Nia Künzer: "Ist das jetzt wirklich vorbei?"

Von Interview: Tim Frische
12. Oktober 2003: Nia Künzer (r.) köpft Deutschland gegen Schweden zum ersten WM-Titel
© Getty

Im Sommer wird in Deutschland die sechste Weltmeisterschaft der Frauen ausgetragen. Schon zweimal gewann die Auswahl des DFB den Titel, einmal wurde Deutschland Vize-Weltmeister. In der SPOX-Serie "Damals in..." blicken Nationalspielerinnen auf frühere Turniere zurück. Los geht's mit Nia Künzer, der WM-Heldin von 2003.

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SPOX: Wenn Fußball-Fans den Namen Nia Künzer hören, dann verbinden sie damit sofort eine Sache: Das Golden Goal im WM-Finale 2003. Wie ist es, wenn Sie auch über sieben Jahre später immer wieder an diesen für den Frauenfußball so wichtigen Moment erinnert werden?

Nia Künzer: Das erste Gefühl in den Sekunden und Minuten nach dem Tor, das kann man leider nicht wieder hervorrufen. Das würde ich natürlich sehr gerne machen, aber das war so ein einmaliger Moment - der dann leider auch schnell wieder verflogen ist. Das ist natürlich irgendwie schade. Aber man muss sich einfach immer wieder mal bewusst machen, dass das echt eine coole Sache war!

SPOX: Denken Sie noch oft daran?

Künzer: Ich habe die Szene jetzt nicht jeden Tag vor Augen. Aber man wird natürlich immer wieder daran erinnert - und dann wird einem bewusst, wie einzigartig dieser Moment war. Es freut mich natürlich, dass es den Leuten immer noch präsent ist. Das ist ein schönes Gefühl und es zeigt auch, dass der Frauenfußball mittlerweile einen hohen Stellenwert hat.

SPOX: Den es aufgrund einer Verletzung im Vorfeld beinahe gar nicht gegeben hätte...

Künzer: Das stimmt. Im Jahr vorher hatte ich mir zum dritten Mal dass Kreuzband gerissen und eigentlich nicht damit gerechnet, im Kader zu sein. Dann habe ich mich zurückgekämpft. Aber insgesamt hatte ich bei der WM ja wenig Spielzeit.

SPOX: Die haben Sie aber effektiv genutzt. Können Sie sich noch erinnern an den Moment, als Sie im Finale eingewechselt wurden?

Künzer: In einem WM-Finale eingewechselt zu werden, ist an sich schon eine große Nummer. Aber dann in so einer heißen Phase zu kommen, mit Golden Goal und so weiter - da kommt man dann schon mit schweren Beinen in die Partie. Denn theoretisch könnte man  ja auch alles verlieren. Die anderen sind schon zu 100 Prozent in diesem Spiel drin und du musst im Prinzip auf Anhieb von maximal 20 auf 100 kommen. Die Trainerin hat mir bei der Einwechslung Anweisungen gegeben, hinten dicht zu machen und vorne Chancen zu erarbeiten, was ja nicht so einfach ist. So verliefen dann auch die ersten zehn Minuten, ich war total überfordert. (lacht)

SPOX: Und dann gab es da einen Pfiff in der 98. Minute...

Künzer: Wenn ich mich recht erinnere, war das gar nicht mal so ein glasklarer Freistoß. Idgie (Spitzname von Renate Lingor, Anm. d. Red.) ist die beste Freistoßschützin gewesen - und ich war noch frisch und bin kopfballstark. Von daher war es klar, dass ich mit nach vorne komme. Das Witzige ist ja, dass Idgie vorher noch meinen Namen gerufen hat. Und dann bringt sie das Ding eben perfekt in den Sechzehner: Ich gewinne glücklicherweise das Kopfballduell und kann einen eigentlich nicht ganz platzierten Kopfball aus Tor bringen.... Und ab dann kann ich mich nur noch an Sequenzen erinnern.

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SPOX: Und an welche?

Künzer: In den ersten Hundertstel Sekunden habe ich das gar nicht ganz gecheckt und mich kurz gefragt: "Ist das jetzt wirklich vorbei?" Der Ball zappelte im Netz. Tor. 2:1! Das muss man erst mal verstehen, dass das Spiel zu Ende ist. Und ich glaube, so reagiere ich da auch im ersten Moment. Ich halte mir erst einmal nur den Kopf und verstehe gar nicht, was los ist. Zum Glück waren dann in den nächsten ein, zwei Sekunden die ersten Spielerinnen schon bei mir - und über mir. Und von da an war es natürlich die Party schlechthin - der absolute Hammer!

SPOX: Spielen Sie den Treffer manchmal noch für sich im Kopf durch?

Künzer: Ganz schwierig zu sagen. Dadurch dass ich die Szene schon so oft auf Veranstaltungen gesehen habe, verschwimmen die Eindrücke irgendwie. In der Erinnerung habe ich sogar eher das Fernsehbild vor Augen, weil ich das schon mindestens 30 Mal gesehen habe -  und den Freistoß von der Idgie live ja nur ein einziges Mal.

SPOX: Haben Sie sich manchmal unwohl damit gefühlt, den Löwenanteil der medialen Aufmerksamkeit zu bekommen?

Künzer: Es war schon eine schwierige Situation. Aber ich habe keine Chance ungenutzt gelassen, zu sagen, dass ich nur einen Teil zum Erfolg beigetragen habe und dass wir ein Team gewesen sind, das alles gemeinsam erreicht hat. Trotz allem war die Aufmerksamkeit doch sehr darauf fokussiert, da ist es normal, dass man sich manchmal unwohl fühlt.

SPOX: Deutschland war zuvor oft nah dran am Titel, geklappt hatte es bis dahin aber nicht - war der Druck vor dieser WM daher besonders hoch?

Künzer: Ich habe den Druck selbst gar nicht so gespürt, die älteren Spielerinnen vielleicht schon eher und das Trainerteam möglicherweise auch, weil man den Titel schon erwartet hatte. Aber bei uns angekommen ist das nicht wirklich. Aber natürlich - Deutschland hat im Frauenfußball hohe Ansprüche, das ist klar.

SPOX: Vor den Schwedinnen warteten im Halbfinale die US-Amerikanerinnen. Die Partie gilt bei einigen Experten als das beste Spiel, das jamals im Frauenfußball stattfand.

Künzer: Das war definitiv ein sehr, sehr gutes Spiel. Gerade bei großen Turnieren hat man ja leider das Phänomen, das K.o-Spiele oft nicht so wahnsinnig toll sind - daher waren die Spiele gegen die USA und Schweden wirklich eine Ausnahme. Das waren einfach spannende Spiele auf einem Wahnsinnsniveau.

SPOX: Mit dem Pokal im Gepäck ist zuhause vieles auf Sie und das Team eingeprasselt: Wie haben Sie den Rummel wahrgenommen?

Künzer: Ich habe das natürlich alles genossen. Und man begreift das am Anfang gar nicht so richtig. Der Empfang am Römer war überragend! Das sind einfach tolle Erlebnisse. Ich bin da mitgeschwommen, ohne mir große Gedanken zu machen. Es war manchmal schon etwas anstrengend und man bekommt nicht so viel Schlaf, aber das spielt in diesem Moment keine Rolle. Dafür sind die Ereignisse zu aufregend, zu neu, zu spannend.

SPOX: Was hat sich seit dem WM-Titel bei den DFB-Frauen getan?

Künzer: Seit 2003 haben sich die Strukturen noch einmal weiterentwickelt, sodass ich denke, dass Deutschland weiterhin eine herausragende Rolle im internationalen Fußball spielen wird. Auch aufgrund der Möglichkeiten, die mittlerweile den deutschen Mädels gegeben werden. Wenn man jetzt auch an die Vorbereitungen an die WM 2011 denkt - welche Mannschaft hat schon solche Möglichkeiten? Und mit dem DFB haben wir natürlich einen großartigen Verband, der den Mädels fast alles bietet, was eine professionelle Vorbereitung ausmacht.

SPOX: Denken Sie, dass der Frauenfußball generell professioneller geworden ist?

Künzer: Absolut. Der Verdienst ist mittlerweile auch so, dass man gut davon leben kann. Man häuft nach wie vor keine Reichtümer an, aber mit Sponsorenverträgen können einige Spielerinnen sicherlich sehr gut davon leben. Die Medienpräsenz ist noch einmal stabiler geworden, die Stadien sind sehr viel besser gefüllt: Da ist schon eine Tendenz zu erkennen. Auch in der Spielweise hat sich einiges getan. Es ist noch athletischer und schneller geworden.

SPOX: Spüren Sie auch eine steigende Akzeptanz seitens der männlichen Kollegen?

Künzer: Ja. Und das hat natürlich auch mit der attraktiveren Spielweise zu tun. Wer sich ein bisschen mit Frauenfußball beschäftigt, der weiß, dass das attraktiver Fußball ist, da braucht man sich nicht zu rechtfertigen. Darüber sind wir lange hinaus.

SPOX: Bedauern Sie es eigentlich, dass Ihnen zu Ihrer aktiven Zeit keine Heim-WM vergönnt war?

Künzer: Ich glaube jeder, der nächstes Jahr im Stadion sitzt, würde gerne auf dem Platz stehen. Das wird sicher etwas ganz Besonderes für die Mädels. Aber große Wehmut kommt bei mir nicht auf, da ich meine Karriere schon vor längerer Zeit beendet habe. Zudem bin ich durch meine Rolle als ARD-Expertin relativ nah dran.

SPOX: Deutschland ist Ausrichter und Gastgeber - daher auch der absolute Top-Favorit?

Künzer: Als Heimmannschaft ist man natürlich schon fast automatisch der Top-Favorit. Klar ist aber auch: Für so einen großen Titel, da muss einfach alles passen. Der Druck wird enorm groß sein, größer als bei den Turnieren zuvor. Die Trainerin hat sehr viel Zeit beansprucht, die Mannschaft zusammenzuholen. Aber eines steht fest: Brasilien und die USA - die werden einen Teufel tun und die Deutschen hier einfach so durchmarschieren lassen. Aber es wird für andere Mannschaften sehr schwer. Die deutsche Mannschaft ist dafür bekannt, dass sie auf den Punkt fit ist und im Halbfinale und Finale die besten Leistungen abrufen kann. Ich gehe stark davon aus, dass es auch dieses Mal der Fall sein wird, denn dann zählt's!

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