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Spektakel war gestern

Von Stefan Rommel
Mehr Arbeiter als Techniker: Tim Borowski hat sein Spiel bei Werder Bremen umgestellt
© Getty

Werder Bremen erfindet sich in der Post-Diego-Ära zum Teil neu und ändert seinen Spielstil vor allem im Defensiv-Verhalten. Rückkehrer Tim Borowski kommt dabei eine tragende Rolle zu - auch wenn der Routinier mit seiner Spielweise noch nicht bei jedem ankommt.

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Die Generalprobe war perfekt, die Premiere völlig misslungen. Thomas Schaaf hatte sich mehrere Wochen den Kopf zermartert, wie er Werder Bremen in der Post-Diego-Zeit auflaufen lassen sollte.

In der 1. Runde des DFB-Pokals bei Union Berlin und gegen Eintracht Frankfurt eine Woche später zum Bundesliga-Auftakt entschied sich Bremens Coach für das gewohnte 4-4-2, allerdings war von der manifestierten Raute allenfalls noch rudimentär etwas übrig.

Schaaf vertraute auf ein verstärktes Zentrum, brachte in Tim Borowski und Torsten Frings zwei Sechser und besetzte stattdessen die Flügel mit den Wirblern Mesut Özil und Marko Marin.

Verkappte Rauten-Version

Dem 5:0 in Berlin folgte ein ernüchterndes 2:3 gegen Frankfurt. Kinderkrankheiten, die Schaaf mit der Rückkehr zur Raute beantwortete. Allerdings in einer sehr verkappten Version, die auch im Europa-League-Spiel gegen Athletic Bilbao wieder zu sehen sein wird (18.45 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY), wenngleich Schaaf auf Borowski verzichten muss.

Özil oder Aaron Hunt interpretieren die Zehnerposition sehr flexibel und phasenweise völlig anders als Vorgänger Diego. Dazu kommt mit Marin eine Art Halbstürmer, der aus der Tiefe mit Zug zum Tor kommt.

Das Dogma gelockert

Werder Bremen hat sein Dogma gelockert. Ab sofort reagiert Werder mehr auf den kommenden Gegner, zieht nicht mehr nur stur sein Spiel durch und fährt damit bisher ziemlich gut.

Schaaf mag Diskussionen um Spielsysteme oder -ausrichtungen nicht sonderlich, der Stil seiner Mannschaft ist mit konventionellen Begriffen auch nicht zu fassen. Thomas Tuchel, Trainer des letzten Werder-Gegners Mainz 05, hat es trotzdem versucht.

Asymmetrisch und unschemtisch

"Bremens Spielanlage ist asymmetrisch, ihre Laufwege unschematisch", sagt Tuchel und erntete viele fragende Blicke. Werders Spiel ist weniger zentral ausgelegt als in den Jahren zuvor, als der eine große Fixpunkt entweder Diego oder Johan Micoud waren.

Das Spiel ist variabler, die Last der Spielgestaltung wird besser verteilt. Die Folge sind bisher weniger Werder typische Happenings mit einer wahren Torflut auf beiden Seiten. Es regiert die Struktur, das Chaos verschwindet immer mehr.

Abwehr steht tiefer

Dafür musste sich Schaaf aber einige grundlegende Änderungen im Defensivverhalten vornehmen. Die Abwehr steht längst nicht mehr so hoch wie in den letzten Jahren. Die Folge waren unzählige Kontertore, die sich Werder einhandelte.

Zudem ist Schaaf auch davon abgekehrt, seiner Viererkette die Option der Abseitsfalle offen zu lassen. Der Erfolg ist schon nach sieben Spieltagen deutlich sichtbar. Mit sechs Gegentoren hat Bremen die zweitwenigsten der Liga kassiert.

Letzte Saison war Werder zum selben Zeitpunkt mit satten 16 Gegentoren die Schießbude der Bundesliga. Auf dem Weg dorthin musste Schaaf aber auch einige Tiefschläge hinnehmen. Heilsame, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte.

Gute Balance finden

Das 2:3 zum Liga-Auftakt gegen Frankfurt war "unentschuldbar" und eines "der schlechtesten Spiele, seitdem ich bei Werder bin", wie Torhüter Tim Wiese zugab. "Wir müssen in der Defensive aktiver sein. Das gilt für die gesamte Mannschaft", sagte damals Schaaf. "Wenn es hinten brennt, geht es meist vorne schon los."

Offenbar hat Bremen aus der desaströsen Partie seine Schlüsse gezogen und ist zwei Monate später auf dem besten Weg, die richtige Balance zwischen kreativer Offensive und kontrollierter Defensive zu finden.

Ungemein wichtig ist dabei die personelle Besetzung im Mittelfeld. Mit dem wieder erstarkten Torsten Frings, dem bissigen Talent Philipp Bargfrede und Rückkehrer Tim Borowski ist die Bremer Zentrale physisch stärker aufgestellt und in der Grundorientierung defensiver ausgerichtet als früher.

Borowski scheidet die Geister

Allerdings scheiden sich gerade an Borowski bisher noch die Geister. Den Fans bringt Boro noch zu wenig seiner unbestrittenen Offensivqualitäten ein, bei seiner Auswechslung gegen Mainz gab es sogar lautstarke Pfiffe. Erst ein Saisontor in allen Wettbewerben steht zu Buche. Nur ist die Statistik eben auch lediglich die halbe Wahrheit.

Borowski nimmt weniger am Spielaufbau im letzten Drittel des Spielfelds teil, sondern rückt gleich mit Zug in die Spitze zu Pizarro auf. Als zweiter gefährlicher Kopfballspieler im Zentrum zieht so immer einen Abwehrspieler von Piza weg und ermöglicht dem Peruaner mehr Platz und damit auch mehr Tore. Acht sind es bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Saison.

Frings verteidigt Boro

"Boro ist unheimlich wichtig. Er ist meine große Unterstützung in der Defensive, das sehen die Leute nur nicht. Er geht unheimlich weite Wege und verteilt die Bälle. Er zerreißt sich für die Mannschaft", lobt Kapitän Frings den 29-Jährigen, der gegen Bilbao aber auf Grund von Rückenbeschwerden nicht auflaufen wird.

"Ich verstehe die Diskussion nicht. Wir haben einige im Team, die offensiv wirbeln, aber manchmal einen Tick zu wenig nach hinten arbeiten. Wir brauchen daher Spieler wie Boro, die hinten für Sicherheit sorgen."

Für die verstärkte Ballzirkulation ist Borowski ein unheimlich wichtiger Baustein. "Ich bin eher der Pass suchende Spieler, der viele Wege geht. Ich will damit der Mannschaft helfen", sagt der Ex-Nationalspieler.

Das ist dann sehr effektiv, aber wenig spektakulär. Denn Spektakel war gestern. Thomas Schaaf kann bisher ziemlich gut damit leben.

Frings fordert gegen Athletic mehr Kampf