Teber: "Ich habe den Fußball gehasst"

Von Interview: Haruka Gruber
Selim Teber bei seiner Verabschiediung von den Fans der TSG 1899 Hoffenheim
© Getty

Der Absturz als Supertalent, der (Alb-)Traum mit Hoffenheim, der Wandel zum Leader: Selim Teber über seine lange Reise zu sich selbst, späte Reue, Ralf Rangnicks Fehler und das Schicksal seines letzten Vereins Eintracht Frankfurt.

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SPOX: Herr Teber, bis zum Sommer standen Sie in Frankfurt unter Vertrag. Nach vier Niederlagen aus sieben Spielen sieht es jedoch erneut nach einer Saison des Mittelmaßes für Ihren ehemaligen Verein aus. War die Ankündigung von Trainer Michael Skibbe, die 50-Punkte-Marke knacken zu wollen, ein Fehler?

Selim Teber: Nein, denn die Mannschaft verfügt über Qualität, und es war richtig, dies auch öffentlich zu unterstreichen. In Frankfurt gibt es das Grundproblem, dass immer alles klein geredet und sich mit Mittelmaß zufrieden gegeben wird. Dabei verfügt die Eintracht mit dem Stadion, den Fans und der Stadt im Rücken über ein riesiges Potenzial. Viel zu schade, um jedes Jahr glücklich zu sein, nicht abzusteigen. Man muss doch nur sehen, was Mainz in den letzten Jahren alles auf die Beine gestellt hat, obwohl die Voraussetzungen wesentlich schlechter sind.

SPOX: Ist Skibbe weiterhin der richtige Coach für Frankfurt?

Teber: Da gibt es keine Zweifel. Ich kenne Skibbe seit vielen Jahren - noch von seiner Zeit beim DFB -, und es gibt keinen Trainer, der fußballerisch so kompetent ist und sich gleichzeitig zwischenmenschlich total korrekt verhält. Er ist einfach ein richtig guter Fußball-Lehrer. Daher gehe ich davon aus, dass sich der Erfolg bald einstellt.

SPOX: Warum scheitert Skibbe bisher daran, Caio besser zu integrieren? Auch in seiner dritten Saison wirkt der teuerste Transfer der Eintracht-Geschichte wie ein Fremdkörper.

Teber: Die Schuld würde ich nicht beim Trainer, sondern beim Spieler suchen. Caio bringt alles mit, um ein richtig guter Fußballer zu werden. Aber er muss verstehen, dass er sich schnellstmöglich an sein Umfeld zu gewöhnen hat. Er spricht immer noch kein deutsch, dabei läuft alles nur über Kommunikation. Er versteht nicht einmal, wenn man ihm im Spiel zuruft: "Achtung, Hintermann!" Ohne solche Hilfestellungen von den Kollegen ist jeder Fußballer aufgeschmissen.

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SPOX: Sie haben zuvor in Hoffenheim zwei Jahre mit Carlos Eduardo in einer Mannschaft gestanden. Auch wenn Eduardo phasenweise überzeugt hat, konnte er nicht ganz die Erwartungen erfüllen. Warum?

Teber: Für einen jungen Brasilianer gibt es nur zwei Möglichkeiten, um mit dem Wechsel aus der Heimat in ein fremdes Land umzugehen. Entweder ziehst du dich vollkommen zurück, so wie Caio, der nach dem Training sofort nach Hause fährt und Gespräche aus dem Weg geht. Oder du machst es wie Carlos und bleibst, wie du bist. In seinem Fall: locker und offen.

SPOX: Am Ende hinterließ er einen anderen Eindruck.

Teber: Ich weiß, dass er nicht mehr so glücklich war und Heimweh hatte. Das hat ihn gebremst. Wenn er richtig glücklich gewesen wäre, hätte er in jedem Spiel mindestens zehn Prozent mehr Leistung bringen können.

SPOX: Demnach war es richtig, dass ihn Hoffenheim für 20 Millionen Euro an Kasan verkauft hat?

Teber: Nein. 20 Millionen Euro sind eine Menge, aber ich glaube, dass die meisten Menschen in Deutschland gar nicht wissen, wie gut Carlos wirklich ist. Für mich gehört er in die Kategorie absolute Weltklasse. Er ist echt brutal. Caio mag ein guter Fußballer sein, aber zwischen ihm und Carlos liegen Welten. In meinen zehn Jahrern als Profi habe ich selten einen so talentierten Spieler gesehen. Wenn Hoffenheim irgendwann ganz oben mitspielen will, braucht der Verein solche Spieler. Deswegen war der Verkauf ein Fehler.

SPOX: Ein Grund für Eduardos Verkauf war das am Ende angespannte Verhältnis zu Trainer Ralf Rangnick, dem die Undiszipliniertheiten des Brasilianers nervten. Verstehen Sie Rangnick?

Teber: Das Schwierige bei Rangnick: Wenn er ein Urteil über einen Menschen gefällt hat, ist es extrem schwer, ihn von etwas anderem zu überzeugen. Wenn er etwas sagt, glaubt er aus dem Innersten heraus, dass es richtig ist. Es gibt Spieler, die ihm deswegen nach dem Mund reden, obwohl sie anderer Meinung sind. Und es gibt Spieler, die sich nicht alles gefallen lassen.

SPOX: Sie gehörten wohl zur zweiten Kategorie, weswegen es immer wieder Reibereien zwischen Ihnen und Rangnick gab. Warum waren Sie dennoch sein Kapitän?

Teber: Wenn etwas falsch läuft, spreche ich das klipp und klar an. In erfolgreichen Zeiten kam das nicht unbedingt gut an. Aber wenn es nicht gut lief, kam er dann doch immer zu mir und hat auf mich gesetzt, weil er wusste, dass ich ein Gespür für die Mannschaft hatte.

SPOX: Was meinen Sie damit?

Teber: Beispielsweise hatten wir in der 3. und 2. Liga jeweils zu Saisonbeginn Probleme. Dann haben Tomislav Maric, Sejad Salihovic und ich einen Mannschaftsabend organisiert und wir haben alle einen draufgemacht und uns die Meinung gegeigt. Das waren unglaublich wichtige Momente, weil erst danach ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden ist und alle wieder bei Null angefangen haben. Ohne diese Abende hätten wir die Aufstiege wohl nie geschafft. Das weiß auch Rangnick.

SPOX: Das Zusammengehörigkeitsgefühl hatte jedoch auch negative Folgen. Nach der Herbstmeisterschaft 2008/09 reisten Sie und einige Mitspieler über Neujahr nach New York und kehrten krank zurück, was von Rangnick als Erklärung für den folgenden Absturz herangezogen wurde.

Teber: Das war typisch. Wenn es gut lief, sonnten sich alle im Erfolg. Vorher hatte auch keiner ein Problem damit, wenn wir im Winter zusammen nach Ischgl oder im Sommer nach Mallorca oder Ibiza gefahren sind. Als jedoch der Wurm drin war, wurde der Fehler anderen in die Schuhe geschoben. Ist ja auch das Einfachste. Dabei hatte die New-York-Reise nichts mit den Leistungen in der Rückrunde zu tun. Einige wurden erst eine Woche danach krank, außerdem war noch ausreichend Zeit in der Vorbereitung, um das zu kompensieren. Stattdessen wurde es so hingestellt, als ob wir dort nur gefeiert hätten. In Wahrheit war es ein gemütlicher Städte-Urlaub mit unseren Frauen und Freundinnen.

SPOX: Fehlte die Rückendeckung?

Teber: Ich sagte voraus, dass wir nach dem geilen Halbjahr einbrechen. Im ganzen Verein ist eine Arroganz einkehrt, jeder hat nur noch geträumt. Ich habe die Verantwortlichen gewarnt, weil jeder gedacht hat, nicht mehr ans Maximum gehen zu müssen. Als ich nicht gehört wurde, habe ich es auch in den Medien thematisiert - und dafür vom Verein Ärger bekommen. Soviel dazu.

SPOX: Fehlen in der aktuellen Hoffenheimer Mannschaft womöglich die Leadertypen? Salihovic etwa war froh, dass Andreas Beck und nicht er zum Kapitän ernannt wurde.

Teber: Nein, Joe Simunic macht seinen Mund auf, auch wenn er ruhig rüberkommt. Auch Sejad, Vedad Ibisevic und Demba Ba sind lange genug dabei und sprechen Probleme an, wenn etwas nicht passt.

SPOX: Ihnen selbst gelang erst in Hoffenheim die Wandlung vom gescheiterten Talent zum Führungsspieler. Wie haben Sie das geschafft?

Teber: Es war eine lange Reise. Anfang 2006 hatte ich meinen Tiefpunkt erreicht, mir war alles egal. Ich hatte keine Lust mehr auf Fußball. Als mir mein Berater Roger Wittmann erzählt hatte, dass er mich in Hoffenheim unterbringen könnte, habe ich nur geantwortet: "Ist mir scheißegal, ob es der FC Bayern oder ein Drittligist ist. Ich will aufhören."

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SPOX: Was war passiert?

Teber: Ich  bin im Sommer 2005 von Kaiserslautern zu Denizlispor in die Türkei gewechselt. Damals war ich voll motiviert und wollte die chaotische Zeit beim FCK unter Rene Jäggi hinter mir lassen. In Denizli jedoch habe ich angefangen, den Fußball zu hassen. Ich war in der Mannschaft auf mich alleine gestellt und wurde geschnitten, weil ich die türkische Sprache nicht perfekt beherrsche. Meine Frau war ebenfalls einsam, weil wir von morgens um 8 Uhr bis abends um 21 Uhr auf dem Trainingsgelände einkaserniert wurden. Und als ob das nicht genug wäre, wurde ich nicht bezahlt und landete auf der Tribüne, weil ich mich darüber beschwert habe.

SPOX: Wie ging es in Hoffenheim weiter?

Teber: Anfangs war ich lustlos und übergewichtig, hinzukamen drei Muskelfaserrisse in den ersten zwei Monaten. Alles psychosomatisch. Dann wurde im Sommer 2006 Lorenz-Günther Köstner von Rangnick abgelöst und plötzlich hat es klick gemacht.

SPOX: Anfangs haben Sie sich gut mit Rangnick verstanden?

Teber: Es ging nicht unbedingt um Rangnick. Vielmehr hat die Gesamtsituation zu einem Umdenken geführt. Neuer Trainer, neue Spieler, neue Ziele: Der Umbruch hat mich motiviert, noch einmal richtig an mir zu arbeiten. In dieser Zeit habe ich erst gemerkt, was ich alles hätte erreichen können, wenn ich von Anfang an alles für den Fußball investiert hätte.

SPOX: Sie waren eines der größten Talente Deutschlands. Warum genau hat der Durchbruch so lange auf sich warten lassen?

Teber: Ich habe lange nur das Nötigste gemacht. Ich hatte einen tollen Ruf, bin in die Bundesliga zu Kaiserslautern gewechselt, wurde in alle Jugendnationalmannschaften berufen, irgendwann war ich voll im Höhenflug. Im Nachhinein kann ich mich nur darüber ärgern. Was habe ich alles verpasst? Bei welchen Vereinen wäre ich unter Vertrag gewesen, wenn ich als Jugendlicher auf meine Ernährung geachtet und alles dem Profileben untergeordnet hätte?

SPOX: Mit Anfang 20 wurde Ihnen eine große Zukunft vorausgesagt, mit Ende 20 spielen Sie in Kayseri. Verbittert?

Teber: Überhaupt nicht. Kayseri mag in Deutschland nicht so bekannt sein, aber der Klub hat in der Türkei ungemein an Ansehen hinzugewonnen. Ein bisschen erinnert die Entwicklung an Hoffenheim. Hier wird mit Bedacht etwas Großes entwickelt und wir haben das Potenzial, uns unter den besten fünf Teams zu etablieren. Spätestens, wenn das neue Trainingsgelände für 20 Millionen Euro fertig gestellt ist und so perfekte Voraussetzungen gegeben sind.

SPOX: Sie sind Leistungsträger bei einem der besten Vereine Türkeis. Gibt es Überlegungen, für die türkische Nationalmannschaft zu spielen?

Teber: Die Zeit bei den Jugendteams des DFB war toll, aber ich kann mir sehr gut vorstellen, zukünftig für die Türkei aufzulaufen. Es gab noch keinen Kontakt, aber die Saison ist noch lang und ich werde ausrechend Gelegenheiten bekommen, um dem Land zu zeigen, was ich drauf habe.

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