"Wir hatten zu viel Erfolg"

Von Interview: Florian Regelmann
Handball, Heiner Brand
© Getty

München - THW Kiel vs. Ciudad Real: Für alle Handball-Liebhaber war der große Final-Showdown in der Champions League trotz der unerwarteten Kieler Pleite ein echter Leckerbissen.

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Die besten Spieler aus der ganzen Welt auf einem Spielfeld. Spanier, Franzosen, Kroaten und mit Arpad Sterbik ein überragender spanischer Serbe im Tor.

Nur wenn man wie Heiner Brand seit langen Jahren deutscher Bundestrainer ist, sieht man das Spiel mit gemischten Gefühlen. Deutsche Helden spielten nämlich keine große Rolle.

Im SPOX.com-Interview erklärt Brand, warum er neidisch nach Spanien schaut und spricht über Olympia.

SPOX.com: Herr Brand, eigentlich wollten wir mit Ihnen über die deutsche Dominanz in Europa reden...

Heiner Brand: Mich hat es auch sehr überrascht, dass Kiel sich gegen Ciudad Real nicht durchgesetzt hat. Ich hatte ganz klar auf Kiel gesetzt, für mich ist der THW die stärkere Mannschaft. Aber im Rückspiel konnten sie aus welchen Gründen auch immer ihre Leistung nicht abrufen. Ich habe Ciudad einige Male gesehen in dieser Saison, gegen Gummersbach und Hamburg, und muss sagen, dass das eindeutig ihre stärkste Leistung war in Kiel. Aber eben gegen einen THW, der nicht so aufgetreten ist, wie man das gewohnt ist.

SPOX: Werden die deutschen und spanischen Teams auch in den nächsten Jahren die Titel größtenteils unter sich ausmachen?

Brand: Da wird sich in den nächsten Jahren sicherlich nichts ändern. Es müsste sich zwar mal etwas ändern, weil es nicht gut ist, wenn zwei Länder so dominieren, aber es ist jetzt schon zig Jahre so und wird auch erstmal so bleiben.

SPOX: Warum ist das so?

Brand: Ganz einfach: In Deutschland und Spanien gibt es die beiden stärksten und professionellsten Ligen. Es wäre für den Handball wünschenswert, wenn sich auch in anderen Ländern etwas tun würde und starke Mannschaften hochkommen würden.

SPOX: Hätte die deutsche Nationalmannschaft eine Chance gegen solche Weltauswahlen wie Ciudad Real oder Kiel?

Brand: Eine Chance hat man immer. Man darf nicht vergessen, dass wir mit der Nationalmannschaft bei der WM gegen Frankreich gewonnen haben. Da spielt ein Karabatic, ein Narcisse, ein Fernandez, die Gille-Brüder, ein Omeyer, etwas Besseres gibt es gar nicht und wir haben trotzdem gewonnen.

SPOX: Sehen Sie so ein Highlight wie ein Champions-League-Finale auch mit gemischten Gefühlen? Viele deutsche Spieler sind ja nicht gerade entscheidend beteiligt.

Brand: Das ist bei mir schon seit Jahren der Fall. Die Spanier haben immer ihre Spanier in der Mannschaft. Das ist in Spanien so üblich, dass ihre Nationalspieler in Spitzenmannschaften spielen. Deshalb tut mir das auch immer ein bisschen weh, dass es bei uns nicht der Fall ist.

SPOX: Haben Sie es aufgegeben, dass sich für die Zukunft noch einmal etwas ändert und mehr in den deutschen Nachwuchs investiert wird?

Brand: Von einer Quote will ich gar nicht mehr reden. Das ist abgeschmettert worden. Man kann nur hoffen, dass sich irgendwann die Philosophie ändert und dass man erkennt, welche Verantwortung man für den deutschen Handball hat. Oder vielleicht kommt ja doch noch bei den Fußballern, wie von Sepp Blatter gefordert, die 6+5-Regel und wenn der große Bruder Fußball das hätte, könnte man sich ja im Handball dem auch nicht mehr entziehen.

SPOX: Die Popularität des Handballs hängt sehr von der Nationalmannschaft ab. Wenn es da mal Probleme gibt, ist auch den Klubs nicht geholfen, weil es dem Handball insgesamt schadet.

Brand: Das ist richtig. Das mahne ich seit zwölf Jahren an, aber ich weiß auch, dass wir teilweise etwas kontraproduktiv gearbeitet haben, weil wir so viel Erfolg hatten. Aber das garantiert nicht für die Zukunft und da mache ich mir schon immer große Sorgen. Dass die Bedeutung des Handballs in Deutschland zumindest geschwächt werden könnte. Aber meine Möglichkeiten sind da begrenzt. Ich muss damit leben, so wie es ist.

SPOX: Hat der Handball nach der großartigen WM und dem folgenden Boom ihrer Meinung nach den Durchbruch geschafft?

Brand: Ich denke schon. Aber wenn man den Durchbruch schafft, heißt das nicht, dass man dann aufhören kann. Es gibt gute Fortschritte an der Basis, viele Kinder sind zum Handball gekommen, die Präsenz im Fernsehen ist viel größer geworden, aber man muss dafür kämpfen, dass es so weiter geht und da habe ich den Eindruck, dass manchmal zu kurzfristig gedacht wird.

SPOX: Sie haben in ihren vorläufigen Olympia-Kader auch wieder Christian Schwarzer nominiert. Oder besser gesagt nominieren müssen, weil es wenig Alternativen gibt.

Brand: Christian Schwarzer ist ein spezieller Fall, weil er ein besonderer Typ ist, der außerhalb seiner sportlichen Leistungen viel Positives für die Mannschaft bewirken kann. Aber es ist schon richtig, dass es bei uns sehr eng wird, wenn Leistungsträger ausfallen. Da ist mit Sicherheit dann nicht mehr die internationale Klasse vorhanden, die man von der Nationalmannschaft einfordert.

SPOX: Wie ist der Stand bei Markus Baur? Eigentlich ist er immer noch unverzichtbar.

Brand: Eigentlich schon. Aber er ist natürlich Trainer und wie wir das auf die Reihe bekommen, wissen wir noch nicht. Bis zur EM war er der dominierende Spielmacher und auch das ist eine Position, die wir nicht leicht ersetzen können. Michael Kraus hat eine starke WM gespielt und hat sehr gute Möglichkeiten, aber als Spielgestalter, deswegen ja auch sein kurzfristiges Fernbleiben von der Nationalmannschaft, hat er seine Aufgaben noch nicht so in dem Maße erfüllt.

SPOX: Glauben Sie, dass er ihre Botschaft mit der kurzzeitigen Ausbootung verstanden hat und von ihm einiges zu erwarten sein wird?

Brand: Ich hoffe schon, dass ihm das weitergeholfen hat, wobei man eben sehen muss, dass er in Lemgo viele gute Leistungen gezeigt hat, wenn er im linken Rückraum gespielt hat.

SPOX: 2004 in Athen gewann man Silber, heißt die Marschroute für Peking ganz klar Gold?

Brand: Wir können nicht hinfahren und sagen, dass wir Sechster werden wollen. Hohe Ziele müssen da sein. Aber wir wissen auch, dass alles passen muss. Wir brauchen jeden einzelnen Spieler. Im Moment haben wir einige große Fragezeichen, allen voran Oleg Velyky und Markus Baur. So etwas können wir nicht ohne weiteres verkraften. Wir müssen hoffen, dass alles sehr gut läuft, wir in Topform sind und von weiteren Ausfällen verschont bleiben. Wenn wir dann noch als Einheit auftreten, haben wir gegen Nationen, die individuell besser besetzt sind, eine Chance.

SPOX: Sie gehören zur kürzlich vorgestellten deutsche Hall of Fame. Was bedeutet Ihnen diese Ehre?

Brand: Es bedeutet mir schon einiges. Zum einen für unsere Sportart. Vor ein paar Jahren war es noch nicht denkbar, dass ein Handballer dort auftaucht. Und persönlich ist es auch etwas ganz Besonderes für mich dort zusammen mit Leuten wie Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Rosi Mittermaier, die ich als junger Sportler verehrt habe, aufgenommen worden zu sein.