Das Lehmann-Komplott

Von Andreas Lehner
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© Getty

München - Wie ein altes Fußballersprichwort besagt, gibt es im Fußball zwei besondere Kategorien von Spielern, den Linksaußen und den Torwart.

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Beide, so heißt es zumindest, seien bekloppt. Sicher ist jedenfalls, dass für den Torwart besondere Umstände gelten.

Er ist ein Einzelkämpfer auf dem Platz, er steht nicht immer im Mittelpunkt, aber immer unter Druck, macht er einen Fehler, fällt in der Regel ein Tor. Auch seine Kollegen sind, anders als bei Feldspielern, nicht immer seine Mitspieler, der Konkurrenzkampf ist ungleich größer. Denn niemand ist auf Dauer gern die Nummer zwei.

Vielleicht nennt man sie auch deshalb bekloppt, weil sie sich diesem Druck und Konkurrenzkampf dauernd stellen. Jens Lehmann leidet im Moment unter dieser Situation. Denn je weniger Spiele er bei Arsenal London macht, umso lauter wird die Frage nach seiner Eignung, das deutsche Tor bei der EURO 2008 zu hüten.

Denn um die nötige Ruhe, Sicherheit und Souveränität auszustrahlen, braucht ein Keeper vor allem eins - Spielpraxis. Und auch wenn von allen Seiten beteuert wird, Lehmann könnte aufgrund seiner Erfahrung auch ohne Spielpraxis im Tor stehen, so sind aufgrund einiger Unsicherheiten doch Zweifel angebracht. Lehmann steckt in einer schwierigen Situation, die er wie folgt zusammenfasst: "Es geht doch nur um die Kernfrage: 'Ist der Torwart, der spielt, besser als ich?' Und wenn nicht, warum spiele ich dann nicht?" SPOX.com versucht, die Fragen zu beantworten.

Sein Problem

Lehmann hat seit dem 15. August kein Pflichtspiel mehr für Arsenal bestritten. Damals griff er beim 1:1 gegen die Blackburn Rovers daneben, der zweite Patzer im zweiten Premier-League-Spiel. Hinzu kam die Verletzung am Ellbogen. Grund genug für Arsene Wenger, Manuel Almunia in die Kiste zu stellen. Und auch im Carling-Cup durfte Lehmann nicht ran, Wenger bevorzugt im Pokal die junge Garde und bringt den 22-jährigen Lukasz Fabianski.

Ein weiteres Problem: Seit Lehmanns Degradierung hat Arsenal kein Spiel verloren, und solange der Erfolg da ist, sieht Wenger keinen Grund zu wechseln. Über kurz oder lang sollte sich die Klasse von Lehmann aber durchsetzen, denn Almunia machte in vielen Spielen nicht den sichersten Eindruck. Und ob er wirklich Spiele gewinnen kann, muss er auch erst unter Beweis stellen.

Sollte Wenger dennoch bis Saisonende an Almunia festhalten, würde Lehmann wohl nur noch in den Länderspielen Spielpraxis sammeln können. Bisher stehen nur die Tests gegen Österreich (6. Februar 2008) und die Schweiz (26. März 2008) fest. Zwei bzw. drei weitere Spiele sollen noch folgen. Das wären also maximal 540 Minuten in rund sieben Monaten. Eigentlich viel zu wenig, um bei einer EM im Tor zu stehen.

Sein Auftreten

Äußerlich wirkt Lehmann sehr gelassen und ruhig. Seine Antworten in Interviews sind sehr überlegt und bringen sein Selbstvertrauen ans Licht. Immer wieder betont er, dass er davon überzeugt sei, bald wieder zu spielen und der bessere Torwart zu sein. Von Hektik und Unsicherheit keine Spur. Selbst bezeichnet er sich als Meister des Verdrängens.

Doch ob das tatsächlich seinen Gemütszustand exakt widerspiegelt, darf trotz aller Unschuldsbeteuerungen nach der "Stinkefinger-Affäre" zumindest bezweifelt werden.

Nur einmal ging Lehmann öffentlich verbal in die Offensive und bezeichnete die momentane Situation als einen "Teil der Demütigung", die er über sich ergehen lasse, worauf ihm Wenger in einem Gespräch lapidar mitteilte: "Demütigung ist Teil des öffentlichen Jobs."

Seine Gegner

Arsene Wenger hat seit der Degradierung öffentlich noch nicht durchblicken lassen, wann und ob Lehmann wieder spielen wird. Ein Blick zurück könnte hilfreich sein. Bereits im Jahr vor der WM 2006 gab es ein ähnliches Wechselspiel, aus dem Lehmann gestärkt hervorging und zum Ende der langen Saison, auch dank der Pause, noch einmal Höchstform erreichte. Vielleicht spielt Wenger das Spielchen erneut...

Möglicherweise beugt sich Wenger aber auch nur dem Druck seiner Spieler. Denn bei Arsenals Young-Guns steht Lehmann nicht hoch im Kurs. "Wir fühlen uns sehr sicher, wenn Manuel zwischen den Pfosten steht", sagt beispielsweise Cesc Fabregas.

Das Verhältnis zu Almunia ist sowieso nicht das Allerbeste: "Es interessiert mich nicht, was Lehmann sagt. Ich will nur gut spielen und mit Arsenal Spiele gewinnen", sagt der 32-jährige Spanier.

In der Nationalmannschaft ist Lehmanns Position dagegen relativ ungefährdet, auch wenn Timo Hildebrand vergangene Woche in der spanischen Sporttageszeitung "Marca" leise Ansprüche anmeldete: "Lehmann ist zwar die Nummer eins, aber seine Situation bei Arsenal ist schwierig." 

Diese Ansicht teilt auch die Mehrheit der ehemaligen Nationaltorhüter. Die Mehrheit der Ex-DFB-Keeper hat sich gegen Lehmann ausgesprochen, sollte der beim FC Arsenal seinen Stammplatz nicht zurückerobern. "Für einen Torwart ist es ohne Spielpraxis viel schwieriger als für einen Feldspieler. Der Keeper verliert die Souveränität", meint Bodo Illgner.

Seine Befürworter

Volle Rückendeckung erhielt Lehmann bisher vom Trainerstab der Nationalmannschaft. Löw bescheinigte ihm "außergewöhnliche Klasse" und beteuerte, dass er aufgrund seiner Erfahrung auch ohne Spielpraxis bei der EM im Tor stehen könnte. Doch Löw ist sich der prekären Situation bewusst. "Ob er dieses Niveau über so viele Monate hinweg ohne Spiele halten kann, ist schwer zu beurteilen", sagte der Bundestrainer.

Er erwartet von Lehmann, dass er das Gespräch mit Wenger sucht, um seine Chancen auszuloten. Bis Weihnachten will Löw Anworten auf seine Fragen. "Dann können wir berechnen, auf wie viele Spiele Jens bis zur EM kommen kann. Ob das ausreicht oder nicht. Und wenn nicht, welche Möglichkeiten es für ihn gibt, den Verein zu wechseln."

Torwarttrainer Andreas Köpke stellt Lehmanns Position nicht in Frage und sieht das Torhüterduell auf den Positionen zwei und drei.

Selbst Bayern-Manager Uli Hoeneß hat sich unlängst für ihn ausgesprochen: "Lehmann muss bei der Europameisterschaft auf jeden Fall spielen, selbst wenn er bei Arsenal London gar kein Spiel mehr machen sollte."

Seine Optionen

Karlsruhe, Duisburg, Hoffenheim, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Kaum ein Team aus der ersten oder zweiten Liga, das nicht mit Lehmann in Verbindung gebracht wurde. Doch wirklich konkret wurde noch nichts, wahrscheinlich auch, weil viele Klubs die Gehaltsvorstellungen nicht erfüllen könnten. Falls es zu einem Wechsel kommen sollte, dann wohl nur innerhalb der Premier League. Denn dort herrscht erstens ein größerer Bedarf an guten Torhütern, zweitens ist dort das nötige Kleingeld vorhanden und drittens will Lehmann seinen Kindern während des Schuljahres keinen Wechsel zumuten. Erste Kandidaten wären damit die Tottenham Hotspur und Manchester City.