Bitter: "Ich kann nichts anderes"

Von Interview: Florian Regelmann
Torwart-Star Johannes "Jogi" Bitter hat 142 Länderspiele für Deutschland absolviert
© Imago

Johannes Bitter spielt nicht mehr für die deutsche Handball-Nationalmannschaft. Die Ankündigung des Torwarts vom HSV Hamburg überraschte nach der WM die Handball-Szene. Im SPOX-Interview erklärt der 28-Jährige seine Beweggründe und schließt ein Comeback nicht aus. Weitere Themen: Die Faszination des Torwart-Jobs und die Titelambitionen des HSV.

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SPOX: Sie haben mit der Bekanntgabe, dass Sie eine Auszeit von der Nationalmannschaft nehmen, die deutsche Handball-Szene überrascht. Wie ist diese Entscheidung bei Ihnen gereift?

Johannes Bitter: Zuerst möchte ich einmal sagen, dass grundsätzlich niemand das Recht hat, meinen Entschluss in irgendeiner Art und Weise zu verurteilen. Es ist meine persönliche Entscheidung. Ich war neun Jahre Nationalspieler und habe jede Menge Zeit dafür investiert. Nur ist mir in den letzten Jahren nach der Geburt meiner Kinder (Johannes Bitter ist Vater zweier Söhne, Anm. d. Red.) bewusst geworden, dass ich ihnen mehr Zeit widmen will. Ich bin mit dem HSV schon sehr viel unterwegs, was ich nicht ändern kann und was ich auch nicht ändern will. Ich will ja erfolgreich Handball spielen. Ich musste einen Kompromiss finden und es war jetzt an der Zeit, ein bisschen kürzer zu treten. In seine Kinder zu investieren ist doch eine tolle Sache.

SPOX: Mit Sicherheit. Um was geht es Ihnen dabei genau? Haben Sie Angst, etwas zu verpassen?

Bitter: Das spielt natürlich auch mit rein. Ich will ein richtig gutes Verhältnis zu meinen Kindern aufbauen. Es wäre nicht schön, wenn ich über viele Jahre zu Hause nicht stattfinden würde und nicht sehen würde, wie meine Kinder aufwachsen. Dann würde ich langfristig nicht so einen engen Draht zu ihnen aufbauen können. Das würde mir später sehr fehlen.

SPOX: Wie hat Bundestrainer Heiner Brand auf Ihre Entscheidung reagiert?

Bitter: Ich hatte ein sehr harmonisches Gespräch mit dem Bundestrainer und er hat großes Verständnis gezeigt. Er ist ja auch ein Familienmensch und kann meine Beweggründe sehr gut nachvollziehen.

SPOX: Was sagen Sie denjenigen, die Ihre Entscheidung nicht verstehen?

Bitter: Ich habe, was mich sehr gefreut hat, viel Zuspruch zu dieser Entscheidung erhalten, aber leider auch einen schwachsinnigen Artikel lesen müssen. Meine Entscheidung hatte absolut nichts mit der WM zu tun oder damit, wie erfolgreich wir mit der Nationalmannschaft im Moment sind. Ich sehe große Chancen, dass wir in den nächsten Jahren etwas erreichen können. Klar kann man nicht sagen, dass wir in zwei Jahren Weltmeister werden oder ähnliches, aber grundsätzlich ist das Potenzial riesengroß. Es müssen sich ein paar Dinge ändern, dann klappt es auch wieder. Meine Entscheidung ist nicht nach der WM erst gereift, es war ein Prozess, an dessen Ende ich festgestellt habe, dass ich meine Zeit anders nutzen will.

SPOX: Ungewöhnlich ist Ihr Schritt aber schon. Sie sind schließlich erst 28 Jahre alt.

Bitter: Es ist keine Frage des Alters. Vielleicht ist mein Schritt ungewöhnlich, das mag sein. Dass jemand mit 28 eine Auszeit erklärt, gab es bis jetzt noch nicht so wahnsinnig oft. Aber noch mal: Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Ich bin mir auch der Konsequenzen bewusst, ich gehöre jetzt erst mal nicht mehr zum Kader.

SPOX: Gibt es einen Zeitpunkt, an dem Sie sich ein Comeback vorstellen könnten?

Bitter: Ich möchte mich selbst nicht unter Druck setzen, aber wer weiß: Vielleicht ändert sich die Situation noch einmal. Wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus sind und ich meine Leistung dann immer noch zeige - das ist sowieso die Grundvoraussetzung, wenn ich wieder dabei sein möchte -, dann bin ich auch gerne wieder bereit zu spielen. Warum nicht?

SPOX: Ist Ihre Entscheidung auch ein Ausdruck dessen, dass Handball zwar ein großer Teil, aber eben nicht alles in Ihrem Leben ist?

Bitter: Der Handball ist 15 oder 20 Jahre lang mein Leben, aber danach kommt ja noch eine Menge. Die Auszeit ist vielleicht auch eine gute Möglichkeit, etwas für die Karriere nach dem Handball zu tun. Ich habe zum Beispiel das große Ziel, mein Sportmanagement-Studium abzuschließen. Ich will nicht als Abiturient in die Geschichte eingehen. Vielleicht werde ich jetzt die Chance haben, das nebenbei etwas zu forcieren.

SPOX: Haben Sie mit ein bisschen Abstand die WM komplett verarbeiten können?

Bitter: Es ist auch jetzt noch eine gewisse Enttäuschung da, dass wir uns nicht anders präsentiert haben. Wir hatten viele Hochs und Tiefs. Einige gute Spiele, aber auch sehr schlechte. Leider stand am Ende eine enttäuschende Platzierung zu Buche. Warum es so gekommen ist, kann man sicher nicht in kurzen Worten erklären. Das ist eine sehr komplexe Geschichte.

SPOX: Der Bundestrainer hat sich in jedem Fall entschieden, erst mal bis zum Sommer im Amt zu bleiben. Eine gute Entscheidung?

Bitter: Der Bundestrainer hatte ja erwogen aufzuhören und da wäre es doch sehr schwer geworden, in der Kürze der Zeit einen adäquaten Ersatz zu finden. So hat man Zeit gewonnen und kann sich in Ruhe Gedanken über einen Nachfolger machen. Und vielleicht fasst er ja über eine erfolgreiche EM-Qualifikation auch neuen Mut und bleibt über den Sommer hinaus. Das kann ich aber nicht beurteilen.

SPOX: Dadurch, dass Sie nicht mehr zur Nationalmannschaft müssen, können Sie sich voll und ganz auf den HSV konzentrieren. Zuletzt gab es einen Punktverlust in Lübbecke. Wie sehen Sie die Aussichten auf den ersehnten Meistertitel?

Bitter: Es hat sich nichts großartig verändert. Wir haben noch vier Punkte Vorsprung auf Kiel. Wichtig ist für uns, dass wir jetzt zwei Wochen haben, in denen wir regenerieren und unsere Wehwehchen auskurieren können. Für mich persönlich sind es zwei tolle Wochen, die ich richtig genießen und voll in meinen Körper investieren kann, anstatt in der Weltgeschichte herumzureisen. Und danach gehen wir hoffentlich gestärkt in die Endphase der Saison.

SPOX: Ist der HSV in dieser Saison den entscheidenden Schritt weiter als im letzten Jahr?

Bitter: Grundsätzlich sind wir sicher noch ein bisschen stabiler geworden und haben an Qualität dazu gewonnen. Aber man muss auch klar sagen, dass die Tabellensituation nicht wirklich aussagekräftig ist. Wir hatten ein leichtes Anfangsprogramm und haben die schweren Auswärtsspiele alle noch vor der Brust. Wir werden sehen, wie wir diese über die Bühne bekommen.

SPOX: Sollte es mit der Meisterschaft klappen, sind die Torwart-Leistungen von Per Sandström und Ihnen sicher ein großer Faktor. Die Torhüter bilden ja in jeder Mannschaft eine Art Team im Team. Wie wichtig ist der Austausch unter den beiden Torleuten?

Bitter: Für mich ist er sehr wichtig, er hat einen hohen Wert. Man hat naturgemäß ganz andere Gesprächsthemen als die Feldspieler. Für mich ist es auch wichtig, wenn man in einer Auszeit jemanden hat, mit dem man nicht über Handball sprechen kann. Dann redet man über irgendeinen Blödsinn, um mal kurz abzuschalten und wieder runterzukommen.

SPOX: Warum sind Sie eigentlich Torwart geworden?

Bitter: (lacht) Ich kann nichts anderes. Ich kann nicht im Feld spielen. Ich bin früh ins Tor gerutscht und dann dort geblieben, weil es gut gelaufen ist. Ich hatte nie den Wunsch, im Feld zu spielen.

SPOX: Das geht vielen Kindern so. Ob es Fußball, Eishockey oder Handball ist: Deutsche lieben die Torwart-Position. Was ist für Sie die besondere Faszination?

Bitter: Du kannst als einzelne Person mit wenigen Aktionen ganz viel beeinflussen, im positiven wie im negativen Sinne. Ich liebe diese Drucksituationen. Andreas Thiel hat es mal sehr treffend gesagt: 'Wer diese Frage stellt, ist selbst noch nie im Tor gestanden und hat einen entscheidenden Siebenmeter oder Tempogegenstoß gehalten.' Man bekommt Emotionen, die man sonst im Leben sehr selten erleben kann. Und jeder Ball, der einen trifft, ist ein pures Glücksgefühl.

SPOX: Würden Sie sagen, dass der Jogi Bitter im Tor ein anderer ist als der im normalen Leben?

Bitter: (lacht) So wie ich privat bin, kann ich nicht im Tor stehen. Dann halte ich ja keinen Ball. Abseits des Feldes bin ich schon eher ruhig, diese ganze Emotionalität entsteht dann einfach, sobald ich auf der Platte stehe. Das ist schon etwas völlig anderes.

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