationalspielerinnen nicht mehr für Spanien auflaufen, solange Rubiales im Amt ist.

2022 taten dies 15 Spielerinnen. Zwölf von ihnen stellten sich zur WM wieder zur Verfügung, drei nominierte Trainer Jorge Vilda, gegen den sich die Protestaktion unter anderem richtete. Auch er soll übergriffig gehandelt haben. Von Kontrollzwang war die Rede. "Es ist nicht viel Zeit vergangen, bis man gesehen hat, was vor ein paar Monaten gefordert wurde", erklärte Mapi León nun auf X: "Die Bilder sprechen für sich." Die Innenverteidigerin war eine von drei Spielerinnen, die ihren Boykott auch während der WM durchzogen.

Bezeichnend, dass eine herausragende Weltmeisterschaft, bei der sich die großen Verbände der Welt den vermeintlichen Kampf für Gleichberechtigung auf die Fahnen schrieben, damit endet, dass nur noch über einen Mann geredet werden muss, der seine Macht öffentlich und vor allen Augen missbraucht.

Noch bezeichnender, dass er sich bisher in seinem Amt halten konnte. Der Fußball lebt in seiner eigenen Wagenburg. Auch wenn der Druck aus den aufgeklärten und progressiven Teilen der spanischen Gesellschaft und der Politik riesig ist und noch weiter wachsen wird.

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