Granit Xhaka bei Bayer Leverkusen: Haben der FC Bayern und Borussia Dortmund im Sommer geschlafen?

Von Constantin Eckner
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Am Freitagabend steigt das erste Top-Spiel der Bundesliga-Saison mit dem Duell zwischen Bayern München und Bayer Leverkusen. Die Leverkusener sind so etwas wie die Mannschaft der frühen Stunde und das nicht nur dank Cheftrainer Xabi Alonso, sondern auch wegen Neuzugängen wie Granit Xhaka. Wäre der Schweizer nicht auch ein Kandidat für die Bayern gewesen?

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Als Granit Xhaka nach der Saison 2015/16 Borussia Mönchengladbach für 45 Millionen Euro in Richtung Arsenal verließ, fühlte sich der Abgang für einige Fohlen-Fans bestimmt bittersüß an. Xhaka war über mehrere Jahre wichtiger Bestandteil des Teams nach der ersten Erfolgssaison unter Lucien Favre. Er war - natürlich auch seinem Alter geschuldet - nie frei von Fehlern und Aussetzern, hatte aber sein Potenzial häufig genug zur Schau gestellt, sodass Gladbach die genannte Ablösesumme aufrufen konnte.

Bei Arsenal spielte sich Xhaka ab dem Herbst 2016 in die Stammelf. An seiner Seite hatte er wie zeitweilig zuvor mit Christoph Kramer oftmals einen laufstarken und zwischen den Strafräumen präsenten Partner im zentralen Mittelfeld, der hier und da Lücken hinter oder neben Xhaka schloss, während sich der Schweizer darauf konzentrierte, das Spiel von Arsenal aus der Mitte anzutreiben.

Besonders in seinen ersten beiden Spielzeiten in Diensten der Nordlondoner war Xhaka regelmäßig an mehreren Torchancen pro Spiel direkt beteiligt, zeigte also nachweislich offensive Präsenz. Auch wenn der gebürtige Baseler damals nicht unbedingt als Edel-Passgeber bekannt war, konnte er gerade gegen etwas unkoordinierte Defensivformationen gut in die vorhandenen Lücken stoßen, um Mesut Özil und die anderen Offensivkräfte zu unterstützen. Das ging zuweilen - wie auch schon teilweise bei Gladbach - zu Lasten der defensiven Absicherung. Wurde der Ball während eines Vorstoßes von Xhaka vom Gegner erobert, klaffte wiederum eine Lücke vor der damals durchschnittlich besetzen Abwehrlinie.

Seinem Status im Team schadete dieses kleine Manko zunächst nicht. In der letzten Saison von Cheftrainer Arsène Wenger, der Spielzeit 2017/18, absolvierte Xhaka alle 38 Premier-League-Partien und stand über 3.200 Minuten auf dem Rasen. Unter der Ägide von Wenger-Nachfolger Unai Emery änderte sich allmählich die Rolle von Xhaka, der bis zu einer verbalen Auseinandersetzung mit Fans sogar mehrmals die Kapitänsbinde trug und auf Nebenleute wie Lucas Torreira oder Mattéo Guendouzi zählen durfte (oder musste).

Xhaka selbst schleppte den Ball aus der Zentrale seltener nach vorn und war gerade im ersten Jahr von Emery eher ein Ballverteiler - insbesondere als Sechser in einer Rautenformation. Aufgrund der abnehmenden Zahl an Vorstößen war Xhaka auch weniger im Gegenpressing von Arsenal involviert, tat sich aber in manchen Partien als kluger Passunterbrecher hervor. Salopp gesagt war der Schweizer auf bestimmte Aufgaben - die Beteiligung am Spielaufbau, die Raumkontrolle vor der Abwehr sowie die Unterstützung auf der Außenbahn oder in den Halbräumen - konzentriert.

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Granit Xhaka: Unangefochtener Stammspieler mit schwindendem Einfluss

Zugleich ging Arsenal mit zwei achten Plätzen in der Liga in der Anfangszeit mit Mikel Arteta, der im Dezember 2019 von Interimscoach Interimstrainer Freddie Ljungberg übernahm, durch ein sportliches Tal, das natürlich auch Xhaka und seine Leistungen beeinflusste. Er erlebte jedoch ab dem Winter 2021 und nach überstandener Innenbandverletzung einen erneuten Aufschwung, der mit der immer besser greifenden Spielidee Artetas verknüpft war.

In der vergangenen Saison, in der Arsenal erstmals seit langem wieder am Titelgewinn in der Premier League schnuppern durfte, absolvierte Xhaka 36 von 38 möglichen Starts und war folglich aus der Mannschaft von Arteta nicht wegzudenken. Zugleich nahm sein Einfluss auf die Spielgestaltung ab. Im nominellen 4-3-3 war Xhaka eine Art zweiter Achter neben Martin Ödegaard, wobei Xhaka im Ballbesitz mehrheitlich den ballfernen Halbraum besetzte.

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Im zurückliegenden Sommer entschieden sich Arteta und die Clubverantwortlichen dafür, sowohl Declan Rice für die Sechs als auch Kai Havertz fürs offensive Mittelfeld zu verpflichten. Havertz spielte in den ersten Partien an der Seite von Ödegaard, wenn auch noch nicht vollends überzeugend. Für Xhaka schien derweil kein Platz mehr in der Startelf von Arteta. Diese Entwicklung im Kader und ein Jahr Restlaufzeit in seinem Vertrag ermöglichten den Wechsel zu Bayer Leverkusen.

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Granit Xhaka: Nicht die Sechs, die Thomas Tuchel wollte

Nun konnte Xhaka in den ersten Partien im Trikot der Werkself bekanntlich einen starken Eindruck hinterlassen. Die in England zusätzlich gewonnene Ruhe am Ball besonders gegen passive Defensivreihen, sein positionelles Verständnis und die punktuell gründliche Vororientierung vor Ballweiterleitungen machen ihn fast automatisch zum perfekten Rückraumspielmacher in Leverkusens Ballbesitzsystem. Veranschaulicht wurde das etwa im Vorfeld des Führungstreffers gegen seinen alten Verein Borussia Mönchengladbach am zweiten Spieltag.

Die auffälligen Leistungen Xhakas werfen durchaus die Frage auf, ob er nicht auch eine Option für den FC Bayern oder Borussia Dortmund gewesen wäre, da die beiden Clubs im zentralen Mittelfeld mit Baustellen zu kämpfen haben. Besonders die Diskussion in München rund um die "Holding Six" und Thomas Tuchels Wunsch nach einem Ankerspieler auf der Sechs war selbst medial ein großes Thema.

Allerdings hätte Tuchel unter Umständen mit Xhaka ähnliche Probleme wie mit manch anderen seiner aktuellen Mittelfeldspieler, denn der Schweizer ist kein klassisch "positionshaltender Sechser", sondern wie aus seinen Jahren bei Arsenal ersichtlich ein Gestalter. Bei Leverkusen hat Xhaka in den ersten Partien davon profitiert, dass er beim Aufrücken im Ballbesitz auf die mannschaftliche Kompaktheit sowie die Absicherung der Dreierkette zählen konnte und nicht ständig nach hinten denken musste. Allen voran Edmond Tapsoba als halblinker Innenverteidiger sollte in dieser Hinsicht noch Goldwert werden.

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Natürlich stach bei den drei Siegen von Bayer die große Präsenz von Xhaka hervor, der allein im mittleren Spielfelddrittel pro Partie rund 75mal den Ball berührte. Das ist eine extrem hohe Zahl im Vergleich zu den Vorjahren bei Arsenal, als der Schnitt bei rund 33 lag. Womöglich sagt es auch etwas über die Bundesliga aus, dass der zuletzt eher mitlaufende Xhaka nun solch einen Impact entwickeln kann. In jedem Fall wäre er beim FC Bayern keine 1A-Lösung für die von Cheftrainer Tuchel identifizierten Probleme in der Mittelfeldzentrale.

Der BVB ist noch ungeschlagen.
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Dortmunds Probleme sind tiefgreifender

Anders sieht das womöglich bei Borussia Dortmund aus. Das antreibende Element in der Mitte soll für den BVB eigentlich Neuzugang Marcel Sabitzer sein, der sich jedoch im Passspiel eher zurückhält, lieber einmal mehr querschiebt oder sich nach ersten Raumgewinnen erst als Anspielstation anbietet. Xhaka traut sich momentan im Spielaufbau - selbstverständlich im Bayer-Gefüge und mit der Rückendeckung von Alonso - mehr zu. Eine goldene Lösung für Dortmunds Schwierigkeiten in der Spielentwicklung von hinten heraus wäre der 30-Jährige ebenso nicht. Dafür sind die Schwachstellen ohnehin zu einem gewissen Grad vor allem im Spielsystem von Edin Terzic zu finden.

So gesehen war der Wechsel von Xhaka nach Leverkusen für alle Parteien wohl die beste Lösung. Arsenal hat sich mit großen Investitionen für ein mögliches Titelrennen neu aufgestellt. Leverkusen hat nach Jahren endlich einen dominanten Spieler fürs zentrale Mittelfeld geholt. Und Xhaka kommt nach seinem siebenjährigen Aufenthalt in England nun wieder in der Bundesliga zur Geltung. Vielleicht auch am Freitagabend gegen den FC Bayern.

Bundesliga: Die aktuelle Tabelle

PlatzTeamSp.ToreDiffPkt.
1.Bayer Leverkusen311:389
2.Bayern München39:279
3.Stuttgart311:566
4.RB Leipzig310:466
5.Union Berlin38:536
6.Hoffenheim37:526
7.Wolfsburg35:416
8.Freiburg33:6-36
9.Borussia Dortmund34:315
10.Eintracht Frankfurt33:215
11.Werder Bremen34:5-13
12.Augsburg37:9-22
13.Bochum33:8-52
14.Köln32:4-21
15.Heidenheim34:7-31
16.Borussia M'gladbach35:9-41
17.Mainz 0532:9-71
18.Darmstadt 9832:10-80

 

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