Österreicher suchen neuen Favoriten

SID
Fans, Österreich, EM
© Getty

Wien - "Aus der Traum!" - Nach dem Schlusspfiff im Wiener Ernst-Happel-Stadion herrschte bei den österreichischen Fußballfans auf der Wiener Fanmeile betretenes Schweigen. Michael Ballack hatte Österreichs Traum von einem "Sommermärchen" mit seinem Gewaltschuss zerstört.

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Und die ganze Nation, die in den vergangenen Tagen von einer ungekannten Fußball-Euphorie getragen wurde, versank für kurze Zeit in Trauer. Hier und da flossen Tränen.

Doch die düstere Stimmung hielt nicht lange an. "Der Jubel soll weitergehen", lautete der einhellige Tenor auf den österreichischen Fanmeilen. "Es war ein schönes Match gestern. Jetzt halten wir halt zu den Italienern", kündigte ein 40-Jähriger im Österreich-Dress vor der Hofburg an.

EM-Idole gesucht 

Wie die ebenfalls gescheiterten Co-Gastgeber in der Schweiz, deren Lieblinge inzwischen die Holländer und Portugiesen sind, müssen sich die Österreicher nun neue EM-Idole suchen.

Dass sich Fußball-Österreich nach der Niederlage gegen die Piefkes jetzt hinter die Deutschen stellen könnte, schlossen die meisten Fans freilich aus. "Portugal, Portugal", skandierte eine Gruppe. "Wir sind für Portugal, denn die schmeißen die Deutschen sowieso raus. Am Donnerstag seid ihr fällig", rief ein Fan mit einem breiten Grinsen den deutschen Schlachtenbummlern zu. Das triumphierende "Cordoba, Cordoba", der vergangenen Tage kam ihm allerdings nicht mehr über die Lippen.

Kein Wunder von Wien

Österreichs Tagespresse präsentierte sich beinahe ein bisschen melancholisch. "Aus!" hieß es auf der Titelseite der "Kronenzeitung", die Sonderbeilage überschrieb das verpatzte Endspiel gegen die Deutschen mit: "Gelaufen, gekämpft und geweint". "Aus der Traum", stellten das Boulevardblatt "Österreich" und der "Kurier" fest. Die konservative Wiener "Die Presse" brachte es auf den Punkt: Österreich, so schrieb das Blatt, sei nun "Nur noch Gastgeber!"

Der "Standard" behielt die Fassung. Unter der Überschrift "Die Wunden von Wien" wagte das Blatt schon die Vorhersage: "Aus dem beschworenen Wunder von Wien wurde aber immerhin ein Versprechen für die Zukunft".

Das sahen wohl auch die meisten Österreich-Fans so, die ihre deutsche Konkurrenz zahlenmäßig weit übertrafen. "Was der Hickersberger da in den letzten Monaten geschafft hat, ist schon richtig gut", meinte etwa der Wirt Andreas Huber, der vergeblich versucht hatte, seine Mannschaft ganz in Rot gekleidet zum Sieg brüllen.

Auch am Tag nach dem Spiel fuhren noch zahlreiche Autos mit ihren rot-weißen Fähnchen durch die Stadt, in vielen Geschäften blieb die patriotische Dekoration liegen. Wie lange, das bleibt abzuwarten.

Gemischte Gefühle 

Friedrich Stickler, Präsident des Österreichischen Fußball-Bunds (ÖFB), zog seine erste Bilanz über den EM-Verlauf mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite stand bei ihm die Freude über die reibungslose Turnier-Organisation, auf der anderen Seite war das Vorrunden-Aus des EM-Mitgastgebers mehr als nur ein Wermutstropfen.

"Es tut weh, wenn man das Turnier nach der Gruppenphase verlässt. Wir haben uns viel besser verkauft, als es uns von vielen zugetraut wurde, aber es hat nicht gereicht und deswegen kann man nicht zufrieden sein", erklärte er am Dienstag im Mannschafts-Quartier in Stegersbach, "wir müssen das jetzt verdauen und wieder aufstehen."

Weit positiver fiel die Bilanz in organisatorischer Hinsicht aus. "Wir können mit Fug und Recht sagen, dass wir viele Erwartungen übertreffen", erklärte der ÖFB-Chef und wies in dem Zusammenhang auf "unvorstellbare TV-Quoten" hin: "Österreich und die Schweiz präsentieren sich großartig. Ich höre ausschließlich positive Rückmeldungen zur Organisation, und die Stimmung in den Fan-Zonen ist ausgezeichnet."

Nach seinen Angaben hatten 350 000 Menschen die Gruppenspiele beim Public Viewing am Montag verfolgt.

Beste Feierlaune 

Wien war am Montagabend in allerbester Feierlaune, die auch kaum gestört wurde. 21 Festnahmen bei 120 000 Fußballgästen - das war laut Polizei deutlich weniger als bei den meisten Bundesligaspielen der Wiener Vereine. Österreichweit kamen am Montag etwa 600 000 Menschen zum öffentlich Fußball-Gucken. Ein absoluter Rekord für die EM 2008.

Überschattet wurde das Fußballfest auf der Wiener Fanmeile vom Tod einer 20-jährigen Österreicherin. Die junge Frau erlitt im Gedränge der etwa 75 000 Menschen einen Kreislaufkollaps und starb im Krankenhaus.

Insgesamt, so lautete das erste offizielle Resümee, sei die EM in Österreich bisher ein Erfolg gewesen. Doch nicht alle sind begeistert. Viele Wiener Gastronomen, aber auch Taxifahrer und andere Geschäftsinhaber sehnen nach eigenen Angaben wegen massiver Einnahmeverluste ein Ende des Turniers herbei.

Selbst die Wiener Staatsoper klagte am Dienstag über die Fußballmassen. Nach ihren Angaben lag die Auslastung am Montagabend nur bei 70 statt der sonst üblichen 99 Prozent.