Süchtig nach der runden Pille

Von Florian Bogner
Aylin Yaren ist Profi-Freestylerin und kickt nebenbei für den 1. FC Lübars in der 2. Bundesliga Nord
© thorsten kohlhaas

In diesem Sommer schaut die ganze Fußball-Welt gespannt nach Deutschland, wenn vom 26. Juni bis zum 17. Juli die FIFA-Frauen-Weltmeisterschaft ausgetragen wird und 16 Nationen um den sechsten WM-Titel der Geschichte kämpfen. SPOX widmet sich in seiner sechsten Themenwoche ausschließlich dem Frauen-Fußball. Der vierte Teil beschäftigt sich mit der Freestyle-Fußballerin Aylin Yaren.

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Aylin Yaren ist süchtig und gibt das unumwunden zu. Die Berlinerin ist Deutschlands bekannteste Fußball-Freestylerin. Mit ihrem Können begeistert sie sogar männliche Profis, ihre Leidenschaft für das Jonglieren macht nicht mal vor Mutters Porzellan-Engeln halt und ihr Terminplan ist als WM-Showact fast so voll wie der von Steffi Jones.

Die Metamorphose geht schnell und ist atemberaubend. Eben steht noch eine junge Frau vor einem, im nächsten Moment ist Aylin Yaren eins mit dem Ball.

Ein Kunstobjekt, stilistisch eine Augenweide. Einmal in Fahrt führt Yaren dann Tricks auf, von denen manch männlicher Bundesligaprofi nur träumen kann. Wenn die 21-jährige Berlinerin den Ball mit den Füßen hochhält, vergisst sie die Welt um sich herum.

"Wenn ich übe, komme ich manchmal überhaupt nicht davon los", erzählt sie im Gespräch mit SPOX. "Ich kann manchmal gar nicht aufhören, trickse zwei bis drei Stunden am Stück." Mit Nebeneffekt. "Oft habe ich am nächsten Tag dann einen üblen Muskelkater", sagt Yaren und lacht.

Von Lukas Podolski geneckt

Lange Regenerationsphasen wird die Deutsch-Türkin in den nächsten Monaten jedoch nicht bekommen. Weil die Frauen-WM in Deutschland ansteht, ist sie mindestens so begehrt wie OK-Chefin Jones oder die DFB-Kickerinnen selbst.

Sie ist die etwas andere Botschafterin des Fußballs, bedient die Nische "Freestyle", die überall in Europa stark im Kommen ist.

Als Showact zieht die Deutsch-Türkin jetzt schon durchs Land, während der WM steht beinahe jeden Tag ein Auftritt an.

"Mein Beruf ist Freestylerin", sagt die 21-Jährige selbstbewusst. Neulich trat sie vor einem Bundesligaspiel in Köln auf, und während des Aufwärmens der Profis kam Lukas Podolski vorbei und stupste ihr scherzhaft den Ball von der Stirn. Yaren nahm's mit einem Grinsen.

Als eine der besten ihrer Szene ist Yaren in nächster Zeit nahezu ausgebucht. Mit "Fußballmarkt" hat sie sogar eine Agentur hinter sich stehen, die sie professionell managt.

"Ich bin eigentlich jeden Tag an einem anderen Ort", sagt Yaren. "Es macht mir Spaß, das ist die Hauptsache." Bei all ihrer Kunstfertigkeit ist die Berlinerin aber sicher: "Ich kann noch eine Menge lernen."

Sean, Camill & Co.: Die Szene lebt

Vorbilder gibt es genügend. Den Franzosen Sean Garnier zum Beispiel, den Yaren den Besten nennt. Oder den Norweger Anders "Azun" Solum. Auch in Deutschland gibt es einige Freestyler mit Format.

Da wäre Timo Löhnenbach, der inoffizielle deutsche Meister. Camill Hauser und Thomas Rist wären weitere Kandidaten und werden sogar vom selben Management betreut wie Aylin, die fußballbegeisterten Mädchen und Frauen jetzt schon eine Menge beibringen kann.

Wie man als Frau mit Fleiß und einer Portion Herzblut in der Männerdomäne Fußball für runtergeklappte Kinnladen sorgen kann, zum Beispiel. Moves wie "Around the World", "Abdullah" und der "Headstall" gehören mittlerweile zu ihren leichtesten Übungen.

"Freestyle ist wie eine Sucht"

"Wenn ich einen Ball sehe, muss ich sofort irgendwas damit machen, es ist wie eine Sucht", sagt Yaren. Wenn sie einen Trick drauf hat, will sie sofort den nächsten lernen. "Tricksen" nennt Yaren das, was sie mit dem Ball anstellt. Mit links, mit rechts, mit dem Kopf. Im Stehen, im Sitzen, im Liegen.

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Einer ihrer neuesten Tricks: Den Ball auf einem Finger balancieren, mit der anderen Hand andrehen, auf die Stirn legen, zum Stillstand bringen. Wochenlang hat sie geübt, der Trick brachte sie zeitweise zur Weißglut. Doch von Nichts kommt nichts. "Je mehr man dafür tut, desto besser wird man", ist Yarens Freestyle-Motto. Also übte sie so lange, bis es klappte.

Ihr Trainingsplatz: die ganze Welt, egal ob Park oder Hinterhof. Wenn es draußen zu kalt ist - und Sonnenkind Aylin ist es in Berlin oft zu kalt - übt sie drinnen. Im Elternhaus, in ihrem Zimmer.

Aylin übt - die Einrichtung leidet

"Zuhause schiebe ich alles in die Ecken und hänge die Lampe ab", sagt sie. Wenn Mama Yaren das Geräusch des Balles auf dem Laminatboden hört, verdreht sie schon mal die Augen.

Wo gehobelt wird, fallen eben Späne. Oder Porzellan-Engel. "Meine Mutter hatte mal zwei davon im Wohnzimmer. Irgendwann war nur noch einer da. Den habe ich dann auch kaputt gemacht", sagt sie mit einem Grinsen. Ihre Mutter gab ihr darauf hin einen Luftballon, mit dem sie üben sollte.

Mittlerweile hat sich die Familie Yaren aber mit Aylins Leidenschaft arrangiert - und schwört auf Einrichtungsgegenstände aus einem schwedischen Möbelhaus. "Die gehen nicht so schnell kaputt."

Torwand-Triumph über Ribery

An Schweden hat Yaren sowieso gute Erinnerungen. Neben ihren Solo-Ambitionen ist die 21-Jährige nämlich auch eine überaus talentierte Mannschaftsspielerin. In der Rückrunde der letzten Saison schnupperte Yaren mit den Damen von TeBe Berlin bereits Bundesligaluft. Zuvor spielte sie zwei Jahre in Schwedens erster Liga für den LdB FC Malmö.

Schuld daran war das "ZDF". Besser gesagt das Torwandschießen im "Aktuellen Sportstudio". Dort bewarb sie sich 2007 per Video und durfte prompt gegen einen gewissen Franck Ribery antreten (Video). "Mega aufgeregt" war sie. "Er hat drei Dinger vorgelegt und ich dachte mir schon: 'Was machst Du eigentlich hier?'" Dann trat Aylin an. Und traf vier Mal.

Der Trainer von Malmö, der sie zuvor schon bei einem U-17-Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft in Schweden beobachtet hatte, sah den Auftritt und erinnerte sich sofort an die technisch überdurchschnittlich begabte Berlinerin.

Knapp 18 war Aylin da und flog nach dem gelungenen Probetraining in Malmö nur noch mal kurz nach Hause, "um meine Tasche zu packen". Die Schule brach sie ab.

Ein Trick zu schwer? Gibt's nicht!

Wenige Monate später entdeckte sie ganz nebenbei ihre Leidenschaft für Freestyle. Es fing alles ganz harmlos an. Yaren sah Videos auf YouTube, auf denen Freestyler ihre Künste zeigten. Irgendwann beschloss sie, sich das Tricksen selbst beizubringen. Tick, Tick, Tick, Tick, Tick. Den Ball immer wieder hochhalten, in unterschiedlichen Tempi, stundenlang. So ging es los.

"Am Anfang konnte ich den Ball nur mit links hochhalten", beschreibt Yaren ihre ersten Schritte. Eine Zeit lang funktionierte dann gar nichts mehr. "Scheiße, was machst Du hier?", fragte sie sich. "Das ist viel zu schwer." Doch zu schwer gibt's in Aylins Welt nicht. Mit eiserner Disziplin mauserte sie sich in nicht mal zwei Jahren zur Freestyle-Amazone, der in Europa vielleicht noch eine Handvoll Frauen das Wasser reichen können.

Vor der WM-Saison stand sie jedoch vor einer wichtigen Entscheidung: Vereinsfußball oder Freestyle? Yaren wählte die Solo-Variante und stellte den Vereinsfußball für eine Saison hinten an. "Ich muss schließlich auch Geld verdienen", sagt sie und das leuchtet ein.

Probetrainings bei verschiedenen Erstligisten seien nach dem Abstieg von TeBe in die zweite Liga zwar gut verlaufen. Aber immer wenn das Thema Freestyle aufkam, waren die Trainer skeptisch. "Dass ich deswegen ein- oder zweimal die Woche im Training fehlen könnte, kam nicht so gut an", erklärt Yaren ihr Dilemma.

Vorbild für den Nachwuchs

Mit dem 1. FC Lübars fand sie aber immerhin einen Berliner Zweitligisten, der sie mit offenen Armen aufnahm. "Statt in der ersten Liga auf der Bank zu sitzen kann ich so in der zweiten Liga Stamm spielen, perfekt!" Und nebenbei, wann immer sie gebraucht wird, ihrer Freestyle-Leidenschaft nachgehen.

Ihre Zukunft hat Yaren auch schon fest im Blick. Irgendwann möchte sie mit ihrem Bruder ein Cafe in Berlin eröffnen.

Ein einzigartig lässiges Cafe mit Fußballbezug, versteht sich. "Darauf spare ich jetzt schon", sagt Yaren.

Bis es soweit ist, muss sie den Ball aber noch oft hochhalten - und weiter Pionierarbeit leisten. Ihre Hoffnung: die Freestyle-Szene soll in Deutschland weiter wachsen, "vor allem im Frauenbereich, da fehlt bislang der Nachwuchs".

Das Interesse der kommenden Generation an Yarens Auftritten ist groß, die Beigeisterungsfähigkeit sowieso.

Und Yaren ist das beste Beispiel dafür, dass man sich als Mädchen nicht vor den Jungs verstecken muss. Fragen sie mal Franck Ribery.

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