"Spüren, wie Glasgow brennt"

SID
Andreas Hinkel und Celtic sehen in dieser Saison gegen die Rangers kein Land
© Getty

Andreas Hinkel ist einer der wenigen deutschen Topspieler im Ausland, im Prinzip hat er sogar einen der coolsten Jobs der Welt. Er kickt bei Celtic Glasgow vor fanatischen Fans und darf sich nebenbei jeden Tag auf die teils eigenwillige schottische Lebensweise einlassen. Bei SPOX erzählt der 27-Jährige in seiner Braveheart-Kolumne, was er in Schottland erlebt. Diesmal steht das Old Firm im Mittelpunkt. Außerdem Thema: seine schwindenden WM-Chancen und die Legende Robbie Keane.

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Hallo zusammen,

eigentlich war es mein erklärtes Ziel, meine nächste SPOX-Kolumne als schottischer Tabellenführer zu verfassen. Aber ich muss an dieser Stelle zugeben: das Vorhaben ist leider relativ deutlich misslungen.

Wir haben 13 Punkte Rückstand auf die Rangers - weil  wir in den vergangenen Wochen schlicht und ergreifend zu viele Punkte liegen gelassen haben. Unter anderem auch deshalb, weil unser Kader im Winter doch ziemlich durcheinander gewirbelt wurde.

Wir hatten einige Abgänge, aber auch Neuzugänge. Zum Beispiels Edson Braafheid, der vom FC Bayern München kam. Edson ist ein prima Fußballer, das sieht man - aber er hat am Anfang etwas Zeit gebraucht, um sich an den schottischen Fußball zu gewöhnen, der doch etwas körperbetonter ist.

Keane auf dem Weg zur Legende

Ein anderer neuer Mitspieler ist Robbie Keane, der bis zum Saisonende von den Tottenham Hotspur ausgeliehen ist. Robbie ist erst ein paar Wochen hier, aber schon jetzt fast eine Celtic-Legende.

Für ihn als Iren war es ein Herzenswunsch, einmal für Celtic zu spielen, das spürt man. Und das spüren vor allem die Fans, die ihm zu Füßen liegen. Sportlich ist er sowieso über jeden Zweifel erhaben.

Robbie bringt alles mit, was einen sehr guten von einem guten Fußballer unterscheidet. Er ist taktisch hervorragend geschult, hat ein gutes Auge, ist technisch stark und vor dem Tor einfach brandgefährlich. Es gibt nicht viele Mannschaften, denen so ein Spieler nicht gut zu Gesicht stehen würde.

Kein Träumer oder Fantast

Auch bei mir persönlich läuft es ganz gut, ich fühle mich nach wie vor wohl in Schottland. Aber auch hier werde ich immer wieder gefragt, wie ich denn meine WM-Chancen einschätze. Da ich weder ein Träumer noch ein Fantast bin, lautet die Antwort: Nicht so gut.

Ich wurde weder zum Leistungstest noch zum letzten Länderspiel gegen Argentinien eingeladen. Daraus abzuleiten, dass meine WM-Chancen überragend sind, wäre doch etwas blauäugig.

Aber ich bin keiner, der deshalb jetzt auf den Putz haut. Ich kann nur weiter meine Leistung bei Celtic bringen und dem Bundestrainer so signalisieren, dass ich bereit bin, wenn er mich braucht. Alles andere liegt nicht in meiner Hand.

Das letzte Derby gewinnen

Deshalb mache ich mir darüber auch nicht allzu viele Gedanken, sondern konzentriere mich voll und ganz auf meine Ziele in Glasgow.

Die lauten: Erstens die Saison gut zu Ende zu spielen und zumindest Platz zwei zu verteidigen. Und zweitens das letzte Derby der Saison zu gewinnen.

Das wäre vor allem für unsere Fans wichtig. Denn das Old Firm ist so ziemlich das emotionalste Duell, das ich kenne. Ich habe keine Ahnung, wie das Römer oder das Mailänder Derby einzuordnen ist - aber ein paar dieser besonderen Duelle habe ich in meiner Karriere schon erlebt.

Glasgow

Wie gesagt: Einige der brisanten Derbys in Europa kann ich nicht einschätzen. Was ich aber ruhigen Gewissens behaupten kann: Die Atmosphäre eines Old Firms ist nur schwer zu toppen und aus meiner Sicht mit nichts zu vergleichen. Alleine der Lärm im Stadion ist so laut, dass es jedem Ohrenarzt angst und bange werden muss, das ist der Wahnsinn.

Dieser Faszination kannst du dich als Spieler gar nicht entziehen, ganz egal, wie lange du schon dabei bist. Ich selbst habe jetzt hier schon zehn Derbys gespielt, aber die Gefahr der Langeweile hat bisher noch nie bestanden.

Im Gegenteil. Als Spieler musst du aufpassen, dass du dich nicht überdrehst. Schließlich spricht die ganze Stadt in der Woche zuvor über nichts anderes mehr. Am Spieltag selbst spürt man, wie Glasgow brennt - und das ist nicht nur positiv gemeint.

Die Stimmung ist extrem aufgeladen, als Celtic-Fan sollte man dann aufpassen, nicht in einen Rangers-Bezirk zu geraten. Wir Spieler selbst gehen nach den Derbys gar nicht in die Stadt, um jegliche Provokationen von vorne herein auszuschließen. Denn eines lernt man in Glasgow ganz schnell - für die meisten Fans ist das Old Firm mehr als nur ein Spiel.

Sevilla

Das Derby zwischen dem FC Sevilla und Betis Sevilla nimmt man in Deutschland gar nicht so wahr. Aber in Spanien ist es das Derby überhaupt, das durfte ich während meiner Zeit beim FC Sevilla hautnah erleben. Natürlich gibt es in Barcelona das Duell zwischen Espanyol und Barca oder in Madrid die Partie zwischen Real und Atletico.

Aber zum einen begegnen sich diese Teams nicht ganz auf Augenhöhe, zum anderen sind die Fans in Sevilla etwas enthusiastischer als im Rest des Landes. Vielleicht liegt das auch daran, weil Sevilla die wärmste Stadt Europas und das Flair südamerikanisch ist - das spiegelt sich auch in der Fankultur wieder.

Die Anhänger sind mit Herzblut dabei und sorgen mit Gesängen und tollen Choreografien für eine prima Stimmung, vor allem bei den Derbys. Der große Unterschied zu Glasgow ist, dass mit der Rivalität etwas gelassener umgegangen wird. Es kann schon mal vorkommen, dass in einem Lokal der FC-Anhänger ein Betis-Fan hinter der Bar steht.

Allerdings muss er dann über ein dickes Fell oder ein schlechtes Gehör verfügen - denn in den Tagen rund ums Derby ziehen sich die Fans ständig gegenseitig auf. Es ist wirklich schade, dass Betis derzeit nur zweitklassig ist. Es wäre der ganzen Stadt zu wünschen, dass sich das ganz schnell wieder ändert.

Stuttgart

Aus Derby-Sicht ist in meiner VfB-Zeit irgendetwas schief gelaufen. Ich kann weder von Pflichtspielen gegen die Kickers, noch von welchen gegen den Karlsruher SC berichten. Gut, gegen die Kickers haben wir uns in der Jugend immer heiße Duelle geliefert - aber ich würde nicht so weit gehen, dass mit dem Old Form oder einem Derby in Sevilla vergleichen zu wollen.

Spaß beiseite. Mit den Profis habe ich nur gegen den SC Freiburg gespielt, in dem es traditionell auch immer ein wenig um Württemberg gegen Baden ging. Aber eine Partie zwischen zwei Stadtrivalen ist schon noch mal etwas ganz anderes.

Bis zum nächsten Mal

Euer Andy

 

 

 

 

 

Andreas Hinkel, geboren am 26. März 1982 in Backnang, gehört zu den besten Rechtsverteidigern Deutschlands. Von 2000 bis 2006 spielte er als Profi für den VfB Stuttgart, danach wechselte er in die Primera Division zum FC Sevilla. Seit Januar 2008 trägt Hinkel nun das Trikot von Celtic Glasgow. Für die Nationalmannschaft war er bislang 21 Mal im Einsatz. Mehr Informationen über Andreas Hinkel gibt es unter www.andreashinkel.com.

Andreas Hinkel im Steckbrief