WM

Momente der Perfektion

Arjen Robben war der überragende Mann der Niederländer gegen Spanien
© getty

Die Niederlande setzen zum WM-Auftakt ein Ausrufezeichen. Louis van Gaals Schachzüge gehen auf, Superstar Arjen Robben glänzt. Spanien offenbart erhebliche Mängel, abschreiben sollte man den Titelverteidiger aber nicht.

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Am Ende hatte die Geschichte für Arjen Robben noch einen bereit. Der Star des FC Bayern München hat vor der WM erklärt, die vergebene Chance im WM-Finale 2010 treibe ihn immer noch um.

In der 80. Minute des Auftaktspiels der Niederlande gegen Titelverteidiger Spanien setzte er an der Mittellinie zum Sprint an. Er rannte so schnell, dass Sergio Ramos, der Quälgeist aus dem Champions-League-Halbfinale von Real Madrid, nicht mitkam. Es schien als würde Robben auch gegen den Geist des Finales in Johannesburg antreten.

Er schüttelte Ramos ab, ließ im Strafraum Torhüter Iker Casillas mit einer Pirouette ins Leere hechten und schoss den Ball aus acht Metern ins rechte Eck. 5:1!

Robben macht den Plan perfekt

Im Fußball gibt es keine Wiedergutmachung, Robben hat vor vier Jahren in einem der wichtigsten Spiele seiner Karriere die Chance nicht genutzt, er scheiterte alleine vor Casillas. Spanien wurde Weltmeister und Robben zur tragischen Figur.

In Salvador war Robben der Held des Abends, er machte von ein, zwei leichten Fallern abgesehen wie bei seinem zweiten Treffer zum Endstand fast immer das Richtige. Er war der Mann, der dem Plan seines Trainers den Schuss Würze und Unberechenbarkeit gab. Er machte den Plan perfekt.

Wie im letzten Spiel der Saison beim FC Bayern, im DFB-Pokalfinale gegen Borussia Dortmund, kam Robben nicht über seine rechte Seite, sondern agierte als flexibler Angreifer im Zentrum. Für die Spanier war er aufgrund seines großen Aktionsradius' und seiner Geschwindigkeit nicht dauerhaft zu kontrollieren.

Ein Halbzeit im Rausch

Holland spielte sich in der zweiten Halbzeit in einen Rausch, während Spanien die kollektive Lähmung ergriff.

"Es ist deutlich besser gelaufen, als wir uns das erhofft haben", sagte Bondscoach Louis van Gaal. Niemand konnte damit rechnen, dass Holland fünf Tore gegen Spanien schießt. Auch der selbstbewusste van Gaal nicht.

"Mein Team hat den Plan in Perfektion umgesetzt", sagte van Gaal. "Der Sieg war ein Resultat von Strategie und Engagement meiner Spieler, die unsere Taktik mit Überzeugung umgesetzt haben."

Van Gaals Kniffe wirken

Van Gaals Aussagen können durchaus als Gruß an die Kritiker verstanden werden, die der Elftal zu wenig personelle Klasse und das falsche System unterstellt hatten. Vor allem das gegen die niederländische 4-3-3-Tradition verstoßende 5-3-2 sorgte in der Heimat für heftige Reaktionen. Verrat an der Kultur wurde van Gaal vorgeworfen.

Das Spiel gegen Spanien war auch ein Spiel gegen die Kultur van Gaals. Die Spanier spielen mehr van Gaalschen Ballbesitz-Fußball als es die Holländer können. Schließlich hat van Gaal auch während seiner Zeit beim FC Barcelona den spanischen Fußball und Teile dieser erfolgreichen Generation geprägt.

Als Übervater des modernen Ballbesitzes kennt van Gaal natürlich auch die Anfälligkeiten des Systems. Also ließ er nach Ballgewinn immer wieder schnell in die Spitze spielen, auch wenn das vor allem zu Beginn zu erheblicher Streuung und schnellen Ballverlusten führte. Dazu kamen Diagonalbälle der Außen hinter die Innenverteidiger, so fielen die ersten beiden Tore.

Ruhe bei Oranje

Der Rest waren etwas Glück, dass der Schiedsrichter vor dem 3:1 ein Foul an Casillas nicht pfiff, der Torhüter van Persie noch einen Ball vor die Füße stolperte und ein Robben in überragender Form.

Die nächsten Tage dürften die Holländer in ihrem Quartier in Rio de Janeiro unbehelligt von kritischen Fragen trainieren können. Der hohe Auftaktsieg gegen den Favoriten war ein großer Schritt Richtung Achtelfinale, auch wenn van Gaal betonte, dass weder Trainer noch Spieler in Euphorie verfallen werden.

Heikler Moment für Spanien

Die Spanier müssen dagegen aufpassen, nicht zu tief in der Depression zu versinken. Fünf Gegentore kassierte die Seleccion zuletzt 1963. Bei der Niederlage gegen Schottland waren es damals sogar sechs. Bei der EM 2012 und der WM 2010 zusammen kassierte Spanien insgesamt nur drei Gegentore.

Die Holländer hatten die Chance, noch mehr Treffer zu erzielen, weil Spanien körperlos spielte und die Defensive gegen Ende kaum noch existent war. Die Kompaktheit, das frühe Pressing, der Ballbesitz; alles, was den spanischen Fußball so erfolgreich machte, war gegen Ende des Spiels verschwunden.

"Das ist ein heikler Moment", stellte Trainer Vicente del Bosque fest, der auch nach der höchsten Auftaktniederlage eines Titelverteidigers seit 1958 (Deutschland 3:6 gegen Frankreich) die bekannte Ruhe und Souveränität ausstrahlte, auch wenn die Pleite an ihm genagt hatte.

Ära nicht am Ende

Nicht zu entschuldigen und nicht zu erklären sei das 1:5. Die Niederlage im ersten Spiel der WM 2010 (0:1 gegen die Schweiz) sei nicht mit dieser Demütigung zu vergleichen. Das Ende der spanischen Ära zu propagieren, kommt aber deutlich zu früh.

Zu gut präsentierte sich der Weltmeister in der ersten Hälfte. Die Spanier müssen und werden die richtigen Schlüsse ziehen und können das vermutliche Endspiel gegen Chile im Vertrauen auf die eigenen Stärken angehen.

Silva wie Robben

Dazu passt auch Del Bosques Reaktion, der in seiner Analyse nicht nach Ausreden suchte, aber den Schlüsselmoment des Spiels traf. Das verschenkte zweite Tor.

Nach einem zauberhaften Pass von Andres Iniesta vergab David Silva frei vor Torhüter Jasper Cillessen mit einem etwas lässigen Lupfer die Chance zum 2:0. Im Gegenzug traf van Persie zum 1:1. "Nach der Pause hat sich dann alles Positive ins Gegenteil gekehrt", sagte Del Bosque.

Silvas Fehlschuss war nicht die entscheidende Szene in einem Finale, aber es dürfte der Moment sein, der Silva und Spanien zumindest den Rest der Vorrunde verfolgt.

Spanien - Niederlande: Die Statistik zum Spiel