Genug Platz für Realismus

Diskussionsbedarf bei deutschem Quartett Özil, Müller, Götze und Kroos (v.l.)
© getty

Salvador ist ein Pflaster für Überraschungen. Der klare 4:0-Sieg gegen Portugal war ein Statement der deutschen Nationalmannschaft. Die Partie war aber lange nicht so klar wie das Ergebnis. Die nächsten Spiele werden kein Selbstläufer.

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Spätestens beim Verlesen der Mannschaftsaufstellungen war klar, dass die Charmeoffensive der deutschen Delegation um Oliver Bierhoff nicht ausgereicht hatte, um die Strahlkraft des Weltfußballers zu schlagen. Als die Nummer sieben Portugals angekündigt wurde, brüllte das Stadion.

Es war ja durchaus eine spannende Frage, wie sich die brasilianische Bevölkerung in Salvador verhalten würde beim Duell zwischen Deutschland, das es sich zum Ziel gesetzt hat, als zweites Heim-Team neben Brasilien zu gelten, und Portugal, das aufgrund seiner Geschichte eng mit dem Gastgeber verwoben ist.

Die finale Antwort: mal so, mal so. Aber es zeigte sich, dass 90 Minuten guter Fußball mehr wert sind, als jede am Reißbrett geplante Imagekampagne.

Jubel für Müller, Häme für Ronaldo

Cristiano Ronaldo ist auch in Brasilien ein Star, viele waren gekommen, um seine Künste zu sehen. Am Ende jubelten die Leute aber der deutschen Nummer 13 zu. Thomas Müller hatte mit seinen drei Toren dem Spiel seinen Stempel aufgedrückt. Für Ronaldo gab es am Ende bei seiner Freistoß-Show nur noch Häme.

Die Kontrolle von Ronaldo und seinen Tempoläufen in die Tiefe bei Konteraktionen der Portugiesen war vor dem Spiel als ein Schlüssel zum Erfolg ausgegeben worden im deutschen Lager. Jerome Boateng bekam als Rechtsverteidiger den Hauptanteil der Aufgabe zugeteilt.

Nach vier Minuten hatte Ronaldo schon einmal Fahrt aufgenommen und Hugo Almeida bedient und nach acht Minuten hatte er nach einem Fehler von Philipp Lahm schon einmal gefährlich aufs Tor von Manuel Neuer geschossen.

"Es kann auch schlechter laufen"

Es waren auch diese Szenen, die Mario Götze meinte, als im Anschluss an die Partie sein Fazit so anfing: "Es kann auch schlechter laufen." Aber es lief gut an diesem Nachmittag in der Arena Fonte Nova. Eine "strittige Situation" (Götze) entschied der serbische Schiedsrichter Miloran Mazic zugunsten der Deutschen. Den fälligen Elfmeter verwandelte Müller sicher zur frühen Führung.

Ein Strafstoß, den man geben kann, für Götze war es zumindest "gefühlt ein Elfmeter", nur nach Betrachtung der Zeitlupe sei er sich selbst nicht mehr ganz so sicher gewesen.

Auch den nächsten Grenzfall entschied Mazic pro Deutschland und konsequent nach der Regel. Pepes Kopfnüsschen gegen Thomas Müller ahndete er als Tätlichkeit mit Rot. Die deutschen Spieler waren hinsichtlich der Unterstützung des Innenverteidigers von Real Madrid sehr dankbar.

Schließlich hinterließ die Nachmittagshitze bei den Spielern Eindruck. Bei einer Zwei-Tore-Führung in Überzahl zu agieren, spielte den Deutschen zusätzlich in die Karten. In der zweiten Hälfte konnte das DFB-Team sogar Kräfte sparen für die ebenfalls strapazierenden Spiele gegen Ghana und die USA in Fortaleza und Recife.

Salavador ein Pflaster für Kantersiege

Es spricht für die Bodenhaftung und die schnellen Analysefähigkeiten der deutschen Mannschaft, dass keiner hinterher Luftschlösser malte, sondern sich alle geschlossen an den Schlüsselszenen des Spiels orientierten, die genug Platz für Realismus ließen.

"Wir dürfen uns nicht blenden lassen von diesem Spiel. Wir hatten schon auch unsere Probleme, haben zu große Räume gelassen und müssen besseren Zugriff haben auf den Gegner", sagte Neuer.

"Das Spiel ist perfekt gelaufen, aber es war kein perfektes Spiel", sagte Müller, der als siebter Spieler in der Geschichte des DFB einen Dreierpack in einem WM-Spiel erzielten. Zuletzt war das Miroslav Klose bei der WM 2002 gegen Saudi-Arabien gelungen.

Nun war Portugal ein anderes Kaliber als die bemitleidenswerten Saudis vor zwölf Jahren. Und so gesehen war der Sieg der DFB-Elf über den Halbfinalisten der EM 2012 das zweite große Ausrufezeichen dieses Turniers neben dem 5:1 der Niederländer über Spanien - ebenfalls in Salvador übrigens.

Deutschland mit gutem Mix

Die Parallelität der Ereignisse an diesem Ort war verblüffend. In beiden Spielen lief bei der einen Mannschaft fast alles, bei der anderen fast gar nichts zusammen. Trotzdem waren die Gründe für die portugiesische Leistung auch in der Stärke der deutschen Mannschaft zu suchen.

Das DFB-Team hatte sich sehr gut auf die Stärken des Gegners eingestellt und agierte mannschaftlich geschlossen. Kompakt war ein Wort, das beinahe von jedem Spieler und von Bundestrainer Joachim Löw in ihren Analysen gebraucht wurde.

Es herrschte ein guter Mix zwischen offensiven Tempofußball, kontrollierten Ballbesitz und geschlossener Defensivarbeit. Diese Kombination war deutlich zu viel für Portugal an diesem Tag.

Vorsprung in den Details

Es war wie so oft bei einem Turnier, dass Deutschland perfekt vorbereitet wirkte, während der Gegner erst einmal langsam ins Turnier finden wollte. Es sind kleine Details, an denen sich das bemerkbar macht.

Die Deutschen nutzten jede kleinere und größere Unterbrechung für Trinkpausen und Erholung im Schatten. Die ganze Bank war sofort in Alarmbereitschaft und verteilte Getränke. Bei den Portugiesen trotteten zwei, drei Spieler Richtung Coachingzone.

Die Angst vorm zweiten Spiel

Deutschland hat trotz einer teils durchwachsenen und von Verletzungen geprägten Vorbereitung auf den Punkt seine beste Leistung in diesem Jahr abgerufen. Aber ein Turnier wird nicht im ersten Spiel entschieden, es ist wichtig, dieses Niveau dauerhaft zu halten bzw. in den K.o.-Spielen noch einmal zu steigern.

Schon in vier Tagen ist im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana eine ähnliche Leistung gegen einen komplett anders ausgerichteten Gegner gefragt. Die Turnierhistorie zeigt, dass sich Deutschland nach gutem Start gerne mal einen Durchhänger erlaubt. Seit 1990 hat Deutschland nur zwei seiner sechs Spiele am 2. Spieltag gewonnen (1990, 2006).

Auch 2010 startete die Löw-Truppe mit einem 4:0 über Australien, es folgte ein 0:1 gegen Serbien und ein Endspiel am letzten Spieltag gegen Ghana. Und ein Finale gegen die USA und Jürgen Klinsmann würde jeder im deutschen Lager gerne vermeiden.

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