Das Jahr der Außenseiter: Stuttgart, Girona und die anderen Underdogs, die von der Champions League träumen dürfen

Von Matt O'Connor-Simpson / Daniel Buse
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Mit dem neuen Format könnten bald spannende Außenseiter-Teams in der CL spielen - wenn sie im Saison-Endspurt nicht einbrechen.

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Das neue Format der Champions League, in dem Europas wichtigster Klub-Wettbewerb ab der kommenden Saison ausgetragen wird, hat viel Kritik hervorgerufen. Einer der am häufigsten genannten Punkte war und ist, dass die Königsklasse mit dem neuen Format noch weniger Überraschungen liefern wird. Denn die reichen und etablierten Top-Mannschaften werden (weiterhin) dominieren. Und damit liegen die Kritiker wahrscheinlich nicht falsch.

Das neue sogenannte "Schweizer Modell" wird in der Tat den Top-Teams eine größere Absicherung bieten: Selbst wenn sie in der nächsten Saison in ihren acht Gruppenspielen mehrmals patzen, können sie immer noch die K.-o.-Runde erreichen, wenn sie nur zwölf der 36 Teams in der Gesamtwertung hinter sich lassen und über eine Playoff-Runde weiterkommen.

Allerdings werden die Großen im neuen Format nicht alles unter sich ausmachen können. Die Pläne, mehrere CL-Startplätze auf Basis der früheren Leistungen in diesem Wettbewerb zu vergeben, wurden nach heftigen Protesten verworfen. Anders als in der geplanten Super League muss sich jeder Verein seine Teilnahme jedes Jahr neu verdienen - auch wenn die Vorgaben für die Qualifikation eigentlich nicht gerade streng und damit alles andere als perfekt sind.

Für viele Spitzenklubs läuft es in dieser Saison aber nicht gut. Denn in ganz Europa ist es die Spielzeit der Außenseiter, die sich aller Voraussicht nach gegen die etablierte Konkurrenz mit großem Namen durchsetzen. Hier kommen die Underdog-Teams, die gute Karten haben, in der kommenden Saison überraschenderweise in der Champions League mitmischen zu dürfen.

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Aston Villa

Es mag seltsam aussehen, wenn man einen Ex-Europapokalsieger zu den kleineren Vereinen Europas zählt, aber Villa hat nach dem einzigen Triumph 1982 nicht mehr am wichtigsten Klub-Wettbewerb Europas teilgenommen.

Vor allem Trainer Unai Emery ist es zu verdanken, dass es in den West Midlands nun wieder hervorragend läuft. Seit seinem Amtsantritt im Oktober 2022 hat er das von seinem Vorgänger Steven Gerrard hinterlassene Chaos aufgeräumt und die Villans in der Tabelle nach oben katapultiert.

Nachdem sie sich in der letzten Saison für die Europa Conference League qualifizieren konnten, läuft es für Emerys Team in dieser Saison noch besser. Ein Platz unter den besten Fünf der Premier League ist zum Greifen nah. Natürlich wurde viel in die Mannschaft investiert, aber wenn man bedenkt, dass Villa auf dem Weg zu einem Champions-League-Platz wohl Chelsea und Manchester United hinter sich lässt, verdienen die Leistungen der Mannschaft den größten Respekt.

Aktueller Tabellenplatz: 4

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Bologna

Es gibt einen Grund, warum Bolognas Trainer Thiago Motta schon mit einigen der Top-Klubs Europas in Verbindung gebracht wird. In dieser Saison hat der Ex-Jugendtrainer von Paris Saint-Germain - der einst mit seinen revolutionären Plänen für eine 1-7-2-Aufstellung für Aufsehen sorgte - in der Serie A viel mehr erreicht als erwartet.

Bologna liegt derzeit auf dem vierten und damit letzten Champions-League-Qualifikationsplatz, hat aber einen großen Vorsprung auf die fünftplatzierte Roma. Und selbst wenn die Giallorossi sie noch einholen sollten, dürfte der fünfte Platz aufgrund der neuen Qualifikationsregeln in dieser Saison für die Königsklasse reichen. Eine hervorragende Nachricht für Bologna, das erst ein einziges Mal im wichtigsten Europapokal gespielt hat - und zwar 1964.

Ob Motta das Team auch in der CL betreuen wird, bleibt abzuwarten. Seit er die Mannschaft übernommen hat, ist Bologna zu einem der taktisch interessantesten Teams in Europa geworden. Zu den Starspielern gehören der Ex-Stürmer von Bayern München, Joshua Zirkzee, und der schottische Mittelfeldspieler Lewis Ferguson, der 2022 überraschend von Aberdeen in die Serie A wechselte.

Aktueller Tabellenplatz: 4

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Girona

Über Gironas Traum-Saison in LaLiga ist schon viel geschrieben worden. Für die einen war der Höhenflug inklusive Titelambitionen die Bestätigung, dass der Fußball immer unberechenbar bleiben wird. Für andere wiederum wurde Girona einfach nur als Spielball der City Football Group (CFG) gesehen, der dazu benutzt wurde, um die Dominanz der City-Vereine im Weltfußball zu untermauern.

Wie bei so vielen Dingen im Leben liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Es stimmt zwar, dass die Girona-Story nicht ohne die Unterstützung der CFG geschrieben worden wäre - wobei die komplizierten Konstrukte, welcher Spieler, wie beispielsweise Savio, nun wem gehört, ein modernes Fußball-Phänomen sind -, aber die Geschichte hat auch viele Aspekte, die Fußball-Romantikern gefallen dürften.

Nach seinem bitteren Abgang bei Ajax hat Daley Blind bei Girona ganz neu angefangen. Und Torjäger Artem Dovbyk stellt sein Talent unter Beweis, nachdem er seinen ukrainischen Klub Dnipro verlassen musste. Der Meistertitel ist zwar nicht mehr in Reichweite, da Real Madrid weit enteilt ist. Aber man darf jetzt schon gespannt sein, wie sich Girona in der nächsten Saison in Europa schlagen wird.

Aktueller Tabellenplatz: 3

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Stuttgart

Serhou Guirassy sorgte europaweit für Schlagzeilen, als er in den ersten fünf Bundesliga-Spielen zehn Tore erzielte. Aber nur wenige Experten hatten erwartet, dass die Schwaben diesen persönlichen Traumstart nutzen würden, um als Team Richtung Champions League zu stürmen. Im Schlussspurt der Bundesligasaison ist die Mannschaft von Trainer Sebastian Hoeneß jedoch auf dem besten Weg, einen Platz unter den ersten Vier perfekt zu machen.

Die Stuttgarter, die 1989 das UEFA-Pokal-Finale erreichten und 2007 Meister wurden, kennen zwar die große europäische Bühne, doch in letzter Zeit lief es für sie nicht rund: Noch in der letzten Saison mussten sie in die Relegation - und setzten sich mit einem Gesamtergebnis von 6:1 nach Hin- und Rückspiel gegen den HSV durch. Seitdem geht es für den VfB auf dem Platz deutlich aufwärts.

Auch wenn Guirassy verletzungsbedingt und wegen des Einsatzes beim Afrika-Cup einige Spiele verpasste, blieb Stuttgart unter den Top vier. Deniz Undav und Chris Führich glänzten ebenfalls für die Stuttgarter und verdienten sich ihr Debüt im DFB-Team. Wenn der Klub Erfolgstrainer Sebastian Hoeneß halten kann, der angeblich auch von Bayern München umworben wurde, spricht viel dafür, dass der VfB auch in der nächsten Saison in der Champions League für positive Schlagzeilen sorgt.

Aktueller Tabellenplatz: 3

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Brest

Brest ist wahrscheinlich das Team in Europa, das die Erwartungen vor der Saison am deutlichsten übertroffen hat. Denn aktuell sieht es so aus, als werde der Klub zusammen mit Paris Saint-Germain Frankreichs Vertreter in der Champions League sein. Auch wenn Brest im zweitkleinsten Stadion der Ligue 1 spielt (15.220 Plätze) und nur ein winziges Gehaltsbudget zur Verfügung hat, gelang der sensationelle Sprung auf den zweiten Tabellenplatz der Ligue 1.

Die Position im Klassement ist vor allem einer unglaublichen Serie zu verdanken, die bereits im November begann: Drei Niederlagen in Folge gegen die großen französischen Teams Lille, PSG und Monaco deuteten nach einem vielversprechenden Saison-Start darauf hin, dass Brest - wie erwartet - die Luft ausgeht.

Doch seither ist die Mannschaft nicht mehr zu stoppen - und hat nur eines der folgenden 16 Spiele verloren. Während dieser Serie schaffte Brest ein Comeback gegen PSG sowie ein überzeugendes Unentschieden gegen das formstarke Team aus Nizza.

Es gibt jedoch ein Problem, das am Horizont auftaucht: Das Stadion Francis-Le Blé, in dem Brest seine Heimspiele austrägt, ist mehr als 100 Jahre alt. Es hat derzeit keine UEFA-Zulassung für die Austragung von Spielen in der Champions League, da der Medienbereich zu klein ist und das Flutlicht nicht ausreicht. Sollte der Verein wie prognostiziert die Königsklasse erreichen, muss er für seine Europapokal-Spiele wohl umziehen.

Aktueller Tabellenplatz: 2

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Union SG

Noch vor einigen Jahren hätten selbst die größten Fußballfans wohl Schwierigkeiten gehabt, Royal Union Saint-Gilloise auf einer Landkarte zu finden. Vor rund 100 Jahren war der Verein ein Aushängeschild des belgischen Fußballs, doch im Laufe der Jahre geriet er immer mehr in Vergessenheit.

Doch seitdem der Brighton-Boss Tony Bloom im Mai 2018 eingestiegen ist, ist der Verein wieder zurück. Die unglaubliche Geschwindigkeit des Höhenflugs zeigt sich am deutlichsten an Verteidiger Christian Burgess, der 2020 von Portsmouth aus der dritten englischen Liga kam. Der Innenverteidiger erlebte seitdem mit dem Team den Aufstieg in die höchste belgische Liga, spielte jetzt schon in der Europa Conference League und darf sich nun bald wohl mit den besten Teams des Kontinents messen - vorausgesetzt, sein Team kann sich in der Jupiler Pro League an der Spitze halten, was den automatischen Einzug in die Gruppenphase der Champions League sichern würde.

Der unglaubliche Erfolg des Klubs ist vor allem auf die gute Zusammenarbeit mit Brighton zurückzuführen. Sowohl Kaoru Mitoma als auch Simon Adingra waren von den Seagulls ausgeliehen worden, bevor sie in die Premier League zurückkehrten.

Aber auch Union SG hat einige Diamanten entdeckt: Victor Boniface von Bayer Leverkusen und Deniz Undav - aktuell von Brighton an Stuttgart ausgeliehen - entwickelten sich in Belgien hervorragend und wechselten dann für viel Geld. Im Union-Kader befinden sich zudem weitere Talente, die ebenfalls eine glänzende Zukunft vor sich haben.

Aktueller Tabellenplatz: 1

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Weitere Kandidaten

Auch Athletic Club sorgt in dieser Saison in LaLiga für Furore. Der Klub aus dem Baskenland hat in seiner Geschichte schon zweimal ein Europapokal-Finale erreicht, aber in der Champions League war er seit 1992 nur zweimal in der Gruppenphase mit dabei.

Das könnte sich nun ändern, denn Athletic ist nur wenige Punkte von den Top vier entfernt. Das Restprogramm ist nicht allzu schwer, aber vieles wird vom direkten Duell mit dem Tabellenvierten Atlético Madrid Ende des Monats abhängen.

Von den Mannschaften, die nach einer längeren Pause in den Wettbewerb zurückkehren könnten, ist Sparta Prag derzeit auf dem besten Weg zum zweiten Titel in zehn Jahren in Tschechien. Wenn es Sparta auf dem Champions-Weg erfolgreich durch die Quali schafft, wäre es die erste Teilnahme an der Gruppenphase seit 2006 für das Team aus Prag.

Bodö/Glimt aus Norwegen ist nach dem Gewinn des Meistertitels in der Eliteserien ebenfalls nur noch wenige Quali-Siege von der ersten Teilnahme an der CL-Gruppenphase entfernt. Und die Dänen von Bröndby, die es seit 1999 nicht mehr in die Gruppenphase geschafft haben, dürfen höchstwahrscheinlich auch in der Qualifikation antreten.