Freundliche Verachtung

Von Christoph Koechy
Das letzte Derby gegen Everton entschied Liverpool mit 2:0 für sich
© Getty

Die Partie zwischen dem FC Liverpool und dem FC Everton schloss den 22. Spieltag der Premier League ab. Das Merseyside-Derby ist allerdings mehr als ein ganz normales Fußballspiel.

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Brian, der Taxifahrer, spricht schnell. Sehr schnell und in einer Sprache, die nur mit viel Wohlwollen etwas mit Englisch gemein hat. Brian ist ein waschechter "Scouser" und als solcher immens schwer zu verstehen.

Das weckt kurz mein Mitgefühl mit dem englischen Austausch-Studenten, der bei Vinzenz Murr in München weder das Fleischpflanzerl noch die Leberkässemmel bestellen kann.

Passend zu diesem gedanklichen Exkurs nuschelt Brian irgendetwas und fährt an der nächsten Ecke links ran. Er kommt mit "scran" wieder, in Liverpool das Wort für Essen. Mit "fish and chips" im Mund redet er weiter und ich verstehe nach wie vor nicht einmal Bahnhof, bis auf einmal das wichtigste aller Worte fällt: Football.

Brian hat mich gefragt, ob ich Fußball-Fan bin. Und auf einmal fließt die Unterhaltung nur so dahin.

Weltsprache Fußball

Nach einer Analyse der Nationalmannschaft kommen wir zur englischen Liga: Es gibt zwei Fußballteams in Liverpool, holt Brian aus. Ich, "Premier League-bewandert" wie ich bin, will ihn klug unterbrechen, aber er winkt ab: Zwei Teams. "Everton Football Club and Everton Reserves."

Mit Reserves meint er die Zweite, quasi Everton Amateure. Ich stimme in sein Lachen ein und ziehe den Reißverschluss meiner Jacke noch ein bisschen höher. Muss Brian ja nicht gleich sehen, das rote Trikot. Gut, dass ich als Fahrtziel Stanley Park und nicht Anfield Road angegeben habe, denke ich und bin froh, als wir da sind.

Brian lacht wieder und bevor er abfährt, winkt er mich noch einmal ans Fenster: "Good luck, mate. But not on Saturday."

Noch im Wegfahren höre ich ihn gackern und gucke verdutzt. Ich will mich am Kopf kratzen und in diesem Moment fällt mir siedendheiß ein, dass ich meine Mütze noch aufhabe. Meine Lieblingsmütze. Rot ist sie und da steht in großen Lettern: Liverpool FC.

Wenig später lache ich selbst über diese Begegnung und bin dabei heilfroh, dass ich nicht mit Celtic-Cap ins Taxi eines Rangers-Fans gestiegen bin. Im Gegensatz zu Glasgow spielt Religion bei der Wahl des Lieblingsklubs in Liverpool nämlich keine Rolle. Auch die Herkunft aus bestimmten Stadtteilen ist in der Beatles-Metropole belanglos, wenn es um die Frage "Rot oder Blau?" geht.

Faszination Fußball

Es geht um die Faszination Fußball und das seit mehr als 100 Jahren. Bis 1892 gab es tatsächlich nur einen Verein in der Stadt, Everton spielte an der Anfield Road. Ein Streit über die Erhöhung der Stadionmiete resultierte im Umzug Evertons auf die andere Seite des Stanley Parks. Rund 800 Meter Luftlinie beträgt die Distanz zwischen der neuen Heimat und Anfield, wo seither der Liverpool F.C. zuhause ist.

Der Begriff Tradition passt zu kaum einem Derby so gut wie zu diesem Duell. Rivalität ist spürbar, aber kein Hass. Seit 1989 sprechen die Anhänger sogar vom "Friendly Derby". Nach dem Tod von 96 Liverpool-Fans in Hillsborough wurde ein Band aus Schals beider Vereine vom Goodison Park bis hin zur Anfield Road gespannt. Ein Symbol für die Verbindung, die in den Köpfen der Menschen weiterhin Bestand hat.

Auf dem Rasen geht es aber oftmals weniger freundlich zu. 17 Platzverweise sind die Bilanz der letzten 33 Derbys.

Nur soviel kurz zur sportlichen Ausgangslage. Denn als ich wenig später im Pub "The Albert" an der Anfield Road ein Bier bestelle, höre ich, wie ein Vater neben mir seinem Sohn erklärt, es gebe in Liverpool zwei Vereine: "Liverpool Football Club and Liverpool Reserves."

Beide lachen, ich stimme ein und öffne den Reißverschluss meiner Jacke. Ich deute auf mein rotes Trikot und der Vater klopft mir auf die Schulter: "Good luck, mate. Especially on Saturday."

Die aktuelle Tabelle der Premier League