Der Chef, den keiner mehr braucht

Von Alexis Menuge
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© Getty

München/Bordeaux - "Warum? Warum bloß habe ich Werder Bremen verlassen?" Diese Frage stellt sich Johan Micoud dieser Tage immer häufiger.

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Im Sommer 2006 kehrte der Spielmacher dem SVW den Rücken, um bei seinem alten Verein Girondins Bordeaux anzuheuern. Seiner Frau zuliebe, wie er sagt. Und weil er in Bremen keine Bindung zum deutschen Leben fand.

Doch jetzt ist "Jo" unglücklich. Schon in der vergangenen Saison lief es nicht. Die Mitspieler mieden den 34-Jährrigen nicht nur Abseits des Platzes, und zum damaligen Trainer Ricardo hatte der als eigenbrötlerisch geltende Franzose so gut wie keinen Kontakt.

Die Konsequenz: Er stritt sich oft mit dem Übungsleiter und landete auf der Bank. Einmal weigerte sich Micoud sogar, sich während eines Ligaspiels warm zu machen. Schon von Beginn an stand die Zusammenarbeit Ricardo/Micoud unter keinem guten Stern: Ricardo wollte den alternden Spielmacher gar nicht haben, die Verpflichtung war ein Alleingang des Sportdirektors Michel Pavon, einem guten Freund von Micoud.

"Habe von mir auch mehr erwartet"

Das Blatt schien sich erst zu wenden, als im vergangenen Sommer sein ehemaliger Kollege aus der französischen Nationalmannschaft, Laurent Blanc, als neuer Trainer vorgestellt wurde. Doch auch Blanc lässt "Le Chef", wie er in Bremen genannt wurde, nur jedes zweite Spiel ran.

Micoud murrt nicht, Micoud bleibt still. Vielleicht, weil er mit seiner Karriere schon insgeheim abgeschlossen hat. Als ihn die Lokalpresse unlängst kritisierte, entschied er sich kurzerhand, mit keinem Journalisten mehr zu reden. Auf Kritik reagiert der 34-Jährige immer noch gerne trotzig, wie ein Kind - das war auch in Bremen nicht anders.

Doch in Bremen haben sie ihn längst vergessen. Seit Diego an der Weser wirbelt, ist Micoud nur noch ein Name aus vergangenen Tagen, nichts Greifbares mehr. Greifbar war dagegen die Schubserei, die sich der 34-Jährige im vergangenen Sommer mit Jean-Claude Darcheville (mittlerweile Glasgow Rangers) im Training lieferte.

"Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich hier überhaupt gebraucht werde", meinte er zu Beginn der Saison frustriert. Dabei klang auch Selbstkritik mit: "Ich habe von mir auch mehr erwartet. Aber hier ist das Spielsystem völlig anders als in Bremen, wo ich richtig Spaß hatte. Die Ligue 1 ist definitiv viel zu defensiv, zu taktisch geprägt", so Micoud.

Zidanes "treffendes" Zitat

Es passt ins Bild, dass er seine größten Erfolge in Deutschland gefeiert hat, nicht in Frankreich. Mit Bremen holte er 2004 Meisterschaft und Pokal, insgesamt brachte es "Le Chef" auf 31 Treffer in 123 Bundesliga-Partien.

In dieser Zeit verbuchte er auch seinen einzigen Erfolg mit der Nationalmannschaft. Beim EM-Triumph 2000 stand er im Kader, zwei Jahre später war er beim Vorrunden-K.o. bei der Weltmeisterschaft ebenfalls mit von der Partie. Insgesamt waren es aber nur 17 Einsätze für die Equipe Tricolore, ein gewisser Zinedine Zidane war sein Hindernis.

Der sagte einmal über Micoud: "Jo ist ein fantastischer Spieler. Doch er braucht immer wieder einen Tritt in den Arsch, um Top-Leistungen abzurufen." Ein schlampiges Genie eben. Genial, aber faul. Ein Genie, das sich für die Bundesliga zunächst überhaupt nicht begeistern konnte.

"Vor meinem Wechsel nach Bremen dachte ich, dass ich nie in der Bundesliga spielen werde, denn das Bild dieser Liga war in Frankreich nicht gerade positiv. Das Spiel wäre zu körperbetont, hieß es. Aber ich habe dort eine spektakuläre Spielweise entdeckt. Ich hatte wahnsinnig viel Spaß", erinnert er sich an seine Bremer Tage zurück.

Zu Beginn habe er Schwierigkeiten und wollte nach einem Jahr schon fast wieder weg. "Aber es lief immer besser und ich bin sogar vier Jahre geblieben", erzählt er.

Die Schuhe am Nagel

Am Ende gab seine Frau Ana den Ausschlag zur Rückkehr. "Mit der Familie waren wir in Bremen eher isoliert. Wir hatten kaum Freunde, außer Paul Stalteri. Im alltäglichen Leben war es wirklich nicht einfach. Hier im Südwesten Frankreichs kennen wir viel mehr Leute", so Micoud.

Auf eine Sache ist der 34-Jährige aber heute noch stolz: "Ich habe dafür gesorgt, dass Spieler wie Miroslav Klose oder Tim Borowski Weltklassespieler geworden sind." Im Nachhinein wäre ein Karriereende in Bremen wohl doch verlockend gewesen. Sein Vertrag läuft nur noch bis Sommer, dann ist er 35.

Micoud hat bereits angekündigt, dass er dann seine Schuhe an den Nagel hängen wird. Ein letzter Traum bleibt: "Ich möchte meine Karriere mit einem Titel beenden." Derzeit ist Bordeaux mit drei Punkten hinter Serienmeister Lyon Zweiter.

Vielleicht klappt es mit dem Titel ja. Danach wird man wohl nie mehr wieder was von ihm hören. Im Fußball-Geschäft sieht Micoud keine Zukunft. Es ist einfach nicht seine Welt.