Abseits-König mit unterirdischer Chancenverwertung: Wohin mit dem unberechenbaren Darwin Núñez?

Von Mark Doyle, Patrik Eisenacher
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Darwin Núñez vergibt beim FC Liverpool viel zu viele Großchancen und steht zu oft im Abseits. Hinter seiner Zukunft steht ein großes Fragezeichen.

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Darwin Núñez wird derzeit von vielen Liverpool-Fans zum Sündenbock der Saison erklärt, weil die Ergebnisse zuletzt nicht stimmten. Sein Abschluss sei zu schlecht, die einst gezahlten 85 Millionen Euro Ablöse an Benfica viel zu viel gewesen.

Auch der Niederländer Georginio Wijnaldum sah sich bei seinem Abschied vom FC Liverpool von einigen Fans zum Sündenbock auserkoren. "Die Fans im Stadion und die Fans in den sozialen Medien sind zwei verschiedene Dinge", sagte der Mittelfeldspieler im Interview mit der Times. "Im Stadion kann ich nichts Schlechtes über sie sagen, sie haben mich immer unterstützt. Aber in den sozialen Medien, wenn wir verloren haben, war ich derjenige, der Schuld war."

Wijnaldums Behauptung sorgte für eine ziemliche Kontroverse. Jamie Carragher ärgerte sich besonders über die Sichtweise des Niederländers und argumentierte, dass Wijnaldums Abgang mehr mit finanziellen Angelegenheiten als mit wankelmütigen Fans zu tun hatte.

"Er wollte mehr Geld, der Verein hat nein gesagt, so ist Fußball!" schrieb Carragher zu der Zeit. "Ich liebe Gini, aber das ist nicht richtig, soziale Medien sind ein Zirkus und jeder Verein hat Clowns. Schaltet eure Benachrichtigungen aus und wenn es euch so sehr stört, löscht die App!"

Am Sonntagabend hatte Núñez, eine andere Idee, mit dem Hass umzugehen.

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Darwin Núñez: Zwischen Lob und Kritik

Núñez erlebte beim 4:2-Heimsieg des FC Liverpool gegen Tottenham Hotspur einen seiner fast schon gewohnt chaotischen Auftritte mit einigen Fehlpässen und ausgelassenen Chancen. Nach Abpfiff lief der Uruguayer verärgert durch den Spielertunnel - und löschte später all seine Bilder im Trikot des FC Liverpool. Welch eine Aktion!

Man weiß noch nicht zu 100 Prozent warum, aber wahrscheinlich wurde Núñez - und sogar seine Partnerin - online beleidigt. Wenn das stimmt, hat er allen Grund, sich über die vermeintlichen Liverpool-Fans zu ärgern.

Man darf nicht vergessen, dass Núñez seit fast zwei Jahren von Hatern beleidigt wird und schon als teurer Transferflop abgetan wurde, bevor er überhaupt ein Pflichtspiel für Liverpool bestritten hatte. Es ist "eine verrückte Welt da draußen", wie Klopp schon im Sommer 2022 sagte.

Núñez verdient zwar Sympathie, aber eben auch etwas Kritik. In einer Zeit, in der die Zukunft mehrerer wichtiger Liverpooler Spieler diskutiert wird, ist es nur richtig, dass Núñez' Rolle in einer neuen Ära hinterfragt wird - denn der unberechenbare Uruguayer bleibt ein Rätsel und Widerspruch, der begeistert und frustriert.

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Mit Darwin Núñez auf dem Platz kann alles passieren

Selbst in seiner schwierigen Debütsaison war sein Potenzial offensichtlich. Der Neuzugang war unberechenbar, aber elektrisierend. Wenn er auf dem Platz stand, hatte man das Gefühl, dass alles passieren könnte.

Es sah auch so aus, als würden die Fans für ihre Geduld belohnt werden. Núñez begann die laufende Saison auf der Ersatzbank, wurde aber langsam immer besser. Es gab zwar immer noch einige unerklärliche Fehlpässe und unglückliche Entscheidungen, aber es war klar, dass er verstanden hatte, was Klopp von ihm in defensiver Sicht verlangte.

Auch im Abschluss verbesserte er sich. Neben 31 Torbeteiligungen schoss er wichtige Tore gegen Newcastle United, den AFC Bournemouth und Nottingham Forest. Doch das Vertrauen der Fans in den Stürmer wird nach dem katastrophalen Saisonabschluss erneut auf die Probe gestellt.

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Darwin Núñez in den entscheidenden Monaten in Formkrise

Núñez hat nun in acht aufeinanderfolgenden Spielen in allen Wettbewerben kein Tor erzielt, ist aber kaum allein für Liverpools späte Saisonschwäche verantwortlich zu machen. Mehrere Spieler haben sich zuletzt sehr schwer getan, vor allem aufgrund der körperlichen und mentalen Erschöpfung, die durch eine schreckliche Verletzungskrise mitten in der Saison verursacht wurde.

Nicht nur die Stürmer haben keine Tore mehr geschossen, in der Defensive gelang zudem seit dem 1:0-Sieg bei Nottingham Forest am 2. März kein Spiel ohne Gegentort mehr. Núñez erzielte an diesem Tag den Siegtreffer.

Seitdem hat er nur ein einziges weiteres Tor erzielt - und das auch nur unter äußerst unglücklichen Umständen Anfang April, als er einen Klärungsversuch von Ivo Grbic, dem Torhüter von Sheffield United, ins Tor abfälschte.

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Darwin Núñez hat eine Chancenverwertung von 11 Prozent

Was dann folgte, war (zumindest für seine treuen Anhänger) schwer mit anzusehen. Núñez vergab hochkarätige Chancen gegen Manchester United, Crystal Palace und Everton - die Spiele, die Liverpools Kampf um den Titel zum Scheitern brachten - sowie bei der fatalen 0:3-Hinspielniederlage gegen Atalanta im Viertelfinale der Europa League.

Was befremdlich war, ist nicht die Tatsache, dass er die Chancen vergab - sondern wie er sie vergab. Viele seiner Schüsse gab er blindlings auf das Tor ab, als habe er sich überhaupt keine Gedanken über den Abschluss gemacht. Seine zum Teil besser postierten Mitspieler übersah der 24-Jährige gänzlich.

Am Sonntag gegen die Spurs zum Beispiel hatte er nach einem herrlichen Pass von Mohamed Salah eine große Chance. Da Torhüter Guglielmo Vicario aus seinem Strafraum stürmte, schoss Núñez - direkt auf den Torhüter. Szenen wie diese erklären, warum er in dieser Saison eine so grauenhafte Chancenverwertung von 11,11 Prozent hat.

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Niemand stand häufiger abseits als Darwin Núñez

Natürlich hätte er auch mit einem weiteren Assist vom Platz gehen können (allein in der Premier League hat er in dieser Saison bereits acht Assists gegeben - so viele wie Phil Foden), doch bei der Flanke von Salah stand er fast zwangsläufig im Abseits. Das passiert ihm deutlich zu häufig: Genau genommen 32-mal, häufiger als jedem anderen PL-Spieler.

Wenn man außerdem bedenkt, dass nur Erling Haaland (32) in der Saison 2023/24 mehr Großchancen vergeben hat als Núñez (27), ist es leicht zu verstehen, warum sich nun Zweifel an seiner langfristigen Zukunft einschleichen. Trotz all seiner Qualitäten und Verbesserungen muss er erst noch zeigen, dass er ein zuverlässiger Torjäger auf höchstem Niveau ist. Dennoch wäre es eine große Überraschung, wenn er den FC Liverpool in diesem Sommer verlassen würde.

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Ein Abgang vom FC Liverpool gilt als unwahrscheinlich

Zunächst einmal ist es sehr unwahrscheinlich, dass irgendein Verein in Europa Liverpool auch nur annähernd so viel Geld für Núñez bietet, wie der LFC einst selbst zahlte. Klopp-Nachfolger Arne Slot könnte trotzdem weiterhin auf den 24-Jährigen bauen.

Diogo Jota wird von vielen als der beste Torjäger Liverpools angesehen, aber wie diese Saison so schmerzlich gezeigt hat, kann man sich nicht darauf verlassen, dass der Portugiese verletzungsfrei bleibt.

Cody Gakpos beste Position ist zudem auf der linken Seite und nicht im Zentrum. Vielleicht lässt Liverpool deshalb Luis Diaz gehen, um eine hohe Ablöse einzunehmen und sich anderswo zu verstärken.

Besonders spannend wird es um Salah, der den LFC eigentlich in Richtung Saudi-Arabien verlassen wollte. Zuletzt gab es aber auch Gerüchte über eine Verlängerung.

Natürlich darf es keine Kritik geben, die über das Ziel hinausschießt. Am Ende muss jeder Spieler auf dem Platz abliefern und seinen Kopf im Hier und Jetzt behalten. Zahlreiche Liverpool-Fans hat Núñez zudem auf seiner Seite, weil er sich verbessert hat. Sein Abschluss gibt jedoch nach wie vor berechtigten Anlass zur Sorge.

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