Traumstart: Jude Bellingham sorgt bei Real Madrid dafür, dass Karim Benzema nicht vermisst wird

Von Thomas Hindle / Patrik Eisenacher
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Ex-BVB-Spieler Jude Bellingham hat für Real Madrid drei Tore in zwei Spielen erzielt und lässt damit den Ballon-d'Or-Sieger vergessen.

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Die Fans von Real Madrid kennen das Bild bereits: Ihr Neuzugang, ein 20-jähriger Engländer, steht mit ausgebreiteten Armen vor ihnen und lächelt nach einem Tor. Es ist eine Pose, die gleichzeitig bescheiden und angeberisch ist - eine Pose, die nach echter Größe aussieht.

Jude Bellingham hat bereits dreimal auf diese Art gejubelt - bei jedem seiner drei Tore. Der 103 Millionen Euro teure Neuzugang von Borussia Dortmund hat nun ein Markenzeichen.

Und das hat Real dringend gebraucht, seit Karim Benzema im Juni beim saudischen Erstligisten Al-Ittihad unterschrieben hat. Auch er hatte seinen ausgiebigen Jubel - ein Spieler, der jedes seiner 354 Real-Tore feierte, als wäre es sein erstes.

Seine vielen Treffer mussten irgendwie ersetzt werden. Kandidaten für diesen Job gab es einige bei den Königlichen. Aber Bellingham mit seinen acht Bundesliga-Treffern in der vergangenen Saison gehörte eigentlich nicht dazu.

Jetzt aber hat er in den ersten beiden Spielen drei Tore gemacht. Dazu kommt noch ein Assist für das 3:1 von Toni Kroos gegen Almeria. Real verfügt nun offenbar über eine Offensivwaffe auf einer Position, die es vorher im Team nicht gab.

Bellingham ist kein Benzema und er ist auch kein Zidane, Cristiano Ronaldo oder Raúl. Aber bisher wird er der enormen Ablöse mehr als gerecht und sorgt dafür, dass die Madrilenen ihren schmerzhaftesten Abgang seit Jahren aktuell nicht vermissen.

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Jude Bellingham: Leben in einer Welt ohne Benzema

Als Benzema Anfang Juni seinen Abschied ankündigte, stand eigentlich schon fest, dass Bellingham kommen würde.

Liverpool hatte sich bereits Anfang April aus dem Rennen zurückgezogen. Real machte kurz darauf deutlich, dass es den von Dortmund geforderten Preis zahlen wolle. Bellingham erklärte später selbst, sich schon Anfang 2023 für einen Wechsel zum 14-maligen Champions-League-Sieger entschieden zu haben.

Damals muss der Engländer davon ausgegangen sein, dass er mindestens eine Saison mit Benzema zusammenspielen wird, dem Leader des Teams. Als der amtierende Ballon-d'Or-Sieger dann ging, war Real enttäuscht und etwas überrascht - wie Bellingham sicher auch. Wäre Benzema erst 2024 gegangen, hätte das perfekt mit der geplanten Verpflichtung von Kylian Mbappé zusammengepasst - ein Weltklasse-Franzose löst bei Real den anderen ab.

Stattdessen ging Real ohne Mittelstürmer in die neue Saison. Einen Großteil ihres Budgets gaben sie für den besten jungen Mittelfeldspieler der Welt aus - und der kam zu einer Mannschaft, die bereits fünf großartige Spieler für diese Position hatte (Kroos, Modric, Camavinga, Tchouaméni und Valverde). Der Kader wirkte deshalb unausgewogen.

Trainer Carlo Ancelotti verkündete dann, dass die Madrilenen keinen Benzema-Ersatz suchen würden. Der Kader verfüge über genügend Ressourcen, um seinen Abgang auszugleichen - und er verwies auf Vinícius Jr. und Rodrygo sowie den neuen Leihstürmer Joselu. Die 35 Tore Benzemas müsse aber die Mannschaft gemeinsam auffangen.

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Jude Bellingham: Taktische Kniffe wie bei Zidane

Bellingham kam in der Debatte ums Toreschießen nicht wirklich vor. Ancelotti verwies wiederholt auf die Fähigkeit des englischen Nationalspielers, "das Beste aus dem freien Raum zu machen" - machte aber auch klar, dass sein neuer Mittelfeldspieler als Allrounder geholt worden war und nicht unbedingt als kreativer Spieler. Es ist Ancelotti also hoch anzurechnen, dass es ihm so schnell gelungen ist, Bellingham im letzten Drittel glänzen zu lassen.

Der Italiener bevorzugt eigentlich ein 4-3-3-System. Dabei bewegte sich Benzema viel und Federico Valverde stieß oft über rechts nach innen - das Real-Spiel war flexibel. Die Spieler hielten sich an die einstudierte Formation.

Die Kader-Zusammenstellung hat sich nun allerdings geändert und Ancelotti passte seine Formation an - wegen der vielen guten Mittelfeldspieler. So läuft Bellingham nun als Zehner hinter zwei Stürmern auf. Dieses System wandte der Italiener einst auch in der Serie A bei Juventus Turin an - mit dem Mann auf der Zehn, der einst Bellinghams Rückennummer bei Real trug: Zinédine Zidane.

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Jude Bellingham: Auf der Zehn zuhause

Zunächst schien es, als sei der Formations-Wechsel aus der Not heraus erfolgt. Schließlich war eine taktische Umstellung für Ancelotti die einzige Möglichkeit, alle Mittelfeld-Stars bei Laune zu halten. Aber es stellte sich heraus, dass der vierfache Champions-League-Sieger und einzige Trainer, der in jeder der fünf europäischen Top-Ligen den Meistertitel gewonnen hat, mehr als andere Experten wusste.

Bellinghams Vielseitigkeit war wohl der Hauptgrund für seine Verpflichtung. Auch Ancelotti erkannte, dass der Engländer ein "kompletter Mittelfeldspieler" ist. Es ist bekannt, dass Bellingham sowohl bei Birmingham City als auch bei Borussia Dortmund das Trikot mit der Nummer 22 trug, weil er sich selbst als 4er (defensiver Mittelfeldspieler, bei uns als "Sechser" bezeichnet), 8er und 10er sieht - in der Summe ergibt das eben 22.

In Dortmund hat er sich als Allrounder bewiesen, auch wenn er meist als Achter, also zentraler Mittelfeldspieler, auflief und die meiste Zeit als Box-to-Box-Mittelfeldmotor agierte. Er leistete einen soliden Beitrag im Angriffsdrittel - der Engländer machte acht Ligatore bei einem Erwartungswert für Tore (xG) von 8,2. Treffer zu erzielen, war dabei nie seine Hauptaufgabe. Auch seine Kreativität kann sich sehen lassen: Bellingham beendete die Saison mit vier Bundesliga-Assists und spielte im Schnitt einen wichtigen Pass pro Spiel.

Wenn man ihn in die richtigen Räume bringt, kann man seine Offensivleistung noch weiter steigern. Gegen Almeria spielte er fast ausschließlich im Angriffsdrittel, wo der Engländer den Ball zwischen den Linien erhielt und mit nach vorne stürmte. Er erzielte zwei Tore, gab einen Assist, spielte drei wichtige Pässe und gab vier Torschüsse ab.

Klar: Wenn man einen Spieler offensiver aufbietet und ihn mit Bällen versorgt, wird er mehr Torbeteiligungen haben. Aber Bellinghams vier Torbeteiligungen sind kein Zufall. Durch seine neue Position weiter vorne auf dem Platz trifft er schlicht öfter, als er es beim BVB konnte.

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Jude Bellingham: Bereits ein Fanliebling bei Real Madrid

Es ist ein Risiko, Bellingham eine entscheidende und neue Rolle bei Real zu geben. Einer der teuersten Neuzugänge der Vereinsgeschichte nimmt mit 20 Jahren sofort die Zügel beim größten Verein der Welt in die Hand. Das ist außergewöhnlich.

Dass dieser 20-Jährige auch noch Engländer ist, ist ebenfalls besonders. Spanien ist seit langem misstrauisch gegenüber englischen Mittelfeldspielern - und das aus gutem Grund. LaLiga ist technisch gesehen viel anspruchsvoller als die Premier League. Mittelfeldspieler in Spanien sind nicht immer physisch stark oder athletisch - vor allem, weil sie es nicht sein müssen.

Bellingham ist 1,86 Meter groß, körperlich stärker als der durchschnittliche spanische Innenverteidiger und verfügt über eine tolle Ausdauer - also eher ein Steven Gerrard als ein Andrés Iniesta. Die Tatsache, dass er zu einem Klub kam, der gemischte Erfahrungen mit englischen Spielern gemacht hat (siehe Jonathan Woodgate), sorgte in der spanischen Hauptstadt für einige Skepsis. Bellinghams Qualitäten konnte man sofort erkennen, aber der Teenager aus Birmingham hatte den Mut, sich sofort Zidanes Nummer zu schnappen.

Doch seine Leistungen haben die Kritiker schon zum Schweigen gebracht. Die Blanco-Fans und -Spieler haben ihren neuen Star ins Herz geschlossen. Nach dem Sieg am Samstag machte Bellingham Selfies mit Polizisten, verhalf dem Verein seit seiner Unterschrift zu vier Millionen neuen Followern in den sozialen Medien und Vinécius kopiert bereits Bellinghams Tor-Jubel. Eine Quelle aus Madrid sagte The Athletic: "Er wird nicht besser, weil er bei Real ist: Real wird besser, weil er da ist."

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Jude Bellingham: Aller Anfang ist leicht

Das Weiterentwickeln, sowohl von Real als auch von Bellingham, wird wahrscheinlich weitergehen.

Bellingham sagte, er spüre bereits einen Unterschied und erklärte nach dem Spiel am Samstag, er sei "als Spieler zehnmal besser als letzte Saison" - also als beim BVB. Da er an der Seite von Luka Modrić und Toni Kroos spielt und von Vinícius und Rodrygo unterstützt wird, sollten seine Leistungen - und die damit verbundenen Torbeteiligungen - nur in eine Richtung gehen: nach oben.

Dennoch ist der Zeitdruck auch für ihn groß. Modrić und Kroos stehen kurz vor dem Karriere-Ende, während Ancelotti am Ende der Saison den Job in der brasilianischen Nationalmannschaft übernehmen wird. Bellingham hat die Skeptiker überzeugt. Er hat nicht nur angedeutet, dass er der neue Star werden kann, sondern es schon gezeigt. Aber in Madrid kann man sich deshalb nicht schon zurücklehnen. Individuelle Leistungen werden gerne gewürdigt, aber was zählt, sind nur Siege.

In einem Jahr könnte sich zudem eine neue Situation ergeben - wenn Kylian Mbappé wirklich kommen sollte. Wahrscheinlich wird er Bellingham dann in eine tiefere Rolle zurückdrängen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass Rodrygo dann aus der Startelf fliegt.

Der dann neue, noch nicht bekannte Trainer, könnte die aktuellen taktischen Vorgaben nach nur zwölf Monaten wieder komplett ändern. Bellingham hat also nur bis zum Ende der Saison Zeit, zu beweisen, dass es sich lohnt, an dem System mit ihm auf der Zehn festzuhalten.

Selbst wenn ihm das nicht gelingt oder ein neuer Trainer einfach alles ändert, hat Bellingham noch mindestens sechs Jahre in Madrid vor sich. Er wird wahrscheinlich über mehrere Spielzeiten hinweg ein fester Bestandteil der Blancos sein, eine Konstante, wenn Talente nachrücken und sich die Routiniers verabschieden. Und als Eckpfeiler wird er mit ausgebreiteten Armen dastehen, seine Tore feiern und sich vielleicht selbst ein Denkmal in Madrid bauen.

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