Schweiz nur noch zu Gast bei eigener EM

SID
EM 2008, Schweiz, Fussball, Senderos
© DPA

Basel - Ein auf der Trainerbank zusammengesunkener Jakob "Köbi" Kuhn, fassungslos weinende Fans auf der Tribüne, Totenstille in der Kabine: Die Tristesse nach dem Europameisterschafts-Aus von Gastgeber Schweiz spiegelte sich in vielen Bildern wider.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Es ist schmerzlich", sagte der eidgenössische Nationalcoach Kuhn nach der Last-Minute-Niederlage gegen die Türkei (1:2) in einer dramatischen "Wasserschlacht" im St. Jakob-Park in Basel.

"Abgesoffen", titelte die Schweizer Zeitung "Blick" am Donnerstag und unterstrich das Unfassbare plakativ: "Schluss! Aus! Vorbei!"

Stille in der Kabine

Nur fünf EM-Tage währte der Traum der kleinen Fußball-Nation, etwas ganz Großes zu vollbringen. "Es ist nur eine Leere da", sagte Tranquillo Barnetta von Bayer 04 Leverkusen und rang nach Worten der Erklärung des Unglaublichen.

Nach einer 1:0-Führung durch Hakan Yakin (32.) hatten die eingewechselten Semih (57.) und Arda (90.+3) den Gastgeber wie zuvor nur Belgien im Jahr 2000 zum EM-Gast gemacht und am Bosporus für Ballyhoo gesorgt.

"In der Kabine war kein Lärm, alle waren still. Wir sind traurig und am Boden", sagte Ersatz-Kapitän Ludovic Magnin nach dem Untergang mit fliegenden Fahnen.

Enttäuschung für die ganze Schweiz

"Es nützt nichts, die Niederlage schön zu reden und zu sagen: Gut gespielt", meinte der Stuttgarter Verteidiger. "Wir haben verloren, das ist das Schlimmste."

Auf EM-Niveau würden Kleinigkeiten entscheiden: Die Tschechen (0:1) hätten nur einmal auf das Tor geschossen und das 1:2 der Türkei sei durch einen abgefälschten Ball verloren worden. "Der Traum ist finito. Im Fußball zahlt man cash", sagte Magnin tief betrübt.

"Dies war der schlimmste Tag in meiner Karriere", so Abwehrchef Patrick Müller. Er hatte mit der Hacke Ardas Schuss zum Siegtreffer abgelenkt und damit die Eidgenossen endgültig zu "Europameistern der Pechvögel" gemacht.

"Wir haben zwei Jahre hart gearbeitet, spielen gut und der Ertrag ist nicht da. So ein Moment ist bitter", meinte Torschütze Yakin. "Es ist eine Enttäuschung für die ganze Schweiz."

"Endstation Sehnsucht"

Schließlich hatte die Alpenrepublik ein Ziel so hoch wie ihre Berge. "Endstation Wien" prangte auf dem Mannschaftsbus. Statt zum Finale am 29. Juni ins EM-Nachbarland Österreich zu reisen, wurde Basel zur "Endstation Sehnsucht".

Ein Kette unglücklicher Ereignisse trug dazu bei: Erst belastete die schwere Erkrankung von Alice Kuhn den Nationalcoach und das Team, dann folgte der Schock durch das EM- Aus von Kapitän Alexander Frei im Eröffnungsspiel. "Wir haben mit zwei der besten Mannschaften Europas auf Augenhöhe gespielt.

An der Leistung hat es nicht gefehlt", bilanzierte Kuhn und hofft im bedeutungslosen letzten Duell mit Portugal wenigstens ein wenig EM- Geschichte zu schreiben: "Der erste EM-Sieg ist unser großes Ziel."

Kuhns trauriger Abschied

Für den 64-jährigen "Köbi Nationale" kommt am 15. Juni in Basel nach siebenjähriger Amtszeit die Stunde des Abschieds. "Wir wollten für ihn ins Viertelfinale kommen. Jetzt wollen wir ihm mit einem Sieg wenigstens noch etwas Schönes bereiten", sagte Patrick Müller.

Einen Aufbruch verspricht sich Magnin von Nachfolger Ottmar Hitzfeld, auf den am 10. September mit dem WM-Qualifikationsspiel gegen Luxemburg die erste Bewährungsprobe wartet.

"Ich hoffe, dass er eine neue Art bringt. Nach sieben Jahren brauchen wir das auch", sagte der Bundesliga-Legionär über den Meistercoach des FC Bayern München.

Entscheidung gegen Tschechen

Zweieinhalb Jahre nach dem "Skandalspiel von Istanbul", bei dem es nach dem Scheitern in der Qualifikation für die WM 2006 gegen die Schweiz zu wüsten Prügeleien gekommen war, ist damit den Türken die sportliche Revanche geglückt.

"Es ist ein wunderbares Gefühl", meinte Trainer Fatih Terim erfreut. "Diese drei Punkte geben uns viel Hoffnung. Die EM hat für uns erst jetzt richtig begonnen." Die Entscheidung über den Einzug ins Viertelfinale fällt am Sonntag in Genf gegen die punktgleichen Tschechen.

Pausengebet rettet Türken

"In der Pause habe ich ein kleines Gebet gesprochen, dass der Regen aufhören soll", berichtete Terim. Dank Petrus' Einsicht, dem eingewechselten "Joker" Semih und Ardas Glückstreffer gelang die Wende.

"Vom Auftritt und Willen her waren wir einen Tick besser. Es war für uns nicht einfach - wir haben es gemeistert", meinte Bayern-Profi Hamit Altintop nach dem denkwürdigen Match: "Wir haben gezeigt, dass wir eine ordentliche Mannschaft sind. Uns kann nun keiner böse sein."